Fußball-EM 2025: Sjoeke Nüsken ist der heimliche Star des DFB-Teams

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Neue DFB-Vizekapitänin Sjoeke Nüsken Der heimliche Star des Teams

Giulia Gwinns EM-Aus verändert die Hierarchie im DFB-Team. Nun soll Sjoeke Nüsken Kommandos geben, vielleicht ist sie gar die spannendste Spielerin des Kaders. Über eine, die auch im Tennis hätte Karriere machen können.

Aus Basel berichtet Jan Göbel

07.07.2025, 16.49 Uhr

 »Ich bin ein sehr vielseitiger, ehrgeiziger Mensch«

Sjoeke Nüsken: »Ich bin ein sehr vielseitiger, ehrgeiziger Mensch«

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Sebastian Widmann - UEFA / UEFA / Getty Images

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Es gibt Menschen, die aus irgendeinem Grund jede Sportart gut können. Sie müssen ein Sportgerät nur sehen, um zu verstehen, wie es funktioniert. In der Schule konnte man diese Leute bewundern – oder auch aus Neid verabscheuen.

Manche sind solche Alleskönner, dass sie in mehreren Sportarten Profi hätten werden können. Über den Fußballstar Bastian Schweinsteiger sagen selbst Experten, dass er auch ein begabter Skifahrer hätte werden können.

Und dann ist da Sjoeke Nüsken, Deutschlands neue Vizekapitänin bei der Fußball-EM.

Bis zu ihrem elften Lebensjahr galt sie als die beste deutsche Tennisspielerin ihres Jahrgangs. Wer weiß, wie weit sie es gebracht hätte? Das deutsche Frauentennis lechzt nach Talenten und kommenden Stars.

 kann verteidigen, kann angreifen

Nüsken: kann verteidigen, kann angreifen

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ActionPictures / IMAGO

Nüsken hat sich jedoch nach den ersten Auszeichnungen im Tennis für den Fußball entschieden.

Vielleicht wurde es ihr zu langweilig?

»Ich bin ein sehr vielseitiger, ehrgeiziger Mensch«, beschrieb sich Nüsken vor der EM im Gespräch mit dem SPIEGEL.

Nüsken, heute 24 Jahre alt, 46 Länderspiele, hat sich ihre Vielseitigkeit auch im Fußball bewahrt. Zwar hat sie sich im DFB-Team nach der WM 2023 in der zentralen Mittelfeldposition festgespielt. In Wahrheit könnte sie aber auch jede andere Position spielen.

Selbst als Mittelstürmerin wird sie beim FC Chelsea manchmal eingesetzt. Auch beim deutschen 2:0-Auftaktsieg gegen Polen sah man Nüsken immer wieder in die Sturmspitze drängen. In der 61. Minute verpasste sie nur knapp einen eigenen Treffer. Stark war ihre Leistung aber auch so – das im Fußball der Frauen bekannte Portal »Soccerdonna« nominierte Nüsken in eine Elf des ersten Spieltags.

Nüsken ist die Spielerin der tausend Fähigkeiten, vielleicht dadurch auch die spannendste Figur im gesamten Kader, der heimliche Star.

Bei der EM aber muss sie »nur« zwei Rollen übernehmen: Zunächst sollte Nüsken gemeinsam mit Elisa Senß die Lücke schließen, die durch den Ausfall der zweikampfstarken Lena Oberdorf im Mittelfeld entstanden ist.

»Das wird nicht leicht. Aber wir sind auf einem sehr guten Weg, das zu schaffen«, hatte Nüsken vor der EM gesagt. Dabei klang sie fast schon gelangweilt. Als wäre eine weitere Aufgabe genau das Richtige für sie.

Ihre Aufgabe: Gwinn und Oberdorf ersetzen

Durch den Ausfall von Kapitänin Giulia Gwinn kommt für Nüsken vor dem zweiten Gruppenspiel gegen Dänemark in Basel am Dienstag (18 Uhr, TV: ARD und DAZN, Liveticker: SPIEGEL.de) tatsächlich noch eine weitere Rolle hinzu.

