Egon Coordes: Einer, der es nicht leicht mochte

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 Er bewegte sich auch mal mit traumwandlerischer Sicherheit auf Konflikte zu

Egon Coordes: Er bewegte sich auch mal mit traumwandlerischer Sicherheit auf Konflikte zu

Foto: sportfotodienst / Claus Bergmann / IMAGO

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In Beschreibungen über ihn fielen immer wieder Adjektive wie »kantig«, »meinungsstark«, »eigenwillig«.

Das sind Begriffe, die gern auf höfliche Art umschreiben sollen, dass jemand im Umgang nicht einfach war, sondern eher anstrengend.

Egon Coordes hätte das wohl als Kompliment betrachtet. Er war einer, der es nicht leicht machte: nicht den Medien, nicht den Spielern, vermutlich auch nicht sich selbst.

Konflikten ging er nicht aus dem Weg. Im Gegenteil: Er bewegte sich auch mal mit traumwandlerischer Sicherheit auf sie zu.

Er wurde der »Schleifer« genannt

Für Coordes, am Dienstag im Alter von 80 Jahren gestorben, war vor allem eines in seinen Fußball-Jobs wichtig: Disziplin. »Ordnung und Disziplin sind die ersten Voraussetzungen für sportliche Höchstleistungen«, war sein Mantra. Das verlangte er von allen, mit denen er zusammenarbeitete.

Dass er sich damit nicht nur Freunde schaffte, kann man sich vorstellen.

Coordes als Sidekick von Jupp Heynckes bei den Bayern

Coordes als Sidekick von Jupp Heynckes bei den Bayern

Foto: Horstmüller / IMAGO

»Der Schleifer« ist er genannt worden. Die meisten würden das von sich nicht gern hören. Coordes schon. Und er ergänzte gern, er sei ein »Diamantenschleifer«.

Ein harter Bursche war Coordes schon als Spieler. Als junger Kerl kam er 1969 zu Werder Bremen und schaffte es schnell in die Stamm-Abwehr. Coordes hatte da schon den Beinamen Eisenfuß, ein Spitzname, der eigentlich seinem berühmten Teamkollegen Horst-Dieter Höttges gehörte. Ab sofort hatte Werder zwei Eisenfüße.

Beim Pfostenbruch dabei

Bei Werder blieb er zwei Jahre; er war dabei, als im Auswärtsspiel bei Borussia Mönchengladbach der Pfosten brach und das Tor in sich zusammenfiel. Coordes gehörte zu den Ersten, die das Tor so schnell wie möglich aufrichten wollten, damit es weitergehe. »Aber die Gladbacher Zuschauer standen nur drumherum mit den Händen in den Taschen und haben nichts getan.« Herumstehen und nichts tun – unmöglich aus Coordes' Sicht.

Der junge Coordes im Trikot von Werder Bremen

Der junge Coordes im Trikot von Werder Bremen

Foto: sportfotodienst / Horstmüller / IMAGO

1971 verschlug es das Nordlicht aus Bremervörde erstmals in Deutschlands Süden, die Region, in der er sein Glück finden würde. Als Spieler stand er fünf Jahre und 107 Bundesligaspiele beim VfB Stuttgart unter Vertrag und hielt seinen Eisenfuß hin.

Die gegnerischen Stürmer suchten den Zweikampf mit ihm nur, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Viele Jahre später hat Coordes in einem »Kicker«-Interview mit Carlo Wild über die Verteidiger der Nachfolge-Generationen hergezogen: »Wie viel Platz die Verteidiger heute lassen! Wie Verkehrspolizisten, die alle durchwinken. Früher gab es saubere Tacklings. Es gibt keine Zweikampfkultur mehr.«

Coordes als VfB-Verteidiger

Coordes als VfB-Verteidiger

Foto: Pressefoto Baumann / IMAGO

Der ewige Assistent

Zweikampfkultur, dafür stand Coordes auch in seiner zweiten Karriere als Trainer.

Er heuerte als Assistent beim FC Bayern an, sein Gesicht neben dem Chefcoach, das wurde von da an ein gewohntes Bild.

Er saß an der Seite von Udo Lattek, von Jupp Heynckes, von Giovanni Trapattoni, unterschiedlichste Trainertypen. Coordes blieb sich immer treu, blieb immer gleich, der Disziplinfanatiker.

»Für mich gibt es in diesem Beruf keinen freien Sonntag und keinen Geburtstag und keinen Hochzeitstag«, hat er mal gesagt, und wenn er dann doch mal seinem Hobby, dem Tennisspiel, frönte, dann wollte er auch vor allem eines: gewinnen. Weil er sich in keinem Fall »von irgendwelchen Gurken schlagen lassen will«.

