Enthüllungsbuch über Joe Biden: Was Washington wusste

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Ex-US-Präsident Joe Biden

Ex-US-Präsident Joe Biden

Foto: Leigh Vogel / EPA

Wer enge Vertraute von Joe Biden in den Monaten vor dem US-Präsidentschaftswahlkampf nach dessen Zustand fragte, bekam immer dieselbe Antwort: »Er ist okay, er ist okay, er ist okay«. Aber er war nicht okay. So schreiben es die Journalisten Jack Tapper und Alex Thompson in ihrem Enthüllungsbuch »Original Sin«, das in der nächsten Woche erscheint (auf Deutsch unter dem Titel »Hybris«) und den Niedergang des Ex-Präsidenten Biden beschreibt, und fast noch wichtiger: Wie er vor der Welt vertuscht wurde.

In der Bibel begehen die Ursünde Adam und Eva, die vom Baum der Erkenntnis essen, obwohl Gott es verboten hat. In Tappers und Thompsons Buch beschreibt die Ursünde das Gegenteil: eine Gruppe von Menschen, die ihre Augen verschließen vor dem, was für alle offensichtlich sein sollte. Der amtierende US-Präsident, der sich um eine zweite Amtszeit bewerben will, ist kognitiv nicht mehr in der Lage, das anspruchsvolle Amt auszufüllen.

Nur wenige Quellen sprechen offen

Mit rund 200 Personen wollen Tapper und Thompson für ihr Enthüllungsbuch über die späte Präsidentschaft von Biden gesprochen haben, die meisten ihrer Quellen bleiben anonym. CNN-Chefmoderator und Washington-Hauptkorrespondent Tapper und Axios-Korrespondent Thompson sind in Washington gut vernetzt – trotz der vielen namenlosen Quellen kann davon ausgegangen werden, dass das Bild, das die Journalisten zeichnen, von der Realität gedeckt ist.

Auch jetzt, wo Kontrahent Donald Trump bereits gewählt ist und an jedem weiteren Tag die amerikanische Demokratie demontiert, trauen sich offenbar nur wenige Demokraten, offen über den Verfall des Ex-Präsidenten zu sprechen. Stellungnahmen von Joe Biden zu den Vorwürfen sind nicht Teil des Buches.

Die »New York Times« konnte das Buch vorab lesen,  die Schlüsse, die daraus gezogen werden, sind erschreckend.

 Wahlkampf-Debatte zwischen Donald Trump und Joe Biden

Der Anfang vom Ende: Wahlkampf-Debatte zwischen Donald Trump und Joe Biden

Foto: Will Lanzoni / Cnn Photos / EPA

Bereits während seiner Bewerbung um die Präsidentschaft im Jahr 2020, und so auch während seiner Präsidentschaft, habe Biden die Namen langjähriger Mitarbeiter und Verbündeter vergessen. So habe er etwa George Clooney nicht erkannt, berühmter Schauspieler und langjähriger Großspender der Demokraten. Bei einer anderen Gelegenheit habe er seinen Gesundheitsminister mit seinem Heimatschutzminister verwechselt.

Er habe fragil gewirkt, heißt es demnach in dem Buch, und seine Mitarbeiter hätten sich gefragt, ob er in seiner zweiten Amtszeit einen Rollstuhl benötigen würde. Personen, die Biden nach langer Zeit wiedergetroffen hätten, hätten sich entsetzt über dessen physischen Verfall gezeigt. Für Kabinettssitzungen habe es Skripte gegeben, auch wenn sie unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfanden. Ein Demokrat verglich Bidens physischen Zustand mit dem seines an Parkinson sterbenden Vaters, heißt es in dem »New York Times«-Artikel unter Bezug auf das Buch.

Der zentrale Wendepunkt war die erste – und einzige – Fernsehdebatte zwischen Trump und Biden im Wahlkampf 2024. Biden strauchelte und stolperte über seine eigenen Worte, das sorgfältig gewebte Sicherheitsnetz, das um ihn gespannt wurde, riss. Nicht nur die Amerikaner, die ganze Welt konnte sehen, wie stark der Präsident gealtert war.

Der große Vorwurf des Buches gilt jedoch nicht Biden selbst, sondern dem Kreis seiner engen Vertrauten. »Das Politbüro« nennen die Buchautoren diese Gruppe, eine Anspielung auf die politischen Entscheidungsträger der Sowjetunion. Eine wichtige Rolle spielte dabei Jill Biden, die Ehefrau des Ex-Präsidenten. Diese habe keinerlei Diskussionen über den Zustand ihres Ehemannes geduldet und sei im Laufe seiner Präsidentschaft zunehmend in dessen Entscheidungsprozesse eingebunden gewesen. Aber auch Bidens Berater Mike Donilon und Steve Ricchetti sollen den Zustand des Präsidenten nicht nur vertuscht haben, sondern aktiv gelogen und Journalisten »gegaslighted« haben,  die Fragen stellten.

Von den vielen anonymen Gesprächspartnern kommen laut »New York Times« die meisten zu demselben Schluss: Dass Gebrechlichkeit und Verfall des Präsidenten nicht nur vor Demokraten, sondern auch vor den US-Bürgern systematisch vertuscht wurden. Versuche, einen Vorwahlkampf durchzuführen, bei dem sich der amtierende Präsident jüngeren Herausforderern hätte stellen müssen, seien abgewiegelt worden. Und Vizepräsidentin Kamala Harris sei somit viel zu spät in ein bereits aussichtsloses Rennen geworfen worden. So zitieren die Autoren etwa David Plouffe, einen ehemaligen Berater von Barack Obama und Kampagnenleiter von Kamala Harris, der laut einem im »New Yorker« veröffentlichten Buchauszug  sagte: »Wir wurden als Partei von Biden richtig abgezockt«.

Hätte eine zweite Amtszeit von Donald Trump verhindert werden können, wenn die Demokraten ehrlich gewesen wären? Darüber kann das Buch keine Aussage treffen. Mit der Realität der Ursünde müssen nun aber alle leben.

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