Es sind zwei einfache Fragen, die sich vor dem Tag, an dem sich Friedrich Merz der Wahl im Bundestag stellt, aufdrängen: Wird der Neue ein guter Kanzler sein? Und werden die Leute ihn mögen oder zumindest respektieren? Die Antworten werden sich wechselseitig beeinflussen: Falls Merz einen Draht zu den Leuten findet, wird das die Wahrnehmung und die Beurteilung seiner Leistungen positiv beeinflussen. Mehr noch, es würde es ihm erleichtern, erfolgreich zu sein.
Nun wird Merz viele große Herausforderungen nur wenig beeinflussen können. Von Putin und Trump sind plötzliche Volten jederzeit zu gewärtigen. Vom sozialdemokratischen Koalitionspartner ebenfalls. Was Merz selbst steuern kann, ist die Art der Kommunikation. Der Jurist aus dem Sauerland ist beileibe kein Intellektueller, aber doch ein Mann des Worts. Er verfügt über die hierzulande seltene Gabe, komplexe Sachverhalte der unterschiedlichsten Politikfelder präzise und allgemein verständlich zu erläutern.
Das verheißt nach 20 Jahren mit der nüchternen und zumeist in Allgemeinplätzen sprechenden Merkel und dem kurz angebundenen Langweiler Scholz eine wohltuende Abwechslung. Mehr noch: Merz ist schlagfertig, er hat Freude an Debatten, in denen prägnante Formulierungen, idealerweise in freier Rede vorgetragen, zählen; seine tragende Stimme hilft ihm dabei. In dieser Hinsicht kann ihm in der Bundespolitik niemand das Wasser reichen. In der CDU wurde diese Fähigkeit so sehr vermisst, dass Merz auch nach dem Rückzug aus der Politik unvergessen blieb.
Rhetorisch anspruchsloses Publikum
Diese Stärke ist allerdings auch eine Schwäche. Dass da einer spricht, der präzise und gern provokant auf den Punkt bringt, was sie selbst mehr fühlen als denken, sorgt unter Gleichgesinnten für ein wohliges und befreiendes Gefühl, löst beim politischen Gegner aber heftigen Widerspruch aus. Und auch das harmoniebedürftige, in Sachen Rhetorik anspruchslose deutsche Publikum ist in dieser Hinsicht empfindlich. Merkels Popularität kam nicht von ungefähr.
Es gibt weitere Schwächen in Merz’ Sprechweise. Da ist der leicht herablassende Ton, den er mitunter anschlägt, etwa als er mit Blick auf Ostdeutschland ausführte, dass er dort etwas mehr erklären müsse als im Westen, aber trotzdem gern hinfahre. So etwas kann als Zeichen von Robustheit gut ankommen; Gerhard Schröder beherrschte das einst meisterhaft. Im Fall von Merz wirkt es ungeschickt.
Das liegt auch daran, dass in die Auftritte des feingliedrigen Neunundsechzigjährigen immer noch ein Element von Nervosität hineinspielt. Zweimal haben ihm in entscheidenden Momenten als Redner die Nerven versagt, nämlich auf CDU-Parteitagen, als er sich gegen keineswegs übermächtige Gegner um den Parteivorsitz bewarb und jeweils unterlag. Die Skepsis selbst unter Wohlgesinnten, ob Merz das Zeug zum Kanzler hat, rührt nicht zuletzt von diesen Zeichen der Schwäche her.
Merz hat in den vergangenen Jahren an seinem Auftreten, an seiner leicht beleidigt wirkenden Mimik gearbeitet. Und er wirkt noch einmal entspannter, seit er unangefochten den Anspruch auf den ersehnten Topjob erheben darf. In den überlangen Wochen seiner Vorkanzlerschaft hat er sich stark zurückgenommen, während seines Auftritts in der Talkshow von Caren Miosga Mitte April wirkte er bemüht, seine Äußerungen mit Ironie abzumildern.
In jener Sendung sagte er auch, es müssten mehr Emotionen in der Politik möglich sein, mehr Pathos und mehr Patriotismus. Dass Merz damit gut beraten wäre, ist zu bezweifeln. Es will nicht recht zu ihm passen. Ohnehin scheint sich die Nachfrage im Wahlvolk eher darauf zu richten, dass auf Worte mehr Taten folgen. Merz muss wesentlich deutlicher als seine Vorgänger erklären, was er tut und warum es notwendig ist.
Nach seinem Wortbruch in Sachen Schuldenbremse ist die Aufgabe nicht kleiner geworden. Aber in diesem Sündenfall liegt auch eine Chance. Merz, von dem sich viele Wähler – und er selbst womöglich auch – eine Rückkehr zu den Maximen der alten Bundesrepublik erhofft hatten, weiß schon zu Beginn seiner Kanzlerschaft, dass er das Land in eine ganz neue Zeit führen muss.