„Harter Brocken“ im Ersten: Er steht mehr auf Western

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Faxgeräte? Mikrofilme? Eine Dampfeisenbahn, in der das Feuer im Heizkessel flackert? All das findet sich in der neuen, nunmehr neunten Folge der Reihe „Harter Brocken“ und sorgt für charmant-verschmitzten Retro-Charme. Vor der fast idyllisch verstaubten Kulisse freilich spielt sich in „Die Erpressung“ eine Agentengeschichte ab, die aus DDR-Jahren ins gesamtdeutsche Heute und von der Staatssicherheit direkt ins LKA Hannover führt.

Die Spannung zwischen beschaulichem Kaff im Harz und den nervösen, oft kriminell aufgeladenen Störenfrieden von außerhalb speist alle „Harter Brocken“-Filme. Auch jetzt fängt es ausgesprochen ruhig an, und Aljoscha Stadelmann als Dorfpolizist Frank Koops trinkt erst einmal einen Filterkaffee. Aber dann bricht eine Frau auf den Schienen der Schmalspurbahn zusammen, und er muss ermitteln.

Wieso ist der Mann vom LKA schon am Tatort?

Und wundert sich: Ohne dass er ihn verständigt hätte, ist ein Kollege der Toten, die beim LKA arbeitete, zeitgleich wie er am Tatort. Dieser Oliver Mienle ist bei André M. Hennicke ein undurchsichtiges wie gefährliches Raubtier ganz in Schwarz. Bemüht geheimnisvoll raunt er auf ­Koops Nachfragen, dass er und seine Kollegin in Sachen organisierter Kriminalität unterwegs waren. In St. Andreasberg in der tiefsten Einöde? Für Koops ist bald klar, dass diese Information nicht stimmt, doch was ist wirklich los?

Der Wichtigtuer vom LKA nimmt den sich gemütlich-begriffsstutzig gebenden Provinzsheriff nicht ernst – was Koops weidlich ausnutzt, um ihm auf die Schliche zu kommen. Und während beide neben dem steinalten Faxgerät auf den Obduktionsbericht warten und Mienle arrogant nach Computer und E-Mail fragt, sagt Koops nur stillvergnügt provokant: „Der Doktor Kaminski, der faxt einfach so gern.“

Der Kampf der Systeme: Land gegen Stadt

Es ist dieser Kampf der Systeme, der die „Harter Brocken“-Filme prägt und überaus sehenswert macht. Unaufgeregt wird eine ländliche Kultur der Langsamkeit und Stille gegen das übliche Getriebe der modernen Krimi-Welt verteidigt. Die kennen sie hier natürlich auch, aber sie interessiert sie eher mäßig. Das ist nicht verschmockt erzkonservativ, sondern zeitgemäß nachhaltig, schont Land und Leute.

Der Natur wiederum fällt die heimliche Hauptrolle zu, und nicht bloß, wenn die Dampflok ihre malerischen Wolken in den grau verhangenen Himmel ausstößt. Deutlich wird die Verletzlichkeit der Menschen überdies, wenn Koops mit einem verwundeten Opfer durch den abweisenden, bedrohlichen Wald flieht oder wenn sich die sternenlose Nacht über dem wie Draculas Schloss aufragenden Hotel wölbt, in dem Mienle nächtigt.

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Konspirativen Besuch erhält er dort von seiner LKA-Kollegin Berger, die in die Politik wechseln will und ebenfalls in der Stasi-Seilschaft war, die hinter all dem plötzlichen Mordgeschehen steckt. Irene Rindje zeigt sie eindringlich als gruselig gespaltene Persönlichkeit, die erst der Enkelin zärtlich die Haare bürstet – und später eine Gegnerin skrupellos umbringt. Gelernt ist gelernt, schließlich waren Berger und Mienle von der Stasi als Geheimagenten in den Westen eingeschleust worden – mit der Lizenz zum Töten. Unerkannt konnten beide nach der Wende ihre Karrieren beim LKA fortsetzen. Als sie enttarnt zu werden fürchten, schlagen sie kaltblütig zurück.

In der feinfühlig zupackenden Regie von Hanno Olderdissen wird die spannende Geschichte jedoch bei aller Grausamkeit höflich distanziert und dabei humorvoll erzählt. „Ich steh’ mehr auf Western“, antwortet Koops süffisant, als ihm Mienle vorwirft, zu viele Agentenfilme konsumiert zu haben. Mal sind es die Bilder, in denen etwa der Zug die kahle Landschaft durchschneidet, mal ist es die Musik, die in den Weiten der Prärie zu schwelgen scheint, mit denen das Genre liebevoll zitiert wird: Denn nicht nur im Wilden Westen reden die Männer, wenig und die Frauen können schießen.

Verlassen darf sich Koops wiederum auf Anna Fischer als junge Kollegin aus dem Nachbarort und den skurrilen Postboten Heiner, den allerdings nicht mehr Moritz Führmann spielt. Ersetzt wurde er durch Jakob Benkhofer, der sich erst noch ein bisschen in das Ensemble dieser Querköpfe eingewöhnen muss. Wenn Heiner fürs Hochzeitsgelübde um Worte ringt, flüstert ihm Koops Shakespeare-Verse zu. Das ist dann Wilder Westen mit Harz-Style und auf sehr unterhaltsame Weise mehr als viel Lärm um nichts.

Harter Brocken: Die Erpressung läuft am Ersten Weihnachtstag, 25. Dezember, um 20.15 Uhr in der ARD und in der Mediathek.

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