Stimme und Wahrheit
Dass an Timothée Chalamet ein sehr guter schlechter Rapper mit entsetzlichen Texten sein kann, weiß die Welt, weil er’s vor ein paar Jahren in der Show „Saturday Night Live“ demonstriert hat. Dieser Film legt noch einen drauf: Als sehr guter schlechter Folk-Sänger mit ausgezeichneten Texten taugt er erst recht.
„Lügenlieder voller Wahrheit gibt’s viele in James Mangolds Film ‚Like A Complete Unknown‘, der von einigen Laufbahnstationen des Sängers Dylan in den Sechzigerjahren handelt. Einmal steht der von Timothée Chalamet unter Einsatz seines gesamten Jungstar-Wagnis-Charismas gespielte (und gesungene) Held des Films mit der Kollegin und zeitweiligen Geliebten Joan Baez, kristallin spröde verkörpert von Monica Barbaro, vor der Gemeinde und spielt diesen Begeisterten mit der Duettpartnerin ein Zerwürfnis vor, extrem unwahr, die Performance ist ja Sex, nicht Streit“, schreibt Dietmar Dath.

Kämpfen für den Betriebsfrieden
„Mission: Impossible Final Reckoning“ von Christopher McQuarrie
Viele Leute wären froh, wenn sie ihren Arbeitsplatz nicht mit Künstlicher Intelligenz teilen müssen. Der Geheimagent Ethan Hunt sieht das ähnlich, sein Arbeitsplatz ist allerdings die ganze Welt, und deshalb braucht die Lösung des Problems viel Aufwand.
„Im absolut standesgemäß krachenden M:I-Finale ringt Tom Cruise mit einer Künstlichen Intelligenz. Der Plot rankt sich um deren Quelltext, als könnte man eine Macht, die sich als vergegenständlichte und zugleich verselbständigte Arbeit technischer Berufe selbst hypostasiert, noch an ihrem Ursprung packen“, schreibt Dietmar Dath.

Mehr ist mehr
„Mickey 17“ von Bong Joon-ho
Kann man von Robert Pattinson je genug haben? Auf keinen Fall, findet der südkoreanische Regisseur Bong Joon-ho und lässt ihn als Wegwerf-Klon einer menschenverachtenden Raumfahrtmission gleich mehrmals und in verschiedenen Persönlichkeitsvarianten wieder auferstehen.
„Man kann bei einem Bong-Film nie genau sagen, in welchem Ton er gehalten ist, denn die Stimmung wechselt zwischen schwarzem Humor und einem brutalen Blick auf die menschlichen Abgründe, zwischen federnden Actionsequenzen und Momenten herzzerreißender Niedlichkeit – und dennoch wirkt der Film nie uneinheitlich, denn jede einzelne Figur, von der Kampfpilotin (Naomi Ackie) über den hinterlistig diebischen Freund (Steven Yeun) bis zum zotteligen Riesenasselbüffel darf sich noch in kleinsten Szenen als komplexe Persönlichkeit zeigen. Eine bessere Welt als die vorhandene ist das nicht unbedingt. Aber interessanter“, schreibt Maria Wiesner.

Kein Eintagsflieger
„Superman“ von James Gunn
Superhelden sind eigentlich seit spätestens Ende 2023 durch, aber der superste von ihnen allen zeigt sich infolge einer Runderneuerung durch James Gunn nochmal unerwartet super (aber nicht so super wie sein Hund, der eigentlich der Hund seiner Cousine Kara ist, dazu dann doch demnächst nochmal mehr).
„Der Regisseur Gunn nun weiß, was sie alle wussten: Lex Luthor ist nicht einfach übertrieben intelligent und (deshalb? oder trotzdem?) böse. Sondern seine Bosheit ist ein Loch in seiner Intelligenz, nämlich ein völlig verkehrtes Verständnis davon, was Intelligenz überhaupt ist und wozu sie taugt. Er denkt das, was Sam Altman und Bill Gates denken: Der Intellekt sei dazu da, der Welt und anderen Leuten den Willen derer aufzuzwingen, die den Intellekt zu nutzen wissen, so, wie man einen prompt in einen künstlichen Intellekt eingibt. Aber lebendige Intelligenz wirkt kommunikativ zurück auf die Wünsche, sogar die Triebe derer, die sie gebrauchen“, schreibt Dietmar Dath.

