Galerie Bärbel Grässlin: Sie brachte Frankfurt auf die Kunstlandkarte

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Das darf man schon mal mutig nennen. Oder selbstbewusst. Ein Statement auch, wenn man bedenkt, wie alles einmal angefangen hat. Mit ein paar „so kleine Häusle“, wie sich Bärbel Grässlin in ihrem weichen badischen Akzent erinnert, mit denen nicht nur Hubert Kiecol 1985 sein Debüt bei Bärbel Grässlin gab. Auch der Neuzugang unter Frankfurts Galerien stellte sich damals mit den bescheidenen Betonskulpturen des Kölner Künstlers erstmals überhaupt in Frankfurt vor. Dabei war die Stadt am Main nur zweite Wahl. Hatte die aus Sankt Georgen stammende Kunsthändlerin das Geschäft bei Max Hetzler in Stuttgart und Köln von der Pike auf gelernt und wäre durchaus gern in Köln geblieben.

Den Platzhirschen wie Hetzler aber, wie Konrad Fischer und Paul Maenz im Rheinland Konkurrenz zu machen, kam schlicht nicht infrage. „Und mit den Neuen Wilden am Berliner Moritzplatz oder der Truppe von der Mülheimer Freiheit“ – jenen Künstlern also, die Mitte der Achtziger in aller Munde waren – „hatte ich nun einmal nichts am Hut“, sagt Grässlin. Also Frankfurt.

Jener vor 40 Jahren auserko­rene Standort, den ihr weiland Kaspar König ans Herz legte mit den für die Stadt nicht eben schmeichlerischen Worten, das sei ein weißer Fleck auf der Kunstland­karte. „Hier“, so König, „hier kannst du alles machen.“ Und Grässlin nahm ihn kurzerhand beim Wort. Und machte, was sie wollte. Denn in der Tat zeigte sich nicht nur die hiesige Galerienszene im Vergleich zu heute reichlich bieder.

„Das hat der ganzen Stadt einen Schub gegeben“

Auch institutionell hatte die Kunst der Gegenwart – sieht man vom Kunstverein einmal ab, dessen Leitung eben Peter Weiermair übernommen hatte – in Frankfurt keinen Ort. Bis auch Kasper König von Köln nach Frankfurt kam, die Leitung der Städelschule übernahm und mit dem Portikus die internationale Avantgarde nach Frankfurt lockte.

Es folgten die Eröffnung der Schirn Kunsthalle und das Engagement von Jean-Christophe Ammann, der mit einem gleichermaßen populären wie anspruchsvollen Programm das neu eröffnete Museum für Moderne Kunst als eine der ersten Adressen in ganz Deutschland etablierte. „Das hat eine Dynamik gehabt, das hat der ganzen Stadt einen Schub gegeben.“ Und Bärbel Grässlin immer mittendrin.

Mit Ausstellungen zunächst vor allem jener Künstler, die sie aus Köln und Stuttgart kannte wie Martin Kippenberger, der 1985 mit „Familie Hunger“ bei Grässlin debütierte. Mit Albert Oehlen, Werner Büttner oder Meuser, die als die „Hetzler Boys“ den Kunstbetrieb gehörig zu erschrecken aufgebrochen waren. Und die nicht nur Bilder malen und Skulpturen machen wollten, sondern, wie Albert Oehlens Bruder Markus, in diversen Punkbands spielten.

Reinhard Mucha natürlich, Georg Herold oder Günther Förg, junge, heute international bekannte Positionen mithin, die, sieht man von Albert Oehlen einmal ab, noch immer den Stamm der Galerie vorstellen. Nicht nur weil Bärbel Grässlin, die dieser Tage ihren 71. Geburtstag feiert, offenbar schon damals eine gute Nase und ein gutes Auge hatte.

Vor 40 Jahren kam Bärbel Grässlin nach Frankfurt und eröffnete ihre erste Galerie.Vor 40 Jahren kam Bärbel Grässlin nach Frankfurt und eröffnete ihre erste Galerie.Wonge Bergmann

„Ich habe mich mit denen identifiziert.“ Mit der Aufmüpfigkeit, der anarchistischen Haltung und dem beißenden Witz etwa des jungen Albert Oehlen, der mit seiner ersten Ausstellung forsch verkündete: „Bevor ihr malt, mach ich das lieber.“ Mit der Selbstverständlichkeit, mit der einst Georg Herold zwei Latten in die Ecke stellte, von denen eine hier als lange Latte Goethe zeigen sollte. Und jene deutlich kürzere daneben war „Im Vergleich dazu irgendein Scheißer“. Und nicht zuletzt mit einem Künstler, der nichts weiter als „fünf Häusle“ aus Beton zeigen wollte, die sich seinerzeit auf dem Parkett der jungen Galerie verloren. Und am Ende der Ausstellung alle verkauft waren.

