(SZ) Die Tugend der Leidensfähigkeit schien zuletzt ein wenig aus der Mode gekommen zu sein. Der achtsame Mensch der Gegenwart meditiert die Unbill des Lebens lieber weg, als sich ihr zu stellen. Es hat ja auch was für sich, den Gedanken an die Steuererklärung, den Termin beim Proktologen oder die Standbetreuung beim Grundschul-Sommerfest einfach vorüberziehen zu lassen wie ein Frühsommerwölkchen am Himmel. Omm..., und weg! Wie immer aber, wenn eine Sache schwer angesagt ist, kann man sich sicher sein, dass die entsprechende Gegenbewegung schon im Werden begriffen ist. So war es beispielsweise nur eine Frage der Zeit, bis die Evolution von der Skinny-Jeans über die Super-Skinny-Jeans zur Ultra-Skinny-Jeans abgelöst werden würde von der Konterrevolution der Boyfriend-Jeans über die Mom-Jeans zur Baggy-Jeans.
Aber zurück zu unserem Ausgangsthema, der Leidensfähigkeit. Die nämlich steht ebenfalls vor einer radikalen Neuinterpretation, ach was, einem grandiosen Comeback! Der entscheidende Impuls dafür kommt, kein Wunder, von der SPD. Die Sozialdemokraten nämlich haben in den vergangenen Jahren nicht nur ihre Expertise auf dem Gebiet der Leidensfähigkeit enorm ausgebaut. Sie dürfen auch als höchst versierte Comeback-Experten gelten. Allerdings nicht, weil ihnen ihres schon nachhaltig geglückt wäre. Sondern weil sie trotzdem so herzig an ein Comeback glauben. Der Vorsitzende ebendieser Sozialdemokraten jedenfalls hat diese Woche den Satz gesagt: „Das muss eine Partei aushalten, dass es solche Diskussionen gibt.“ Gemeint hatte er damit das brandneue Manifest einer besonders gewitzten Gruppe Sozis, der es einfach nicht gelingen will, den Gedanken an die sozialdemokratische Russlandpolitik früherer Zeiten vorüberziehen zu lassen. Auch Anke Rehlinger, die klugerweise lieber allein das Saarland regieren will als mit Lars Klingbeil zusammen die SPD, sagte zu dem „Manifest“: „Ich finde schon, das muss man aushalten können.“
Etwas aushalten zu können, wird damit schon bald der, Pardon, nächste heiße Scheiß im politischen Berlin werden. Und das keinen Moment zu früh! Die Welt ist schließlich so dermaßen aus den Fugen, dass Wechselatmung und Lotussitz an ihr scheitern müssen. Man nehme nur mal den aktuellen US-Präsidenten. Einen Donald J. Trump, der Kalifornien besiegen und Kanada eingemeinden möchte, kann man auch nach zehn Minuten im „Herabschauenden Hund“ nicht achtsam ausblenden. Man muss ihn ertragen. Der Kanzler hat das selbstredend längst verinnerlicht. Wer dieser Tage das Oval Office überstehen will, muss gut im Aushalten sein, und darf sich nicht ins Sauerland träumen. Bald aber ist parlamentarische Sommerpause, eine erstklassige Gelegenheit, den Liegestuhl am französischen Atlantik oder im Ostseesand aufzuklappen und sich den Gedanken zu erlauben: Hier lässt’s sich aushalten.