Wer war was?
„After the Hunt“ von Luca Guadagnino
Eine Kollision kosmischer Größenordnung: Ayo Edebiri, Julia Roberts und Andrew Garfield in einem vom Film nie ganz aufgeklärten sexualisierten Grenzüberschreitungsfall, bei dem es zwar sehr darauf ankommt, was eigentlich wirklich passiert ist (wir erfahren es nicht), aber noch mehr darauf, wie die Figuren damit nicht fertigwerden.
„Julia Roberts ist die Meisterin dieses Selbstverrats. Die Zeiten, in denen sie ihr Mona-Lisa-Lächeln von Film zu Film tragen musste (einer hatte es sogar im Titel), sind zwar vorbei, aber eine Rolle wie in Steven Soderberghs ‚Erin Brockovich‘, in der sie ebenso viele Schläge austeilen wie einstecken durfte, hat sie schon lange nicht mehr bekommen (auch bei Soderbergh nicht). Hier nun darf sie endlich die Endfünfzigerin sein, die sie mittlerweile ist, und zugleich ihre neurotische Energie aus einem Liebestrauma schöpfen, das zu ihrer Kinokarriere wie angegossen passt (auch ‚Pretty Woman‘ hatte ja einen viel älteren Mann)“, schreibt Andreas Kilb.

Alle Untertassen im Schrank
„Bugonia“ von Giorgos Lanthimos
So ganz irdisch war Emma Stone noch nie, aber diesmal verlässt sie endgültig die Erde und begegnet da oben Jesse Plemons, der vor gerechtem Zorn platzt und ihr um die Ohren fliegt. Eine Komödie, die auch was fürs Herz bietet: Gift.
„Gegenüber ihren Entführern behält sie den kühlen Ton der Businessfrau bei, die gewohnt ist, dass es nach ihrem Willen geht. Sie antwortet auf Teddys Alien-Beweisargumentationsketten also mit: ‚I hear where you’re coming from, and I respectfully disagree.‘ An diesem Konferenzteflon perlt alles ab. Die Mauer der verdrehten Argumente des Fake-News-Gläubigen kann aber auch dieser neuartige Dialekt nicht einreißen. Wörter sind verdreht, Sprache ist ohnmächtig“, schreibt Maria Wiesner.

Eine Computopie
„Tron: Ares“ von Joachim Rønning
Jared Leto als lebendes Computerprogramm, Greta Lee als lebende Infragestellung der gegenwärtigen Welt und Jeff Bridges als die richtige Haltung, die man zum Leben braucht – so setzt man etwas fort, das schon seit 1982 lebt, und wirkt nicht antiquiert dabei.
„Wie verkörpert man ein Computerprogramm? Also nicht: eine Maschine, das können inzwischen ja alle (Infotechnik behandelt uns schließlich fortwährend als Ansammlung von Endgeräten), sondern: eine Sequenz von Rechenbefehlen – wie spielt man das? Jared Leto stellt im Film ‚Tron: Ares‘ von Joachim Rønning, dem dritten Teil einer Reihe, die 1982 mit Steven Lisbergers ‚Tron‘ begann und 2010 mit Joseph Kosinskis ‚Tron: Legacy‘ fortgesetzt wurde, ein Programm namens ‚Ares‘ dar. Das macht er hauptsächlich mit Blicken, die wirken, als ob er seine eigenen rekursiv ineinandergeschachtelten Denk-Dispositionen permanent neu schreibt, wenn er irgendetwas betrachtet“, schreibt Dietmar Dath.

