Essen und Politik: Verbietet den Italienern die Pasta!

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Der Bauch und das Herz sind verbunden. Damit ist an dieser Stelle nicht gemeint, dass die Liebe sprichwörtlich durch den Magen geht, sondern dass kaum eine Diskussion über Esskultur ohne große Emotionen auskommt. Von der Überlegung, ob man einen Veggie-Day in der Kantine einführen oder Schweinefleisch im Kindergarten servieren sollte, sehen manche gleich die Zukunft des Abendlandes bedroht. Und die Entscheidung zwischen Kuh- und Hafermilch hat Kulturkampfpotential. Das ist nicht nur in Deutschland so: Selbstverständlich ist es hochpolitisch, ob nun die Israelis oder die Araber den Hummus erfunden haben. Und die provokante Behauptung des italienischen Historikers Alberto Grandi, die Carbonara sei eigentlich ein amerikanisches Gericht, stellte vor ein paar Jahren das italienische Selbstverständnis infrage.

Der Aufschrei, der auf steile kulinarische Thesen oder Änderungen am bisherigen Speiseplan folgt, ist also vorhersehbar. Kein Wunder, dass solcherlei Provokationen deshalb mitunter ganz bewusst eingesetzt werden. Das bedeutet jedoch nicht, dass diejenigen, die bestimmte Traditionen infrage stellen, nicht auch ein echtes Anliegen hätten. In seinem neuen Buch „Küchen-Revoluzzer“ stellt der österreichische Literaturwissenschaftler Walter Schübler vier von ihnen vor und zeichnet die Debatten nach, die auf ihre jeweiligen Vorschläge folgten: Der italienische Futurist Filippo Tommaso Marinetti wollte einst die Pasta abschaffen, der Architekt Adolf Loos bezeichnete die Wiener Küche als „ekelhaft“, der tschechische Politiker Ladislav Procházka versuchte seinen Landsleuten die Mehlspeisen auszureden, und der deutsche Konditor Bernhard Lambrecht unterzog die deutsche Tortenlandschaft einer Kitschkur – die neue Sachlichkeit sollte man nun auch auf den Tellern sehen.

Einige der Vorschläge könnten aus der Gegenwart stammen

Abgesehen von Lambrecht, der mit seinen Ideen großen Erfolg hatte und verhältnismäßig wenig Gegenwind bekam, folgten auf alle Vorschläge größere Diskussionen, wenn auch die um Marinetti und Loos eher hitzig und feindselig, die um Procházka konstruktiver waren. Dass der Konditor auf offenere Ohren stieß, mag damit zu tun haben, dass er „nur“ ästhetische Kritik äußerte, am Essverhalten der Deutschen aber nichts ändern wollte. Den Italienern die Pasta verbieten zu wollen, war dagegen etwas ganz anderes.

 „Küchen-Revoluzzer“.Walter Schübler: „Küchen-Revoluzzer“.Edition Atelier

Interessanterweise lesen sich einige der Analysen Marinettis, Loos’ und auch Procházkas erstaunlich aktuell, auch wenn die Schlüsse, die sie daraus ziehen, es nicht unbedingt sind. Allen dreien ist gemein, dass es ihnen zumindest in Teilen um die Gesundheit geht und dass sie Kenntnisse der Ernährungswissenschaft und Chemie einbeziehen. Besonders Procházkas Änderungsvorschläge könnten fast von heute stammen: Gut frühstücken, mittags dagegen leichteres Essen, weniger Bier trinken, mehr Obst und Gemüse essen. „Das Quantum reduzieren, nie bis zum völligen Sättigungsgefühl oder sogar bis zur Übersättigung essen.“ Dazu würden heutige Ernährungsberater wahrscheinlich genauso raten. Und auch der dazugehörige Selbstoptimierungsgedanke ist von unserer Gegenwart nicht weit entfernt. Nur die Gründe für diese Selbstoptimierung sind, zumindest vordergründig, andere.