Die Bayern-Bank mit Uli Hoeneß, Egon Coordes, Udo Lattek

Die Bayern-Bank mit Uli Hoeneß, Egon Coordes, Udo Lattek

Foto: imago images

Ein Erfolgsbesessener, da hatte er sich mit dem FC Bayern den richtigen Job ausgesucht. Viermal wurde er in München als Co-Trainer Meister, er hätte es sich bequem machen und in München auf Dauer den Platz neben dem Chef einnehmen können. Aber Coordes war anders.

Aus Protest gekündigt

Als Jupp Heynckes 1991 bei seiner ersten Station in München entlassen wurde, ging er aus freien Stücken gleich mit, obwohl das niemand von ihm verlangt hatte. Es war seine Art, gegen die Trennung von Heynckes zu protestieren.

Ein guter Assistent, so hat Coordes dem »Kicker« gesagt, »ist ein reiner Zuarbeiter, Verbindungsglied und Vertrauensperson zwischen Cheftrainer und Spielern. Wichtigmacher gehören nicht auf diese Position.«

Irgendwann reichte ihm das aber nicht mehr, er fühlte sich dann doch zu Höherem berufen, wollte nicht immer nur der Assistent sein. Also versuchte er es als Cheftrainer, und man kann im Nachhinein diplomatisch sagen, dass dies nicht die glücklichsten Zeiten im Berufsleben des Egon Coordes waren.

Als glückloser Cheftrainer des VfB Stuttgart

Als glückloser Cheftrainer des VfB Stuttgart

Foto: Pressefoto Rudel / Herbert Rudel / Sportfoto Rudel / IMAGO

Der Präsident des VfB Stuttgart, Gerhard Mayer-Vorfelder, holte Coordes, den ehemaligen VfB-Profi, 1986 als Trainer nach Stuttgart, er trat dort an die Stelle des populären Willi Entenmann und hatte damit von Beginn an schlechte Karten. Zumal er gleich zu Beginn auf die Dienste Entenmanns als Assistent verzichtete, mit dem Satz: »Ich brauche hier keinen zum Bälle aufpumpen.«

Die Lokalpresse hatte sich rasch auf Coordes eingeschossen, und Coordes schoss zurück.

Kleinkrieg mit der Presse

Der SPIEGEL hat den Kleinkrieg zwischen Trainer und Medien damals genüsslich aufgespießt. Es waren aber auch zu herrliche Anekdoten.

Es ging so weit, dass der von Coordes selbst abgerichtete Schäferhund Rex eines Tages den Hund eines Journalisten und anschließend den Journalisten selbst biss.

Coordes bewarf, so führt der SPIEGEL auf, einen Fotografen mit kleinen Aluminiumtafeln, mit denen die Auswechslungen angezeigt werden. Der Fotograf forderte daraufhin das Publikum auf, Coordes-Raus-Rufe anzustimmen. Stuttgart war damals schon ein Klima für Wutbürger.

Als ein etwas rundlicher Sportreporter Coordes auf einer Pressekonferenz fragte, ob denn noch was Sportliches anliege, ätzte der Trainer zurück: »Wenn ich Sie so ansehe, dann nicht.«

Nach einem Jahr war das Gastspiel in Stuttgart beendet.

Auch Giovanni Trapattoni stand er zur Seite

Auch Giovanni Trapattoni stand er zur Seite

Foto: sportfotodienst / Fred Joch / IMAGO

Abstimmung beim HSV

Auch beim Hamburger SV wurde er als Trainer nicht alt, und natürlich ging es wieder um Disziplin. Coordes war zu Ohren bekommen, dass fünf HSV-Profis einen Discobesuch bis in den frühen Morgen ausgedehnt hatten und verlangte vom Klubboss Jürgen Hunke, dass er das Quintett suspendiere.

Stattdessen ließ Hunke die Mannschaft abstimmen: die Spieler oder der Trainer. Das Resultat: 14:3 gegen Coordes, er musste gehen.

Immer wieder München

In München hingegen haben sie ihn immer wieder mit offenen Armen aufgenommen, obwohl er auch dort gern dazwischen grätschte. Dem Heynckes-Nachfolger Sören Lerby attestierte er schon vor Amtsantritt: »Du kannst alles machen, aber Trainer kannst du nicht.« Die Bayern stürzten anschließend mit dem Trauer Lerby in den Tabellenkeller.

Das Ausland reizte ihn in seinen späten Trainerjahren, er probierte sich in den Vereinigten Arabischen Emiraten, er trainierte in der Schweiz, in Saudi-Arabien, in Iran. Aber wenn die Bayern ihn riefen, als Scout, als Fitnesscoach, dann überlegte er nicht lange und kehrte dann doch wieder in sein Wohnzimmer an der Säbener Straße zurück.

Als er seinen fatalen Trainerjob in Stuttgart antrat, hat Egon Coordes den Satz gesagt: »Ich weiß, was ich will, und ich weiß, was ich kann. Und ich habe keine Angst.«

Das könnte sein Lebensmotto gewesen sein.

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