Autofiktion und Sachbuch: Wer braucht schon Objektivität?

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Schon seit einiger Zeit hat sich bei Literaturverlagen die Unsitte eingeschlichen, Romane ihrer Autoren mit der Formulierung anzupreisen, es handele sich um „sein“ oder „ihr persönlichstes Buch“. Weil die Verlagsleute offenbar der Kraft ihres eigenen Produkts, der Fiktion, misstrauen, rücken sie den Produzenten ins Licht: Die Persönlichkeit des Verfassers soll für die Qualität des ­Buches bürgen.

Autofiktion hat man diese Verkaufsstrategie vornehm getauft. Immerhin – so ließe sich zu ihrer Verteidigung sagen – ist die Biographie in der Literatur kein völliger Fremdling, sofern es um die künstlerische Verarbeitung persön­licher Erfahrungen geht. Mit einiger Verwunderung müssen wir allerdings feststellen, dass dies die Branche nicht abgehalten hat, die Logik des Authentischen hemmungslos auf den Rest des Buchmarkts auszuweiten.

Nicht ohne mein Autoren-Ich

Wir sprechen nicht von Reise­literatur oder Ratgebern, die schon lange nicht mehr ohne Autoren-Ich auskommen. Nein, selbst das sonst aus den Sozial- und Geisteswissenschaften in die Popularität hinübertretende Sachbuch ist seit Kurzem stolzes Mitglied der großen Familie der Autofiktion. „Sein persönlichstes Buch“, so lesen wir bei Hoffmann & Campe, werde der amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama im Juni 2026 vorlegen. Der Großdenker widme sich der Frage, „warum das freiheitliche Denken für die westlichen Gesellschaften alternativlos ist“, wie wir das „Überleben der Freiheit sichern“ und das „Risiko einer autoritären Weltordnung eindämmen“.

Das Lächeln darüber, dass ein Buch, das „Der letzte Mensch“ heißt, gleichzeitig Fukuyamas „persönlichstes Buch“ sei, sollte man sich verkneifen. Und wer meint, die vom Verlag ausgegebene Leitfrage sei so wenig persönlich wie nur irgend möglich, ja geradezu der Inbegriff eines Themas, das nach Objektivität und argumentativer Strenge verlange, auch der möge noch einmal in sich gehen, denn er unterschätzt wahrscheinlich die persönliche Identifikation so mancher unserer Intellektuellen mit dem allgemeinen Lauf der Geschichte.

Eigentlich ist dem Verlag sogar zu seiner Ehrlichkeit zu gratulieren, Bücher dieser Art nicht mehr mit dem Schleier der Objektivität zu überhängen: Es gibt eine große Zahl historischer oder politischer Bücher (kommen sie auch mit Fußnoten daher), die zunächst fragwürdig erscheinen, sich aber als Einblick in die Autorenseele wunderbar erklären lassen.

So manche Zeitdiagnose der vergangenen Jahre hätten wir vielleicht entgegenkommender besprochen, wäre das Genre so offenherzig wie hier bezeichnet worden. Nur mit wenig Gram blicken wir also auf den neueren Triumph der Autofiktion und freuen uns auf ein erleichtertes Rezensionsgeschäft.

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