Bjarne Mädel als „Prange“: Er ist Nachbar mit Leib und Seele

vor 23 Stunden 2

Das Wort Mietpartei hat einen unangenehmen Beigeschmack von Wahrheit. Als Rechtsterminus beschreibt es die zwar zufällige, aber möglichst friedlich zu verhandelnde Koexistenz verschiedener Interessen unter einem Dach. In der Praxis werden Treppenhäuser zu weltanschaulichen Konfliktzonen, setzen Mieter auf Intrigen und das Recht des Stärkeren, werden per Mülltrennung und Musikbeschallung Temperamentszwiste ausgetragen.

Die Conditio humana im Treppenhaus

Schon das Hamburger Ohnsorg-Theater wusste mit dem Fernsehschlager „Tratsch im Treppenhaus“ der Mieternatur ihre Schwächen abzulauschen. Nun ziehen Bjarne Mädel, Olli Dittrich und Katharina Marie Schubert mit dem künftigen Weihnachtsklassiker „Prange – Man ist ja Nachbar“ mehr als würdig nach. Wobei hier der Humor sanft, bitter und menschenfreundlich erscheint; lakonisch und weniger auf Pointe gespielt. Nuanciert, exakt, urkomisch wie bei Loriot stellt „Prange – Man ist ja Nachbar“ die Conditio humana dar.

Ralf Prange (Bjarne Mädel) lebt seit 55 Jahren, also seit seiner Geburt, im Hochparterre desselben Rotklinker-Mietblocks in Hamburg-Barmbek. Ende der Siebzigerjahre hat er mal Faustball gespielt, die Trainingsjacke trägt er noch immer. Prange ist ein Gewohnheitstier. Er hängt an der Hausordnung und kämpft gegen die „schleichende Wohnraumerweiterung“. Um dem Übel des ständigen Fahrradankettens im Treppenhaus ein Ende zu bereiten, hat er dort einen großen Bauernschrank platziert.

Prange leidet darunter, dass das Paar von oben ständig mit Kohlsuppendiät abzunehmen versucht. Hausgeruchsbeschwerden sind aber ein kitzliges Thema, weil Horst Rohde (Olli Dittrich), seit 40 Jahren Nachbar von gegenüber, die Theorie vertritt, dass die frühere Arbeit in einer Metträucherei Prange buchstäblich unter die Haut gegangen sei und per Ausdünstung nun ständig wieder hinaus.

Vielleicht trägt auch solche Nachrede zu Pranges jungfräulicher Scheu vor Intimität bei. Im Flur seiner Zweizimmerwohnung steht eine rustikale Telefonbank; eins der Zimmer belegt noch immer das Pflegebett seiner verstorbenen Mutter. Offenbar kann Prange sich schwer trennen, noch ein Grund, nichts Neues anzufangen. Zu seinen Modernisierungsversuchen zählt eine Vinyltapete im Barockdesign, die eine verschlüsselt erotische Rolle im Film spielen wird. Prange ist der Nachbar, der unablässig mit dem Auge am Türspion hängt, aber auch alle Pakete für Hausbewohner annimmt, wofür er ein ausgefuchstes Ablagesystem angelegt hat. Erwerbstätig ist er nicht, dafür beherbergt er einen Papagei mit Tourettesyndrom. Ab und an geht Prange mit seiner Schwester Silke (Ga­briela Maria Schmeide) spazieren und lässt im Teich sein Modellboot fahren.

Er bestellt irgendwelches Zeug, nur um die Paketbotin zu sehen

Dass Ralf Prange zwar eingangs wie Ebenezer Scrooge als Menschenfeind erscheint, tatsächlich aber ein Sonderling ohne ausgedehnte Lebens- und Liebeserfahrung ist, versteht sich bald. Denn als die neue Paketzustellerin Dörte (Katharina Marie Schubert) der Firma Dropflex zum ersten Mal vor seiner Tür steht, ist es wie per Blitz um ihn geschehen. Argwöhnisch beäugt von Horst Rohde, bestellt Prange nun Toaster und anderes Zeug, nur um täglich auf der Schwelle einige wenige Worte mit Dörte zu wechseln. Die erscheint auf ihre Art seltsam, schnuppert gern Holzkohlenrauch und liebt Schaumtapeten.

Hier könnte etwas entstehen, wäre da nicht der eifersüchtige Rohde, der Dörte mit dem gemeinsamen Faible für Wrestling anlockt, und wäre da nicht Prange selbst, der, statt weiter schweigsam zu sein, sich peinlich um Kopf und Kragen redet, mit seiner Klebepistole das zarte Pflänzchen Zuneigung ruiniert und schließlich den Rückzug mit fliehenden Fahnen antritt.

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Glücklicherweise gibt es das neu eingezogene „Arschlochkind“ Malik (Samy Ghariani) und den liebenswerten Paketboten vom Konkurrenzdienst, Micki (Božidar Kocevski), die ihm mit zunächst bedingtem Erfolg erklären, was geht. Denn Prange kann einfach nicht aus seiner Haut. Wenn die anderen Hausfest feiern, lugt er bloß hinter der Gardine hervor. Es könnte aber auch sein, dass es der versammelten Hausgemeinschaft noch gelingt, ihn aus seiner selbstgewählten Einsamkeit zu locken. Und zu Dörte, falls Horst Rohde nicht dazwischenfunkt.

Mit Ralf Prange gesellt Bjarne Mädel seinem Kabinett bemerkenswerter Eigenbrötler eine neue Figur hinzu. Hier stehen Sörensen, der Kommissar mit Angststörung, Berthold „Ernie“ Heisterkamp aus „Stromberg“, Tatortreiniger Heiko „Schotty“ Schotte und einige Eigensinnsverfechter mehr. Genau wie im Fall von Sörensen gibt es bei Prange eine Hörspiel- beziehungsweise Comedy-Podcast-Grundlage.

Was folgerichtig ist, denn beide sind zuallererst Sprecher, Charaktere, die sich über ihr Reden und Schweigen vermitteln. Wenn Prange sich im Baumarkt bei der Bestellung der Zuschneidung von MDF-Platten verheddert und Rohde anruft, wenn die beiden ausgiebig im Splitscreen über Vor- und Nachteile bestimmter Millimeterstärken diskutieren, erfährt man alles Nötige über sie und ihre jahrzehntelange Rivalität.

Kristian Leschners Kamera ist mal Zeuge im engen Treppenhaus und fliegt über die Mietshaussiedlung. „Einfamilienhaushölle“, das wäre nichts für Prange, Dörte und Rohde, und wohl auch nichts für den Autor Andreas Altenburg. Wohl dem, der Nachbarn hat, zum Streiten, zur Gemeinschaft, zur Nachhilfe in Liebesdingen, so der Punkt von Regisseur Lars Jessen. Sozialromantik darf sein im Fernsehen, besonders zum Advent. Jedenfalls wenn sie so überzeugend aussieht wie hier.

Prange – Man ist ja Nachbar läuft am Mittwoch um 20.15 Uhr im Ersten und in der ARD-Mediathek. Der Comedy-Podcast Barmbek Bump – Prange vs. Rohde ist in der ARD-Audiothek abrufbar.

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