Bayern München und das Warten auf den Titel Der Phantommeister
»Ja, wir sind Deutscher Meister«, sagt Joshua Kimmich – und erhält Widerspruch vom Trainer und Sportchef. Nun hoffen die Bayern auf einen Sieg von Verfolger Leverkusen.
Aus Leipzig berichtet Danial Montazeri
04.05.2025, 08.34 Uhr

Bayern-Profis in Leipzig: Sehen so Meister aus?
Foto:Maja Hitij / Getty Images
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Bereits Minuten vor dem Abpfiff begann im Bayern-Block die Party. Die Münchner Fans waren vorbereitet nach Leipzig gereist; nun präsentierten sie ihre ins Stadion geschmuggelten Feuerwerksraketen. Eine nach der anderen zündeten sie in Richtung Himmel, und während auf dem Rasen die Bayern-Profis versuchten, ihre 3:2-Führung ins Ziel zu bringen, knallte und funkelte es über ihnen wie an Silvester.
Als die Partie in Leipzig vorbei war, flogen keine Raketen mehr, sondern eine Trinkflasche. Leon Goretzka hatte sie mit einer Wucht auf den Rasen gepfeffert, dass man ihm in diesem Moment lieber aus dem Weg gehen wollte. Der Mittelfeldspieler des FC Bayern München war wütend.
3:3 endete das Spiel der Bayern in Leipzig; ein Spiel, bei dem die Bayern erst wackelten, dann aufdrehten und ein 0:2 in ein 3:2 verwandelten, um dann in der fünften Minute der Nachspielzeit den Ausgleich zu kassieren. Sie vollbrachten das Kunststück, dass sich ein Unentschieden zu gleichen Teilen wie Triumph und Niederlage anfühlte.
Neun Punkte trennen nun den FC Bayern von Verfolger Leverkusen. Damit die Münchner tatsächlich den Titel verspielen, müsste Leverkusen nicht nur am Nachmittag in Freiburg und die beiden nachfolgenden Partien gewinnen. Die Bayern müssten auch noch zweimal verlieren. Und das sehr hoch. Denn beide Teams trennen nicht nur neun Punkte, sondern auch 30 Tore.

Joshua Kimmich: »Wir sind Deutscher Meister, wenn wir alle ehrlich sind«
Foto: Ronny Hartmann / AFPJoshua Kimmich formulierte es so: »Ich glaube nicht dran, dass Leverkusen dreimal 7:0 gewinnt und wir noch zweimal 0:5 verlieren.« Und er sagte den schönen Satz: »Wir sind Deutscher Meister, wenn wir alle ehrlich sind.«
Die Bayern sind also Meister, aber nur wenn sie nicht künstlich auf Spannung machen. Denn ganz offiziell sind es noch nicht. Man könnte die Bayern als Phantommeister bezeichnen. Schrödingers Titel.
Kimmich sagte, dass die Bayern dieses Unentschieden auch ausgelassener gefeiert hätten, wenn der Spielverlauf ein anderer gewesen wäre. Aufgrund des späten Ausgleichs sei es aber »emotional nicht ganz so einfach, da zu feiern.«
Widerspruch von den Vorgesetzten
Kimmich widersprach allerdings Sportchef Max Eberl (»Ein weiterer Schritt zur Meisterschaft.«). Und Trainer Vincent Kompany sagte, dass er erst dann feiern könne, wenn es nicht mal eine 0,1-prozentige Chance gebe, dass die Bayern den Titel noch verspielen.
Das Tor, das die Bayern der Meisterschaft so nah brachte, hatte Kompany zuvor die Fassung verlieren lassen. Der sonst so gelassene Trainer war nach dem 3:2 durch seine Coachingzone gesprungen und dann sogar aufs Spielfeld, wo Trainer bekanntlich nichts verloren haben. Das Tor zum 3:3 nahm er später äußerlich gefasst hin.
Kompanys Vater Pierre war eigens aus Brüssel nach Leipzig gereist, er wollte im Stadion miterleben, wie sein Sohn den größten Erfolg seiner bisherigen Trainerkarriere feiert. Und wie viel dieser Erfolg Vincent Kompany bedeutet, zeigte der Jubel beim 3:2.

Harry Kane am Spielertunnel: Warten auf den Platzsturm
Foto: Matthias Schrader / APDer gelbgesperrte Kane verließ seinen Tribünenplatz noch vor Abpfiff, die letzten Spielminuten verfolgte er am Spielertunnel und wartete auf die Chance zum Platzsturm. Doch statt eines Jubelrauschs und dem Erstkontakt mit dem Münchner Brauch der Weißbierdusche blieb er nach dem 3:3 einige Augenblicke im Tunnel stehen. Erst mit einiger Verzögerung trottete er auf den Rasen. Vielleicht musste er die eigenen Gefühle sortieren. Kane, 31, stand schon oft in seiner Karriere dicht vor einem Titelgewinn. So wenig wie an diesem Samstag fehlte ihm selten.
Das Gefühle Sortieren gehört in dieser Saison beim FC Bayern dazu. Oft weiß man nach Spielen nicht so recht, wie diese einzuordnen sind. Das Ausscheiden in der Champions League gegen Inter Mailand sowie im Pokal gegen Leverkusen etwa nahm die Öffentlichkeit trotz der Resultate mit einiger Milde hin. Schließlich fehlten den Bayern entweder zahlreiche Leistungsträger verletzt (Mailand) oder ein elfter Mann auf dem Rasen (Manuel Neuer und der Platzverweis gegen Leverkusen).
Gegen Leipzig war es nun ähnlich, eine Niederlage wäre wohl selbst von Skeptikern hingenommen worden. Kein einziger Spieler aus der Viererkette, die in Leipzig begann, würde an selber Position aufgestellt werden, wenn bei den Bayern alle fit wären.
Konrad Laimer würde nicht hinten links spielen, sondern rechts. Eric Dier und Josip Stanišić würden auf der Bank sitzen. Rechtsverteidiger Sacha Boey macht es derzeit sogar Fürsprechern schwer, seine Eignung für Bayern München zu rechtfertigen.
»Ich hoffe, dass Leverkusen gewinnt«
Wenn dann auch noch Manuel Neuer, Jamal Musiala und Kane fehlen, kann man in Leipzig verlieren. Aber die Bayern sind widerstandsfähig. Das zeigten schon die Partien gegen Inter. Und sie haben in Michael Olise einen herausragenden Fußballer in ihren Reihen.
Olise war an zwei Bayern-Treffern direkt beteiligt, er ist seit Monaten Münchens bester Flügelstürmer. 53 Millionen Euro hat der 23-Jährige im Sommer gekostet, aber er spielt wie jemand, für den man das Doppelte hätte verlangen können. Auch für Olise ist/wird die Meisterschaft der erste Titel überhaupt. Möglicherweise darf er schon am Abend feiern, falls Leverkusen kein Sieg in Freiburg gelingt.
Bayer drücken dann allerdings sogar die Bayern selbst die Daumen. »Ich hoffe, dass Leverkusen gewinnt«, sagte Kimmich. Dann wäre die Meisterentscheidung nochmals vertagt, und sehr wahrscheinlich würde sie am kommenden Samstag gegen Mönchengladbach fallen, daheim in München. Olise und Kompany und Kane, sie hätten dann ihren Titel. Und sie würden noch eine neue Erfahrung machen. Nämlich wie es sich anfühlt, mit Weißbier übergossen zu werden.