Der Faschist Marinetti möchte seine Landsleute kriegstüchtig machen und glaubt, dass „das gelenkigste, sprungbereiteste Volk den Sieg davontragen wird“. Pasta, die ihre Esser träge werden lässt, steht laut Marinetti „der innovativen Dynamik unserer imperialen Rasse“ entgegen. In seinen ausgefeilten futuristischen Menüs, deren gesundheitliche Vorzüge man teilweise ebenso infrage stellen darf wie die eines Tellers Pasta, kommt diese Idee zum Ausdruck: Das „Huhn Fiat“ ist mit „Bällchen von süßem Stahl“ gefüllt. Was auch immer man sich darunter vorstellen mag, die Idee dahinter ist klar: Wer Stahl isst, wird stählern. Und auch Loos stellt – möglicherweise aus rhetorischen Gründen – einmal die steile These auf, die Österreicher hätten den Ersten Weltkrieg nur wegen ihres Speiseplans verloren.

Wer ist schuld: Männer oder Frauen?

Genau wie heute treten häufig die kulinarischen gegenüber den politischen Argumenten in den Hintergrund. Denn wie beim Streit um Kuh- oder Hafermilch geht es nicht darum, was dem Einzelnen besser schmeckt. Sondern vielmehr um die politischen Implikationen, die damit verbunden sind. So ist es auch beim Pasta-Streit: Marinetti plädiert auch deswegen für Reis, weil dieser in Italien angebaut wird, man den Weizen für die Pasta jedoch zu großen Teilen importieren muss. Das ist ein nationalistisches Argument. Zu einem solchen griffen seine Gegner aber auch. Sie priesen, wie Massimo Bontempelli, ebenfalls Anhänger des Faschismus, die Pasta als eine Art Nationalheiligtum Italiens.

Unterhaltsam ist die Debatte, die sich um Procházkas Vorschläge entspinnt. Da der Politiker davon überzeugt ist, dass es die Frauen sind, die einen Wandel in der Küchenkultur vorantreiben müssen, weil sie es sind, die kochen, wird über die Frage diskutiert, ob nun eher sie oder die Männer einer Verbesserung im Weg stehen. So heißt es in einem Leserbrief über den Mann: „Im Glauben, die Stütze der Gesellschaft zu sein, stellt er die quietschende Bremse jeglichen Fortschritts dar, nicht nur in der Küche!“ In einem anderen dagegen wird behauptet, dass „des blinden und gedankenlosen Konservatismus … nur die Frauen fähig sind“.

Auch hier geht es schnell nicht mehr um Kulinarisches, sondern um die Rolle der Familie und des familiären Mittagessens, nicht zuletzt natürlich um die Rolle der Frau: „Ich verstehe nicht“, ist einem weiteren Leserbrief zu entnehmen, „wieso noch niemand ob der Jahre und Jahrhunderte Arbeitszeit stutzig geworden ist, die Köchinnen dieser Welt täglich am Herd verbringen, um im Schnitt für drei Personen zu kochen!“

Es lohnt sich, diese Debatten auch rund hundert Jahre später noch einmal zu betrachten, eben weil einem so vieles davon bekannt vorkommt. Und weil sich anhand von Diskussionen ums Essen gut nachvollziehen lässt, was eine Gesellschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt umtreibt. Man kann dabei durchaus ans Heute denken: Was bedeutet es, wenn bestimmte Argumente, wie etwa das der Selbstoptimierung, plötzlich wieder so stark in den Vordergrund rücken? Obwohl die Küchen-Revoluzzer in einigen Punkten sicherlich recht haben und einem bei der Beschreibung zahlreicher Mahlzeiten voll üppiger, nicht enden wollender Mehlspeisen tatsächlich eher der Appetit vergeht, überkommt einen bei den Hintergedanken, wie etwa Marinetti sie hat, ein Schauder. Da gönnt man sich doch lieber noch ein Stück Torte im Stil der Neuen Sachlichkeit.

Walter Schübler: „Küchen-Revoluzzer“. Edition Atelier Verlag, Wien 2025. 160 S., Abb., geb., 26,– €.

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