Ein Junge in einem Zelt in Gaza-Stadt. Das Bild wurde am 10. Mai aufgenommen. © Omar Ashtawy/APAImages/Polaris/laif
Seit Anfang März riegelt Israel den Gazastreifen vollständig ab. Menschen, die dort leben, berichten der ZEIT von Mangelernährung, Überfällen – und Wunden, die sich nicht schließen wollen
Eigentlich, schreibt Mohammed Harara am späten Nachmittag des 7. Mai in einer WhatsApp-Nachricht, habe er um halb drei anrufen wollen. Aber jetzt sei er im Al-Schifa-Krankenhaus in Gaza-Stadt mit einem Freund, der bei einem israelischen Luftangriff verletzt worden sei; getroffen wurde ein Restaurant in der Al-Wahda-Straße. Harara schickt einen kurzen Videoclip aus der Klinik mit – man sieht junge Männer, die auf dem Boden liegen, andere, die sich um sie kümmern, Durcheinander, einen roten Fleck auf den Fliesen, wahrscheinlich Blut. "Können wir am Abend reden?", fragt Harara.
Der Krieg ist zurück in Gaza, seit Israel Mitte März den im Januar vereinbarten Waffenstillstand mit der Terrororganisation Hamas gebrochen hat. Gleichzeitig riegelt das Militär seit Anfang März den Küstenstreifen komplett ab. Nicht nur die humanitäre Hilfe, auch der Warenverkehr ist abgeschnitten; es kommen keine Nahrungsmittel, keine Medikamente, kein Strom, kein Benzin oder Diesel nach Gaza; der Mangel an Treibstoff trägt zur Trinkwasserknappheit bei, weil auch Entsalzungsanlagen betroffen sind.
"Das ist die längste Blockade, die wir seit Kriegsbeginn erleben", sagt Olga Cherevko, die Sprecherin des Büros für die Koordination Humanitärer Angelegenheiten (OCHA) der Vereinten Nationen in Gaza. "Und die Katastrophe, die ohnehin schon da war, wird mit jedem Tag entsetzlicher." Von den etwa 180 Suppenküchen, die eine warme Mahlzeit am Tag für über die Hälfte der Bevölkerung bereitgestellt hätten, habe bereits die Hälfte die Arbeit einstellen müssen. Zelte zum Verteilen gebe es schon lange nicht mehr; an die Schutzbedürftigsten unter den Kriegsvertriebenen würden Planen ausgegeben. Bassam Sakut, der Direktor der Palestinian Medical Relief Society (PMRS), einer der größten Nichtregierungsorganisationen im Bereich der Gesundheitsversorgung in den palästinensischen Gebieten, erklärt, in 20 Tagen würden seiner Organisation die Medikamente komplett ausgehen, das Verbandsmaterial reiche nur noch für zwei Monate. In den von Israel zu Sicherheitszonen erklärten Gebieten sei mittlerweile eines von zehn Kindern, die von der PMRS behandelt würden, akut unterernährt.
Israel hat angedroht, seine Militäroffensive zu verstärken, große Teile des Gazastreifens zumindest zeitweise zu besetzen und die Bevölkerung aus dem Norden des Gebiets in den Süden zu vertreiben. In der Nacht zum Samstag begann eine neue Offensive. Zusammen mit den Vereinigten Staaten wollen die Israelis die humanitäre Hilfe neu organisieren, mit scharf kontrollierten Ausgabestellen im Süden. Die israelische Begründung: um zu verhindern, dass die Hamas Güter abzweigt. Die internationalen Hilfsorganisationen kritisieren den Plan als Teil einer Militärstrategie und somit unvereinbar mit anerkannten humanitären Prinzipien wie Neutralität und Unparteilichkeit.
Gleichzeitig scheinen die Amerikaner im Zusammenhang der Nahostreise von Donald Trump auf eine neue Waffenruhe zu drängen. Die Vereinigten Staaten arbeiteten daran, erklärte der US-Präsident am Dienstag, "diesen Krieg so schnell wie möglich beendet zu bekommen. Es ist eine schreckliche Sache, die da passiert."
Das WhatsApp-Gespräch mit Mohammed Harara kommt erst am Tag nach seiner Nachricht aus dem Al-Schifa-Krankenhaus zustande. Harara ist 26 Jahre alt und Projektkoordinator einer humanitären Freiwilligengruppe, die von der palästinensisch-amerikanischen Nichtregierungsorganisation Palestinian American Bridge unterstützt wird. Israel erlaubt internationalen Journalisten keinen freien Zugang und keine unabhängigen Recherchen im Gazastreifen. Die ZEIT und andere Medien müssen sich durch Telefonate, Text- und Bildnachrichten über die Lage informieren; eine eigenständige Überprüfung der Angaben und Einschätzungen, die uns übermittelt werden, ist im Einzelnen zumeist nicht möglich. Aber der Kontakt mit zahlreichen verschiedenen Gesprächspartnern erlaubt es trotzdem, ein hinreichend aufschlussreiches und glaubwürdiges Gesamtbild zu gewinnen.
Hararas Gruppe kümmert sich um Mahlzeiten für die vom Krieg Entwurzelten: "Wir kochen zumeist für die Vertriebenen hier in Gaza-Stadt, die in Zelten leben. 20, 30, 40 Zelte bilden schon ein kleines Lager, es gibt Zelte sogar auf den Hauptstraßen. Wir kochen in Holzöfen und füllen das Essen in große Behälter. Die Leute kommen mit ihrem eigenen Geschirr, um es abzuholen." Die Vorräte von Hilfsorganisationen wie dem World Food Program oder World Central Kitchen seien nach mehr als zwei Monaten israelischer Blockade aufgebraucht: "Wir müssen", so Harara, "Nahrungsmittel von den Markthändlern kaufen – was teuer ist."