Digitalradio kontra UKW: Die ARD trickst bei der Radioreform

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Über Jahre war der Digitalradiostandard DAB von Programmanbietern und der Medienpolitik mehr geduldet als gewollt. 1999 wurden die ersten Hörfunkprogramme über die neuen Frequenzen verbreitet. Wegen technischer Probleme und der Übermacht von UKW stießen sie auf wenig Gegenliebe. 2011 erfolgte der Neustart von DAB+. Der Erfolg beim Publikum stellte sich nur zögerlich ein. Nun – nach einem Vierteljahrhundert – zeigen aktuelle Zahlen, dass das Digitalradio immer mehr Anhänger findet und die Ultrakurzwelle UKW spürbar an Reichweite verliert.

Laut der neuesten Ausgabe der „Media Analyse Audio“, die die Reichweite von Radio und Onlineangeboten misst, schalten 32,9 Prozent der Radiohörer innerhalb von 14 Tagen Kanäle ein, die über den digitalen Radiostandard DAB+ verbreitet werden. Insbesondere die 30- bis 59-Jährige nutzen das Digitalradio mit fast 40 Prozent. Die Hörer profitieren von der kontinuierlich wachsenden Programmvielfalt: Mehr als 300 Radioprogramme sind – regional unterschiedlich – über DAB+ verfügbar; mehr als 100 davon senden nur digital. Zudem wird Radio auch immer stärker über das Internet konsumiert. Nach einer Analyse der Medienanstalten nutzen 49 Millionen Menschen in Deutschland digitale Radioprogramme, das sind drei Viertel aller Hörer. Nur noch die Hälfte der über 14-Jährigen nennt UKW als wichtigsten Empfangsweg. Schleswig-Holstein will als erstes Bundesland bis 2031 schrittweise die UKW-Ära beenden.

Position der Gattung Radio im Werbemarkt in Gefahr?

Es ist also höchste Zeit, dass sich Länder und Programmanbieter über ein nationales Umstiegsszenario von der Ultrakurzwelle auf das Digitalradio verständigen. Doch weder die einen noch die anderen scheinen es eilig zu haben. Die privaten Radios sehen das Aus von UKW seit jeher skeptisch, verzögern und verweisen darauf, dass Werbeeinnahmen wegbrechen könnten: „UKW ist nach wie vor der meistgenutzte Übertragungsweg und hat dementsprechend die größte wirtschaftliche Relevanz für Privatradios in Deutschland, sagt Marco Maier, Geschäftsführer der FFH Mediengruppe und stellvertretender Vorstandsvorsitzender des Privatsenderverbands Vaunet im Gespräch mit der F.A.Z. Die Digitalisierung des Hörfunks müsse marktgerecht und die Marktregulierung technologieneutral erfolgen. Insgesamt seien faire Zugangsbedingungen zu allen Übertragungswegen sicherzustellen. „Ein Ende der UKW-Verbreitung würde die erfolgreiche Positionierung der Gattung Radio im Werbemarkt erheblich gefährden. Reichweitenfinanziertes Radio braucht jede Hörerin und jeden Hörer“, sagt Maier.

Holger Paesler, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Privater Rundfunk (APR) pflichtet ihm bei. UKW sei – bezogen auf die Hördauer – nach wie vor die ökonomische Basis der meisten Anbieter. Daran werde sich auf absehbare Zeit nichts ändern. „Die Vorstellung, dass man zu einem Hauptübertragungsweg findet, wie das UKW war, ist nicht zeitgemäß.“

Die ARD und private Radios arbeiten in einer Vermarktungskooperation – in sogenannten Kombis – zusammen, die sowohl öffentlich-rechtliche als auch private Radioprogramme anbietet. Diese Kooperation ermöglicht es Werbekunden, die Hörerschaft sowohl über öffentlich-rechtliche als auch private Sender zu erreichen. Deshalb verfolgt die ARD gegenwärtig eine Doppelstrategie. Sie schaltet vereinzelt UKW-Sender ab, erweitert ihr DAB+-Angebot und wartet auch auf eine Entscheidung der Politik. „Die zunehmende Nutzung digitaler Verbreitungswege ist eine erfreuliche Entwicklung, die wir aufmerksam begleiten. Gleichzeitig ist UKW derzeit weiterhin der unverzichtbare Grundpfeiler der Radioversorgung in Deutschland. Trotz wachsender Digitalnutzung erreichen UKW-Programme nach wie vor täglich die überwiegende Mehrheit der Hörer in Deutschland“ sagt Jan Weyrauch, Programmdirektor von Radio Bremen und Vorsitzender der Audioprogrammkonferenz der ARD (APK). Er fordert eine medienpolitische Grundsatzentscheidung über einen bundesweit koordinierten Ausstieg aus der UKW-Verbreitung. Ohne eine solche Entscheidung führe ein sub­stantieller Rückbau der UKW-Sendernetze zu deutlichen Verlusten der Reichweite. Auch müsse verhindert werden, dass auf frei werdenden Frequenzen neue UKW-Angebote entstünden.

