Endlich, Ursula von der Leyens neue EU-Kommission kann loslegen. Sie startet mit dem schlechtesten Ergebnis, das je eine Kommission erzielt hat. Und es bleibt schwierig.
27. November 2024, 20:45 Uhr
Ursula von der Leyen hat es geschafft. Das Europarlament hat ihr Kabinett aus 26 Kommissarinnen und Kommissaren bestätigt. Sechs Monate nach der Europawahl kann die Kommission Ursula von der Leyen II also mit der Arbeit beginnen. Endlich hat Europa wieder eine handlungsfähige Kommission.
Wenn man sich vor Augen führt, was in diesem halben Jahr geschehen ist, wird deutlich, wie dringlich das ist: Frankreichs Emmanuel Macron rief Neuwahlen aus und verwandelte sich dadurch für den Rest seiner Amtszeit in eine lame duck. Die Amerikaner wählten Donald Trump zum zweiten Mal ins Weiße Haus. Nordkorea schickte 10.000 Soldaten nach Europa, um an der Seite Russlands gegen die Ukraine zu kämpfen. Die russische Armee erzielte Geländegewinne. Und die Berliner Ampel löste sich in Luft auf. Diese unvollständige Liste zeigt, wie schnell sich das Rad der Geschichte drehte, während die europäischen Institutionen ihren demokratischen Gang gingen – man ist versucht zu sagen: dahin schlenderten.
Der erste Blick richtet sich auf Ursula von der Leyen selbst: Ist sie die Richtige in diesen verdichteten, höchst gefährlichen Zeiten?
Außer Zweifel steht, dass es Führungsstärke braucht, um gegenüber Politikern wie Donald Trump und Wladimir Putin bestehen zu können. Und über die verfügt von der Leyen, das hat sie in den vergangenen fünf Jahren bewiesen. Sie hat die EU entschlossen durch die Pandemie geführt und eine entschiedene Antwort der EU auf die Invasion Russlands in die Ukraine organisiert. Ihre Qualität wird noch deutlicher werden, da Frankreich und Deutschland geschwächt sind. Wer nach Führung Ausschau hält, der wird unweigerlich bei von der Leyen landen.
Die proeuropäische Mehrheit wackelt
Allerdings ist das Fundament, auf das sich von der Leyen in den kommenden fünf Jahren stützen muss, brüchig geworden. Das trifft gleichermaßen auf die Mehrheitsverhältnisse im EU-Parlament zu wie auf die im Europäischen Rat.
Für ihre Wahl hat von der Leyen im Parlament Mehrheiten gefunden, die bis weit nach Rechtsaußen reichen. Dafür zahlte sie einen Preis. Zum einen hat sie einen Mann von der italienischen Rechtsaußen-Partei Fratelli d'Italia, nämlich Raffaele Fitto, zu einem der mächtigsten Kommissare ihres Kabinetts ernannt; zum anderen ist aus diesem Grund die sogenannte proeuropäische Mehrheit im EU-Parlament nicht mehr voll funktionsfähig: Die Konservativen, Sozialdemokraten, Liberale und Grüne hatten in den vergangenen Jahren diese Mehrheit gebildet. Von der Leyen konnte sich darauf verlassen.
Die Verschiebung nach Rechtsaußen konnten jetzt aber viele Abgeordnete der proeuropäischen Mehrheit nicht mitmachen. Das ist einer der Gründe, warum das Kabinett von der Leyen bei der heutigen Abstimmung das schlechteste Ergebnis einer Kommission jemals erzielt hat. Nur 370 Abgeordnete stimmten für sie, 282 dagegen, 36 enthielten sich. Das macht gerade mal 54 Prozent.
Auch die Mehrheitsverhältnisse im Europäischen Rat dürften es der überzeugten Europäerin von der Leyen schwer machen, europäische Lösungen durchzusetzen. Ob in Italien, den Niederlanden, Ungarn und vielleicht bald auch in Österreich – in vielen Mitgliedsländern gibt es Regierungen, die der EU distanziert bis offen feindlich gegenüberstehen. Der deutsch-französische Motor, der für die Integration der EU so bedeutend war, stottert nicht nur, er ist nachhaltig beschädigt.
Wann ist ein "Pro" ein "Pro"?
Den Rechtsruck der Kommission hat vor allem Manfred Weber betrieben, der Chef der Europäischen Volkspartei. Von der Leyen war die Kandidatin der EVP. Weber verfolgt seine Strategie auch mit Blick auf die politischen Veränderungen in den einzelnen Mitgliedstaaten. Wenn dort die Wähler weit nach rechts rücken, dann müsse man als Konservativer trotzdem im Gespräch bleiben. Das war und ist sein Argument. Zusammenarbeiten will er mit Rechtsaußen nur, wenn drei Bedingungen erfüllt sind: Pro-Rechtsstaat, Pro-Ukraine, Pro-Europa.
Das
klingt vernünftig, aber wann ein "Pro" ein "Pro" ist und wann schon ein "Contra",
das ist gar nicht so einfach zu definieren, wie Weber es suggeriert. Würde er
ein Gebäude, auf dem die EU-Flagge weht,
während es innen völlig entkernt wird, auch noch europäisch nennen?
Eines
lässt sich mit Sicherheit sagen: Rechtsaußen-Parteien haben grundsätzlich mit
dem "Pro" Schwierigkeiten. Sie wollen vor allem verhindern, nicht gestalten. Sie
wollen europäische Integration bremsen, zurückbauen oder gar ganz auflösen. Das
weiß von der Leyen gewiss. Ihr Kabinett befindet sich vom ersten Tag an in einem Abwehrkampf gegen die inneren und äußeren Feinde der Demokratie.