"Dr. No" von Percival Everett: Viel Slapstick, nichts dahinter

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Percival Everett ist eine der originellsten Stimmen der amerikanischen Gegenwartsliteratur. Doch sein Roman "Dr. No" packt Witze so eng, dass Nuancen kaum möglich sind.

27. Dezember 2025, 14:37 Uhr

 Bis zu seinem internationalen Durchbruch schrieb Percival Everett, relativ unbemerkt, über dreißig Bücher.
Bis zu seinem internationalen Durchbruch schrieb Percival Everett, relativ unbemerkt, über dreißig Bücher. © Michael Avedon

Seine einbeinige Bulldogge Trigo erzählt dem Protagonisten dieses Romans irgendwann im Traum einen Witz. Und der geht so: Nichts kommt in eine Kneipe. Was sagt der Barmann? Nichts. Wie kommt er dazu? Nichts ist herein­gekommen.

Haben Sie den Witz verstanden? Wenn nicht: Macht nichts. Macht gar nichts. Es ist ohnehin besser, beim Lesen von Percival Everetts Dr. No nicht allzu viel nachzu­denken. Zwar klingt die Grundidee des Romans ebenso wahnwitzig wie vielversprechend: Ein schrulliger schwarzer Mathematikprofessor, dessen Spezial­gebiet das "Nichts" ist, wird in die Machenschaften eines wahnsinnigen, ebenfalls schwarzen Bösewichts hineingezogen, der mithilfe dieses Nichts Amerika zerstören will; er will sich an den korrupten, weißen Eliten rächen, die seinen Vater auf dem Gewissen haben. Ontologie trifft auf ­James Bond, trifft Black Lives Matter. 

Doch dienen bei ­genauerem Hinsehen all der schöne akademische Überbau, all die Axiome, Postulate, Theoreme vor allem als Stichwortgeber. Als Stichwortgeber für im Vergleich dazu doch äußerst schlichte Gags. Dazu später mehr.

Eigentlich gilt Percival Everett als eine der originellsten Stimmen der amerikanischen Gegenwarts­literatur. Vor allem in den letzten Jahren ­feierte er große Erfolge: 2023 wurde sein mehr als zwei Jahrzehnte alter Roman Ausradiert unter dem Titel Amerikanische Fiktion verfilmt und gewann einen Oscar. Einem schwarzen Schriftsteller wird darin vorgeworfen, nicht "schwarz genug" zu schreiben – woraufhin dieser unter Pseudonym ein Buch veröffentlicht, das von Ghetto-Klischees trieft; dieses Buch wird zum Welterfolg. Das war eine verblüffend prophetische Satire auf die identitätspolitischen Irrungen der Kulturindustrie. 

Everetts neuestem Roman ­James wiederum, der mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet wurde, gelang das Kunststück, Mark Twains Die Abenteuer des Huckleberry Finn durch einen Perspektivwechsel auf eine neue Ebene zu heben: Die Geschichte wird nun von Huckleberrys Ge­fährten, dem entlaufenen Sklaven James, erzählt. Dadurch werden die blinden Flecken Twains im Hinblick auf Rassismus offengelegt, ohne den naheliegenden Fehler zu be­gehen, für das politische Statement die Freude am Erzählen zu opfern.

In Fort Knox liegt das Gold und das Nichts

Dem Erfolg von ­James ist es wohl auch zu verdanken, dass sein 2022 in den USA erschienener Roman Dr. No jetzt auch ins Deutsche übersetzt wurde. Bis zu seinem inter­nationalen Durchbruch schrieb der heute 68-Jährige, der als Professor englische Literatur lehrt und nebenher als Maler arbei­tet, über dreißig ­Bücher; meist ­relativ unbemerkt. Neuinterpretationen griechischer Mythen waren darunter, Satiren, Lyrikbände, auch ein Kinderbuch. Diese ­Freude am Experiment mit unterschied­lichen Genres muss man wohl bedenken, um zu verstehen, wie es zu Dr. No kommen konnte.

Dr. No ist als Agententhriller-Persiflage angelegt: Der Erzähler, Professor an der renommierten Brown University, heißt Wala Kitu, was eine Mischung aus den ­Sprachen Tagalog und Suaheli ist und "nichts nichts" bedeutet. Eines Tages taucht – wie aus dem Nichts – der Milliardär und selbst ernannte Bösewicht John Sill in einem Café auf und bietet Kitu an, für ihn zu arbeiten. Er wolle Fort Knox ausrauben (eine Bond-Referenz), in dem er neben den US-Goldreserven auch das absolute Nichts vermutet.

Das ist die Ausgangssituation für eine Reise, die den verschrobenen Mathematiker Kitu in die Welt der Superreichen führt. Der Roman baut auf kurzen Dialogen auf, was ihm eine irrsinnige Geschwindigkeit verleiht, Gags werden im ­Sekundentakt produziert. Wenn sich Everett dabei nicht direkt im Fäkalhumor suhlt (der Stuhlgang des oben erwähnten Trigo wird mehrmals thematisiert), macht er sich über lebensunfähige und "asper­gerige" Mathematiker lustig. Oder der Erzähler verstrickt sich in endlose, mitunter Migräne erzeugende Sprachspiele über das Nichts. Siehe den Witz oben, oder: "Ich sage, es ist nicht nicht-nichts, und damit ist es nichts." Höhöhö.

Alles Existenzielle löst sich einer Flut aus Slapstick auf

Auf den ersten Seiten mag Dr. No für den einen oder anderen noch unterhaltsam sein – es soll ja ­Menschen geben, die es lustig finden, wenn der Protagonist auf den Hinweis der Fahrlehrerin, er solle mit dem Gaspedal "wie mit einer Frau um­gehen", antwortet: "Ich würde niemals auf eine Frau treten." Doch spätestens nach dem ersten Drittel ermüden die Variationen derselben Witze doch zunehmend. Das hängt auch damit zusammen, dass die hohe Geschwindigkeit niemals Zwischentöne zulässt – nie gelingt es, dem ­Protagonisten nahezukommen, in ihm mehr als eine Gag-Schleuder zu sehen. Das ist auch für eine Parodie ungenügend.

Was aber will uns Everett mit Dr. No sagen? Im Interview mit Denis Scheck erzählt der Schriftsteller, dass am Anfang all seiner Romane ein ­philosophisches Problem stehe. Um dieses zu beantworten, suche er eine Geschichte – das Problem ver­schwinde so allmählich in der Erzählung, wie er auch beim Malen seine Figuren allmählich abstrahiere. Auf diese Weise komme er der Antwort auf das Problem näher. Und für seine Leser wiederum hoffe er, dass die philo­sophische Ausgangsfrage zumin­dest durchscheine.

Im Falle von Dr. No muss man leider sagen, dass dies nicht gelingt. Alles Existenzielle löst sich in einer Flut aus Slapstick auf, als sei es ein homöopathischer Wirkstoff in einem Ozean. Übrig bleibt – ganz genau – nichts.

Percival Everett: Dr. No. A. d. Englischen v. Nikolaus Stingl; Hanser, 2025; 320 S., 26,– €

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