Bundestrainer Christian Wück ernannte sie zur neuen Vizekapitänin. Sie muss nun dafür sorgen, dass das Team schnell eine neue Hierarchie bildet, dass die Absprachen auf dem Platz funktionieren, dass auch in kritischen Phasen jemand Verantwortung übernimmt.

Nüsken beim EM-Auftakt gegen Polen

Nüsken beim EM-Auftakt gegen Polen

Foto: Fotostand / Fantini / IMAGO

Wenn man so will, muss Nüsken nun die Ausfälle von Gwinn und Oberdorf, der derzeit wahrscheinlich bekanntesten aktiven Nationalspielerinnen, auffangen. Nicht ganz allein, aber in einer tragenden Rolle.

»Kopfnickend zugestimmt« habe man Nüskens Beförderung, sagte Spielmacherin Linda Dallmann.

Dank ihrer Leistungen beim englischen Topklub FC Chelsea genießt Nüsken sportliche Autorität im Team. Sie wurde zweimal Englische Meisterin und einmal Pokalsiegerin.

Vor allem in ihrem ersten Jahr in London 2023/2024, als sie noch von Startrainerin Emma Hayes (heute Nationaltrainerin der USA) trainiert wurde, nahm Nüsken eine beeindruckende Entwicklung. Dem SPIEGEL erzählte sie, dass sie wahrscheinlich von keiner anderen Trainerin so profitiert habe wie von Hayes.

Einmal, vor einem Champions-League-Spiel gegen Ajax Amsterdam, habe sich Hayes besonders lange mit ihr auseinandergesetzt. Sie habe ihr genau erklärt, wie sie die Bälle im Mittelfeld verarbeiten soll, wie sie den Körper positionieren muss, wie sie sich Platz verschaffen kann. »So etwas Intensives habe ich noch nie erlebt.« Anschließend erzielte Nüsken zwei Tore. Schnell gelernt.

 von Emma Hayes profitiert

Nüsken beim FC Chelsea: von Emma Hayes profitiert

Foto: Pro Shots / IMAGO

Menschen, die Nüskens Karriere schon lange verfolgen, beschreiben sie als einen Schwamm, der alles aufsaugt. Dazu passt, dass sie neben dem Fußball noch Bauingenieurwesen studiert.

Es wird auch erzählt, dass Nüsken eigenbrötlerisch wirken kann – vielleicht die Nachwehen des Einzelsports Tennis – und, dass sie sich in der Spielvorbereitung verlieren kann. In London soll sie rund 30 Minuten außerhalb der Stadt wohnen, das Großstadtleben interessiere sie nur am Rande.

Man könnte auch sagen: Sie ist ziemlich professionell.

All das führt nun dazu, dass sie in der Karriereleiter immer weiter nach oben steigt, dass Bundestrainer Wück ihr noch einmal mehr Verantwortung überträgt.

Stärke zeigt sich darin, die eigenen Schwächen zu kennen

Es ist eine Operation am offenen Herzen, die das DFB-Team bewältigen muss: eine neue Führungsachse inmitten eines Turniers zu bilden, ohne Gwinn, ohne die zurückgetretenen, erfahrenen Alexandra Popp und Marina Hegering.

Wück hatte aber bereits vor der EM in Nüsken eine Führungsspielerin für die kommenden Jahre im DFB-Team gesehen. Sie selbst sagte dazu wenige Wochen vor dem EM-Start, dass sie zwar versuche, »mit meiner Lautstärke auf dem Platz präsent zu sein«, aber »ich kann mich da noch weiterentwickeln«.

Stärke zeigt sich auch darin, die eigenen Schwächen zu kennen. Aber Schwäche?

Vielleicht hat die Schnell-Lernerin Sjoeke Nüsken den letzten Schritt zur Führungsspielerin längst geschafft.

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