Das hatte man in Frankfurt schlicht noch nicht gesehen. Dabei, glaubt man der Galeristin, war auch das Schwarzwaldmädel Bärbel Grässlin am Anfang der Karriere erst einmal vor allem un­bedarft. Sicher, schon ihre Eltern hatten mit den Protagonisten, insbesondere des deutschen Informel, zeitgenössische Kunst gesammelt.

„Aber das waren für uns alte Männer.“ Sodass sie aus dem Staunen kaum herauskam, als sie Arbeiten von Ulrich Rückriem oder Richard Serra sah, von Bruce Nauman oder eine „Stone Line“ des jungen Briten Richard Long. „Das war so anders, so fremd“. Und: „Ich hatte ja keine Vorstellung, wie weit man gehen kann.“ Dafür standen im eigenen Programm bald Künstler wie der Österreicher Franz West.

Wie das Enfant terrible Martin Kippenberger, die Oehlen-Brüder oder Günther Förg, deren Werke heute das Rückgrat der Familiensammlung vorstellen, die Bärbel Grässlin mit ihren Geschwistern in wechselnden Ausstellungen in Sankt Georgen zeigt. Allerdings, während hier auch Künstlerinnen wie Kalin Lindena, Cosima von Bonin oder Rachel von Morgenstern auf der Künstlerliste stehen, spielten bis auf Ika Huber oder Christa Näher, die sich erstmals schon im Eröffnungsjahr bei Grässlin vorstellte, Frauen zunächst keine große Rolle im Programm der Galerie. Ohne dass es irgendwen bekümmerte. Auch die Galeristin sorgte das nicht. „Welche Hautfarbe jemand hat oder welches Geschlecht“, so Grässlin, habe sie einfach nie interessiert.

„Mir ist wichtig, ob ich mit jemandem kann. Und ob ich mich mit der Arbeit identifizieren kann.“ Dass unterdessen mit Heiner Blum und Thomas Werner, mit Stefan Müller, Michael Beutler oder To­bias Rehberger längst auch zahlreiche Frankfurter Künstler das Portfolio der Galerie bereichern, mag man darüber hinaus zumindest auch als ein Bekenntnis zum zunächst eher ungeliebten Standort werten.

Geradeso wie die Ausstellungen junger Absolventen am Beginn ihrer Karriere in der 2017 eröffneten Galerie Filiale gleich um die Ecke. Anlässe mehr als genug also, es zum 40. Geburtstag noch einmal richtig krachen zu lassen – vor allem aber das stolze Jubiläum mit einer außergewöhnlichen Ausstellung zu feiern.

Dabei ist es vor allem Zufall, wenn nun Hubert Kiecol mit „82/86“ gleichsam das Geburtstagsständchen verantwortet. Und ein „Ort“, ein „Alter Hof“ oder „Drei Häuser“ und mithin so wie seinerzeit nichts als eine „Handvoll von so Häusle“ sich ganz selbstverständlich in der weiten, himmelhohen Halle zu behaupten wissen.

Was man wie vor 40 Jahren allemal ein Statement nennen darf. Dabei war das so gar nicht geplant. Mehr noch, „ich habe nicht einmal daran gedacht“, sagt Grässlin, auf die ebenso spröde wie spektakuläre Eröffnungsausstellung 1985 angesprochen. Hubert Kiecol, von dem in den vergangenen Jahren wenig zu sehen war in Frankfurt, war vielmehr schlicht mal wieder dran mit einer Soloschau.

Und so schließt sich hier keineswegs, wie man zunächst ein wenig vorschnell fürchten mochte, für die Galerie ein Kreis. „Mir wird es nur langweilig in der Rente“, wischt Grässlin die Frage nach der Zukunft denn auch kurzerhand vom Tisch. Stattdessen blickt das Schwarzwaldmädel wie eh und je nach vorn, denkt an die kommende Ausstellung und den Saisonstart im September, die nächste Messe in Paris und was wohl sie dort zeigen will. Und vielleicht auch an die nächste Party, mit der dieses vergessene Jubiläum womöglich doch noch irgendwann gefeiert werden soll. Nicht jetzt, aber vielleicht zum 44. Geburtstag. „Das“, so Grässlin, „gefällt mir sowieso viel besser.“

■ Hubert Kiecol, „82/86“ Galerie Bärbel Grässlin, Schäfergasse 46 b, Frankfurt. Bis 30. August. Geöffnet dienstags bis freitags von 10 bis 18 Uhr, samstags von 10 bis 14 Uhr.

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