Großer Preis von Miami: Ist Oscar Piastri schon der kommende Champion der Formel 1?

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 »Kaltblütiges Talent«

WM-Spitzenreiter Oscar Piastri in Miami: »Kaltblütiges Talent«

Foto: Hoch Zwei / HochZwei / IMAGO

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Vor dem Großen Preis von Miami hatte sich die Formel 1 etwas Besonderes ausgedacht. Statt bei der sogenannten Fahrerparade wie üblich in Trucks um die Strecke kutschiert zu werden, durften sich die Piloten am Sonntag in beinahe maßstabsgetreuen Lego-Autos im Formel-1-Design ein Rennen auf der Strecke liefern.

20 Kilometer pro Stunde schafften die 1500 Kilogramm schweren und aus 400.000 Steinen bestehenden Fahrzeuge. Die Fahrer schienen ihre Freude an den Duellen im Schneckentempo zu haben. Sie rammten sich, bis die Steinchen flogen. Immer zwei Teammitglieder teilten sich ein Auto.

Bei McLaren hatte Lando Norris das Steuer übernommen, Oscar Piastri saß leicht erhöht dahinter, als Beifahrer. Beim anschließenden Rennen begnügte der Australier sich dann aber nicht mehr mit der passiven Rolle. Er fuhr zu seinem vierten Saisonerfolg, siegte nun dreimal in Folge – Resultate, die für McLaren zuletzt Mika Häkkinen auf seinem Weg zum WM-Titel 1998 erreichte.

Das Lego-Rennen sorgte bei den Fahrern für Heiterkeit

Das Lego-Rennen sorgte bei den Fahrern für Heiterkeit

Foto: Ricardo Arduengo / REUTERS

Piastri hat diesen Weg ebenfalls eingeschlagen. Zwar ist erst ein Viertel der Saison gefahren, doch der 24-Jährige führt die Fahrer-WM mit 131 Punkten vor Teamkollege Norris (115 Punkte) an. Max Verstappen sollte niemand abschreiben, doch mit 32 Punkten ist Piastris Vorsprung auf den mit seinem Red Bull hadernden Vierfachweltmeister auch nicht mehr zu übersehen.

»Vor zwei Jahren waren wir hier das langsamste Team, wir wurden zweimal überrundet«, sagte Piastri über die Entwicklung bei McLaren. »Jetzt haben wir das Rennen mit 35 Sekunden Vorsprung gewonnen.«

Dass das Team aus Woking im zweiten Jahr in Folge das Auto mit dem besten Gesamtpaket gebaut hat, ist die Basis für den Erfolg ihrer beiden Piloten. Doch Piastri hat über den Winter selbst noch einen Entwicklungsschritt gemacht. Warum er sich plötzlich zum WM-Favoriten gemausert hat, wurde beim Großen Preis von Miami an zwei Schlüsselmomenten deutlich.

Verstappen überholen? Passt schon

Piastri war zunächst als Profiteur eines Duells zwischen Verstappen und Norris in der ersten Startreihe in eine gute Ausgangslage gekommen. Er war nur als Vierter ins Rennen gegangen, doch bei einem Zweikampf mit Verstappen geriet Norris neben der Strecke ins Nasse, verlor dadurch einige Positionen.

Piastri schnappte sich wenig später Kimi Antonelli im Mercedes und machte dann Jagd auf Verstappen, den er nach mehreren Runden in einen Fehler trieb. Der Weltmeister verbremste sich in Kurve eins, Piastri schlüpfte vorbei.

Nun wollte Norris es gleichtun, doch der Brite tat sich schwerer. Verstappen machte keinen Fehler mehr, Norris ging schon einmal vorbei, gab die Position zur Sicherheit aber wieder her, weil beide neben die Strecke gerieten. »Ein Elend«, kommentierte Sky-Experte Ralf Schumacher Norris’ Mühe. Als dieser sich eine Runde später dann die zweite Position final sicherte, hatte sich sein Teamkollege an der Spitze des Feldes bereits rund neun Sekunden abgesetzt.

