Meißen und die DDR: Porzellan und Propaganda

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Es gab in der DDR eine Fünferbande. Ihre Namen: Ludwig Zerpner, Heinz Werner, Peter Strang, Rudi Stolle und Volkmar Bretschneider. Das Quintett residierte in einem Schloss: Moritzburg bei Dresden. Doch ihr eigentliches Herrschaftsgebiet lag woanders: im nahe­ gelegenen Meissen, genauer gesagt in der dortigen Porzellanmanufaktur.

Fast alles, was sie von 1960 an bis in die Mitte der Achtzigerjahre neu produzierte, war zuvor über die Arbeits­tische der Fünferbande gegangen, deren offizieller Name „Kollektiv Künstlerische Entwicklung“ lautete. Dabei waren die Aufgaben im Quintett klar geschieden: Zerpner arbeitete als Form­gestalter, Werner als Maler, Stange als Plastiker. Nur Stolle und Bretschneider waren tatsächlich kollektiv für einen Bereich des Porzellandesigns zuständig: Dekorgestaltung.

 von links Heinz Werner, Peter Strang, Rudi Stolle, Volkmar Bretschneider und Ludwig Zepner.Die fünf vom Kollektiv Künstlerische Entwicklung: von links Heinz Werner, Peter Strang, Rudi Stolle, Volkmar Bretschneider und Ludwig Zepner.Staatliche Porzellan-Manufaktur Meissen

Der Mythos Meissen, begründet durch die erste in Europa erfolgte Porzellanherstellung im Jahr 1710, hat nur wenige allgemein bekannte Einzelpersönlichkeiten zu bieten. Da ist Johann Friedrich Böttger, der vom sächsischen Kurfürsten August dem Starken als Goldmacher engagiert und festgesetzt wurde, aber die Methode des Porzellanmachens entschlüsselte, die zuvor nur in Ostasien bekannt war. Dann Johann Joachim Kaendler, mit dessen aufwendigen Porzellanfiguren die Manufaktur ihren europäischen Rang gegenüber den zahlreichen Nachahmern behaupten konnte. Und Johann Gregorius Höroldt, der dort eine Porzellan­malerei entwickelte, die der chinesischen und japanischen mehr als ebenbürtig war.

 von rechts hier Zepner, Bretschneide, Werner, Strang und Stolle.Und nochmal die fünf, als Clownsgruppe ausgeführt von Peter Strang, natürlich in Meißener Porzellan: von rechts hier Zepner, Bretschneide, Werner, Strang und Stolle.Esther Hoyer/Alexander Schmidt

Aber alle drei wirkten im ersten halben Jahrhundert der Manufakturgeschichte von Meissen. Danach zehrte die Manufaktur von der Fortsetzung des anfänglich Geleisteten. Und hatte damit auch Erfolg, über weitere zwei Jahrhunderte hinweg. Bis in die DDR.

Orden und Ehrenzeichen aus Porzellan für verdiente Aktivisten

Da firmierte das von Beginn seiner Existenz an staatliche Unternehmen seit 1950 als „Volkseigener Betrieb“ und war mit den traditionellen Produktlinien ein wichtiger Devisenbringer: Rund neunzig Prozent des in Meissen produzierten Porzellans gingen in den West-Export; in der DDR selbst war es noch am ehesten möglich, an Mitarbeiter abgegebene Stücke zweiter Wahl unter der Hand zu erwerben – 1985 waren dort immerhin 1500 Personen beschäftigt, die direkte Einkaufsmöglichkeiten hatten.

Oder man hatte sich verdient gemacht um Staat oder Sport: Dann winkten eigens aus Porzellan gefertigte Ordens- und Ehrenzeichen. Diese wiesen andere Schmuckelemente auf als die aus königlichen Zeiten überlieferten Geschirre, Vasen oder Figuren: Leninköpfe waren da gängig, auch architektonische Wahrzeichen des sozialistischen Deutschland und Symbole der dortigen Organisationen.

Meissener Plakette aus Böttgersteinzeug und Porzellan zum Interkosmos-Flug Sigmund Jähns im September 1978Meissener Plakette aus Böttgersteinzeug und Porzellan zum Interkosmos-Flug Sigmund Jähns im September 1978Esther Hoyer/Alexander Schmidt

Exemplarisch für die Akzeptanz Meissens als sozialistischen Musterbetriebs wurde 1953 die Enthüllung des vierundzwanzig Meter breiten Wandbildes aus Porzellankacheln am Haus der Ministerien in Ost-Berlin: Dargestellt waren auf diesem zweitgrößten Werk der Manufakturgeschichte (nach dem „Fürstenzug“ am Dresdner Residenzschloss) die Gründung der DDR und der Wiederaufbau des kriegszerstörten Landes.

Mit diesem Projekt nach einem Entwurf von Max Lingner setzt denn auch die Ausstellung „Die ­blauen Schwerter – Meissen in der DDR“ ein, für die sich die beiden weiterhin in Staatsbesitz befindlichen sächsischen Kulturschwergewichte zusammengetan haben: Staatliche Kunstsammlungen Dresden und Staatliche Porzellanmanufaktur Meissen. Ort der Präsentation ist das Japanische Palais in Dresden, jener barocke Bau, in dem August der Starke seine Porzellansammlung unterbringen wollte, ehe ihm die Kosten über den Kopf wuchsen. Heute wird die weltweit einmalige Kollektion im Dresdner Zwinger gezeigt.

Und diesem Genius loci wird die Schau gerecht, denn sie zeigt auf begeisternd ­anschauliche Weise, wie die DDR die ­Manufakturprodukte in Fortsetzung der könig­lichen Gründungsgeschichte als ­Einnahmequelle und Repräsentativobjekte nutzte. Und dass es dabei immer noch auf die individuelle Meisterschaft von Gestaltern ankam – siehe die anfangs erwähnte „Fünferbande“, deren Können mit Reiseprivilegien belohnt wurde (Ausnahme war Peter Strang, der Familienangehörige in Westdeutschland hatte).

So konnte das „Kollektiv Künstlerische Entwicklung“ etwa Studien in Japan betreiben, was sich dann in weltmarkttauglichen Meissen-Entwürfen niederschlug. Aber gerettet hat das feudale Erbe den sozialistischen Staat nicht. Sich selbst auch nicht: Heute hat Meissen nur noch rund 400 Mitarbeiter und schreibt Verluste. Aber repräsentativ ist sein Porzellan geblieben.

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