Ungarische Vertretung unter Spionageverdacht EU-Abgeordnete drängen von der Leyen zu Rausschmiss ihres Kommissars
Nach Hinweisen auf ein ungarisches Spionagenetzwerk fordern zahlreiche EU-Politiker, dass Ursula von der Leyen ihren Gesundheitskommissar aus dem Kabinett ausschließt. Doch die Kommissionschefin zögert.
Von Timo Lehmann, Brüssel
24.10.2025, 05.47 Uhr
EU-Gesundheitskommissar Olivér Várhelyi: »Anlass zu ernsthaften Bedenken«
Foto: Franc Zhurda / AP / dpaDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Insgesamt 35 EU-Abgeordnete machen in einem Brief an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Druck, dem ungarischen Kommissar Olivér Várhelyi das Vertrauen zu entziehen und ihn aus der Kommission zu entlassen. Das Schreiben haben Sozialdemokraten, Grüne und Linke unterzeichnet, es liegt dem SPIEGEL vor.
Hintergrund sind Recherchen des SPIEGEL , der belgischen Tageszeitung »De Tijd« und des ungarischen Recherchemediums »Direkt36«, wonach die ungarische Regierung und ihre Auslandsvertretung in Brüssel zwischen 2015 und 2017 versucht haben, Agenten in EU-Institutionen zu gewinnen, um an geheime Informationen zu gelangen. EU-Botschafter der ungarischen Vertretung war zu dieser Zeit Várhelyi, der heutige Gesundheitskommissar der EU. Eine Sprecherin der Kommission teilte mit, es lägen keine Hinweise vor, »dass Kommissar Várhelyi gegen Verpflichtungen« verstoßen habe.
Doch die Parlamentarier hegen große Zweifel gegenüber Várhelyi. »Seine Nähe zu den Vorgängen gibt Anlass zu ernsthaften Bedenken hinsichtlich des Vertrauens und der Integrität innerhalb des Kollegiums der Kommissare«, heißt es in dem Schreiben. Es handle sich um einen weiteren Skandal in einer langen Reihe des ungarischen »Regimes«, »das durch die Veruntreuung von EU-Geldern und anhaltende Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit« auffalle.
Die Abgeordneten berufen sich auf eine Rahmenvereinbarung über die Beziehungen zwischen dem Europäischen Parlament und der Kommission, wonach das Parlament »den Präsidenten der Kommission auffordern kann, einem einzelnen Mitglied der Kommission das Vertrauen zu entziehen«. Wenn sich die Anschuldigungen bewahrheiten, wäre das ein Angriff auf die Grundwerte der Europäischen Union.
Die Unterzeichner des Briefes an von der Leyen fordern, Várhelyi jetzt rauszuwerfen, auch ohne weitere Untersuchungen. Die von jedem Kommissar »verlangte Unabhängigkeit ist grundsätzlich unvereinbar mit der strukturellen Einbettung von Kommissar Varhelyi in ein System, das darauf abzielt, die Interessen der Regierung Orbán auf Kosten des Allgemeininteresses der Union zu fördern«, schreiben sie.
Von der Leyen hält an Várhelyi fest
Mitunterzeichnerin und Vizeparlamentspräsidentin Katarina Barley (SPD) sagte dem SPIEGEL: »Viktor Orbán und seine Partei sind ein Sicherheitsrisiko für die Europäische Union, das wissen wir schon lange. Sein illiberales, korruptes Regime baut systematisch die Rechtsstaatlichkeit ab und verletzt die Grundrechte von Millionen Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern.« Nun zeigten Berichte, dass ein ungarisches Spionagenetzwerk innerhalb der EU sein Unwesen trieb.
Wie aus der Kommission zu hören ist, hat von der Leyen Várhelyi zu den Vorgängen befragt. Dabei habe dieser behauptet, er habe von der Spionageaktion keine Kenntnis gehabt. Daran gibt es jedoch erhebliche Zweifel, da Várhelyi als akribisch gilt; als jemand, der genau weiß, was in der EU und in Ungarn vor sich geht.
Dennoch wolle die Kommissionschefin Várhelyi nicht aus dem Amt drängen. Zur Begründung heißt es, es sei nicht klar, wen die ungarische Regierung als möglichen Nachfolger nach Brüssel schicken würde; womöglich könnte auch das eine problematische Personalie sein. Zudem habe Ungarn als EU-Mitgliedstaat ohnehin Zugang zu Informationen in der EU, unabhängig davon, ob Várhelyi geht oder bleibt.

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