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Der zweite Moment, an dem die Zuschauerinnen und Zuschauer merken, dass es für Piastri gut läuft, war dann, als er den Rest des Rennens nicht mehr im TV-Bild zu sehen war. Während im Mittelfeld die Ferrari-Piloten mit ihren Renningenieuren diskutierten und (im Kampf um die Plätze sieben und acht) die Fans mit Platzwechseln und sarkastischen Funksprüchen unterhielten, hörte und sah man von Piastri bis zur Ziellinie nichts mehr.

Geräuschlos nach ganz oben

Auf der Zeitentabelle, die im TV-Bild die Abstände der Fahrer zueinander einblendet, konnte man noch verfolgen, dass er seinen Teamkollegen mehr als vier Sekunden auf Distanz hielt. Er machte keine Fehler, und kurze Zeit später hielt er ganz oben auf dem Podium schon eine Flasche Champagner in der Hand.

Die beinahe geräuschlose Übernahme der WM-Führung zeichnete Piastri aus. Er sei »nicht so aggressiv wie Verstappen, nicht so sympathisch wie Norris und nicht so beliebt wie Antonelli«, fasste der italienische »Corriere dello Sport« zusammen, nur um treffend zu ergänzen, dass es darauf auch gar nicht ankomme.

Wer in der Formel 1 Weltmeister werden will, muss (neben einem sehr guten Auto) einen hohen Grundspeed mitbringen. Im Vergleich der schnellsten Fahrer kommen aber noch andere Aspekte ins Spiel: Konstanz, Rennintelligenz, Ehrgeiz, auch eine gewisse Abgebrühtheit und Nervenstärke. Die Kombination daraus kreiert ein Image, nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch bei der Konkurrenz.

Oscar Piastri feiert seinen sechsten Sieg in der Formel 1, vier davon gelangen ihm allein dieses Jahr

Oscar Piastri feiert seinen sechsten Sieg in der Formel 1, vier davon gelangen ihm allein dieses Jahr

Foto: Eric Alonso / PsnewZ / IMAGO
Die Teamkollegen Lando Norris und Oscar Piastri feiern ihren Doppelsieg in Miami

Die Teamkollegen Lando Norris und Oscar Piastri feiern ihren Doppelsieg in Miami

Foto: Eric Alonso / PsnewZ / IMAGO

Piastri, der in Anlehnung an den Finnen Kimi Räikkönen schon der neue »Iceman« genannt wird, scheint seine rationale und ruhige, nach außen wenig emotionale Art in die Karten zu spielen. Und offenbar muss er sich dafür auch gar nicht anstrengen.

»Du hast ja doch ein Herz«

Seine Mutter, Nicole Piastri, die ihren Sohn schon seit Beginn seiner Formel-1-Karriere gern auch öffentlich neckt, erzählte beim Sender Sky  mal die Geschichte, dass sie auf einer gemeinsamen Fahrradtour einen Unfall gehabt habe und über den Lenker gestürzt sei. Sie konnte weiterfahren, abends habe sie ihre aufgezeichneten Pulswerte mit denen ihres Sohnes verglichen. Dabei sei ihr aufgefallen, dass dessen Puls zum Zeitpunkt des Unfalls »durch die Decke gegangen sei«. »Da habe ich zu ihm gesagt: ›Du hast ja doch ein Herz‹«, kommentierte Mutter Piastri und lachte dabei.

Piastri ist damit ein ganz anderer Typ Fahrer als sein Teamkollege. Norris ist emotional, spricht offener über seine Gefühle. Norris galt schon lange als kommender Champion, vermutlich ist er, wenn alles gut läuft, immer noch einen Tick schneller als Piastri.