Lieber Bob als Populismus
„One Battle After Another“ von Paul Thomas Anderson
Thomas Pynchon schrieb die Romanvorlage „Vineland“ mit Ronald Reagans Präsidentschaft im Blick. Regisseur Paul Thomas Anderson macht daraus eine Analyse der USA unter Donald Trump, mit einem großartigen Leonardo DiCaprio in der Hauptrolle des alternden Widerstandskämpfers Bob.
„Der Film ist kein Gemeinschaftskundevortrag; man hat Spaß – am meisten mit Benicio del Toro, der sein Rollenspiel aus ‚Inherent Vice‘ weiterführt. Dort gab er einen Anwalt, der den Helden aus unmöglichen Situationen herausholt. Hier rettet er den aufgelösten Bob. Als Karatelehrer übernimmt del Toro die Funktion ‚erwachsene Kompetenz‘. Er bringt Bob in Sicherheit. Während die beiden Männer zahllose Räume durchschreiten, gibt Carlos nebenbei Anweisungen, um möglichst viele Bewohner durch einen Tunnel in eine Kirche zu bringen. Mag sein, dass sich die Möchtegern-Rebellen um Bob früher mit Maschinengewehren als Jugendbewegung performativ beweisen wollten. Für Carlos und seine Freunde ist all das kein Spiel“, schreibt Maria Wiesner.

Ein Haus ist mehr als Kulisse
„Sentimental Value“ von Joachim Trier
Ein Haus am Stadtrand, eine behütete Kindheit, bis die Eltern sich trennen. Wie kommen die erwachsenen Töchter mit ihrem Vater klar, der das alte Haus für ein Filmprojekt nutzen will? Der norwegische Regisseur Joachim Trier, der schon für „Der schlimmste Mensch der Welt“ Renate Reinsve in der Hauptrolle besetzte, lässt die herausragende Schauspielerin diesmal auf Stellan Skarsgård los.
„Der Trick an Triers Filmen besteht darin, das er das Unglück seiner Figuren nicht dramatisiert. Stattdessen lässt er es wie einen Soundtrack in ihrem Leben mitlaufen. ‚Sentimental Value‘ beginnt damit, dass eine Erzählerstimme in ruhigem Ton das Schicksal des Holzhauses im norwegischen Drachenstil schildert, das erst von Kinder- und Erwachsenenstimmen erfüllt und dann zunehmend still und traurig ist. Durch das Filmprojekt des Vaters wird diese Stille gleichsam laut gestellt“, schreibt Andreas Kilb.

Tier und Tor zum Glück
„Zoomania 2“ von Jared Bush und Byron Howard
Der korruptionskritische Kuschelkracher des Jahres: Häsin Judy Hopps und Fuchs Nick Wilde ermitteln in der Stadt der Tiere, was wie ein Fabelkrimi anfängt wird zwischendurch ein politisches Theaterstück von Peter Weiss und endet als Beweiserhebung zugunsten der These „Liebe braucht Kommunikation“.
„Menschen sind dermaßen oft (und berechtigt) missvergnügt oder niedergeschlagen, dass selbst ein Riesenrudel flauschigster Therapietiere nicht dagegen ankuscheln könnte. Diejenigen Angehörigen unserer Spezies jedoch, die den Trickfilm ‚Zoomania‘ seit seinem ersten Kinolauf im Jahr 2016 ein- oder dreitausendmal gesehen haben (er hält sich in höheren Quantitäten nicht nur glänzend, sondern wird bei jedem Wiedersehen besser), werden sogar im Zustand vollständiger Hoffnungslosigkeit jetzt die Gelegenheit wahrnehmen, sich die Fortsetzung ‚Zoomania 2‘ von Jared Bush und Byron Howard zeigen zu lassen, um erneut Zeit mit den lebenden Gemütsaufhellern zu verbringen“, schreibt Dietmar Dath.


vor 2 Tage
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