Doch im vergangenen Jahr biss er sich im Duell mit Verstappen die Zähne aus, wirkte hinterher auch mal angefasst. In der Folge haderte er öffentlich mit der »festgelegten Vorstellung davon, wie ein Champion gestrickt sein muss«. Er wolle sich nicht »wie ein Arschloch« benehmen, nur damit die Leute glaubten, dass er den notwendigen »Killerinstinkt« hätte, den ein Weltmeister vermeintlich benötige, sagte er.

Gefühle nicht zu verstecken oder Stereotype in der immer noch männlich geprägten Formel 1 anzusprechen, steht einem WM-Titel in der Tat nicht im Weg. Der Rekordchampion Lewis Hamilton ist ein Beispiel dafür.

Doch es kann auch Energie kosten. »Was kann ich sagen? Wenn ich es nicht probiere, beschweren sich die Leute, und wenn ich es probiere, beschweren sich die Leute auch. Du kannst nicht gewinnen. So ist das mit Max«, rechtfertigte sich Norris in Miami zu seinem Duell mit dem Niederländer.

Piastri muss offenbar weniger Kraft aufwenden, damit man ihm den »Killerinstinkt« abnimmt. Dabei steht er in seiner dritten Formel-1-Saison nicht weniger unter Druck.

Piastri gilt als ehrgeizig und zielstrebig. In der vergangenen Saison hatte Norris jedoch die Nase vorn, wurde Vizeweltmeister. Piastri zeigte eine teils schwankende Leistung, wurde am Ende nur Vierter, hinter Charles Leclerc im Ferrari.

»Griddy« vor der Weltöffentlichkeit

Dabei war Piastri unter Aufsehen in die Formel 1 gekommen. Die Rennställe Alpine und McLaren hatten sich öffentlich um das Riesentalent gestritten, das weckte Erwartungen und Begehrlichkeiten. Auch dank seines Managers, des ehemaligen Formel-1-Fahrers Mark Webber, dem ein großer Anteil an den Erfolgen seines Schützlings zugeschrieben wird, setzte sich der Youngster in einer Vertragsposse durch und bekam den McLaren-Sitz (lesen Sie hier mehr dazu ).

Es war ein Risiko, aber eine gute Wahl, wie sich im Nachhinein herausstellte.

Es ist aber auch eine Chance, die genutzt werden will. Will Piastri nun die Nummer eins im Team sein (und damit WM-Favorit), muss er Norris in dieser Saison in Schach halten. Der Teamkollege ist schließlich der Erste, an dem die eigene Leistung gemessen wird. Im kommenden Jahr wird es zudem eine Regelumstellung geben, die Dominanz McLarens könnte dann gebrochen werden.

Im Moment gelingt Piastri das, das sieht auch die internationale Presse so. Als »kaltblütiges Talent« wird er gefeiert, als »Herr im Haus« in Miami, er werde »immer mehr der Hauptakteur dieser Saison«, heißt es weiter.

Piastri selbst scheint sich ebenfalls allmählich ans Siegen zu gewöhnen. Sonst eher nicht zu ekstatischem Jubel neigend, führte er in Miami vor seinem Team sogar einen »Griddy«, also ein Tänzchen auf, winkte aber schnell ab.

NFL-Star Justin Jefferson von den Minnesota Vikings hat den Touchdown-Jubel einem breiten Publikum bekannt gemacht. Bei einem Treffen mit dem Wide Receiver vor dem Grand Prix in Florida habe Piastri, so erzählte er es selbst, dann »dummerweise« mit Jefferson gewettet, dass er einen Griddy für ihn machen würde, wenn er das Rennen gewinnen sollte.

Daran gewöhnen sollten sich die Zuschauer aber nicht, stellte er klar. »Das war also mein erster Versuch, einen Griddy live im Weltfernsehen zu machen. Ich habe mich an die Wette gehalten«, sagte Piastri, »aber das ist das einzige Mal, dass ihr mich dabei sehen werdet.«

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