Kosten für die UKW-Verbreitung bis 2032 zahlt der Beitragszahler

In vielen Ländern Europas wird gegenwärtig über den Radiostandard der Zukunft diskutiert, vereinzelt gibt es Abschaltdaten, Norwegen und die Schweiz haben den Umstieg auf DAB+ vollzogen. In unserem Nachbarland hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk SRG seine Programmübertragung über Ultrakurzwelle zum Jahresende 2024 eingestellt. Private Radios dürfen in der Schweiz UKW noch bis Ende 2026 nutzen. Mit der Abschaltung von UKW spart die SRG nach eigenen Angaben jährlich rund 16 Millionen Euro. Ein vergleichbares, in der Summe beachtliches Sparpotential würde sich auch in Deutschland ergeben. Der 24. Bericht der Gebührenkommission KEF führt an, dass die Programmverbreitung über UKW die ARD und das Deutschlandradio in der Beitragsperiode 2025 bis 2028 220,9 Millionen Euro kostet. Die parallele Verbreitung von Radio und Fernsehen auf verschiedenen Verbreitungswegen oder in verschiedenen Qualitätsstufen – „Simulcast“ genannt – sieht die Gebührenkommission KEF seit Langem kritisch. In ihrem 20. Bericht 2016 stellte sie schon fest, dass es nicht wirtschaftlich sei, zwei Verbreitungswege für den Hörfunk von ARD und Deutschlandradio parallel zu betreiben. Zugleich erkannte die Kommission die Aufwendungen für die technische Umstellung von UKW auf DAB+ unter konkreten Auflagen an, diese sind jedoch bis heute nur teilweise erfüllt worden. Deshalb wurde ARD und Deutschlandradio gestattet, ihre Kosten für die UKW-Verbreitung bis maximal 2032 den Beitragszahlern in Rechnung zu stellen.

Nach Ansicht von Experten kostet die nationale DAB+-Verbreitung nur cirka ein Zehntel der UKW-Abstrahlung. Auch verringern sich beim Digitalradio durch effizientere Frequenznutzung und geringere Sendeleistung die Energiekosten. Die Umstellung auf DAB+ ist nach Ansicht des Deutschlandradio-Intendanten Stefan Raue auch durch die Energieverteuerung zu einem drängenden Thema geworden. „UKW ist eine Energiefressmaschine“, sagte er schon 2022 im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Das, so Raue, sähen auch immer mehr private Anbieter so. Die Politik und die Radiomacher müssten daher gemeinsam überlegen, wie eine Unterstützung für den Umstieg organisiert werden könne.

Das klingt gut, doch findet sich im novellierten Medienstaatsvertrag, der die – im Ergebnis kosmetische – Reduzierung von ARD-Radiowellen bestimmt (von 70 auf 53), weder ein Abschalttermin für UKW noch ein Umstiegsszenario. Der Hörfunk und damit auch die Bestimmung, ob und wann UKW abgeschaltet wird, liegt in der Verantwortung einzelner Länder. Die Rundfunkkommission der Länder sollte dafür jedoch den Rahmen setzen und die KEF-Mahnung ernst nehmen. Schließlich legt der Medienstaatsvertrag, der am 1. Januar 2026 in Kraft treten soll, die Reduzierung der ARD-Radioangebote fest und gibt das als „Reform“ aus.

Dazu meint Marco Maier: „Aktuell sieht es nach den strategischen Überlegungen der ARD-Anstalten und dem Intendantenbeschluss so aus, als ob ein weitreichender Neustart im dualen Hörfunksystem lediglich als eine Programmreduzierung ,light‘ – unter Zugrundelegung vereinzelter Kooperationen – ausfallen wird.“ Da die Länder keinen Druck ausübten, stelle die ARD vornehmlich reichweitenschwache, werbefreie Programme ein oder gönne diesen ein „zweites Leben“ als Onlineangebote. Damit würden Budgets lediglich in den Onlinebereich verlagert, wovor die privaten Sender gewarnt haben. Holger Paesler ergänzt, dass diese „Reform“ nicht den Erwartungen seines Verbands entspreche. Es scheine so zu sein, dass die ARD Angebote mit einem den Privaten vergleichbaren Profil stärke, wohingegen Angebote mit einem spezifischen Profil, das von Privaten am Markt nicht finanziert werden könne, vernachlässigt werden. Jan Weyrauch von der ARD zeigt sich auf Fragen nach konkreten Reduzierungen und möglichen Einsparungen im öffentlich-rechtlichen Hörfunkangebot schmallippig. Zur Hörfunkwellenstrategie könnten nur die jeweiligen Landesrundfunkanstalten etwas sagen und auch die finanziellen Auswirkungen könnten nur die einzelnen ARD-Sender bewerten.

Eine wirksame Reform des öffentlich-rechtlichen Hörfunks, das zeigt die Rumschieberei der ARD; eine Reform, die Kosten spart und das Überangebot an Radiowellen reduziert, ist somit nicht in Sicht und ohne ein Umstiegsszenario zu DAB+ ist sie ohnehin unzureichend. Dabei ließen sich mit dem Digitalradio die Ausgaben wirklich reduzieren. Die Gebührenkommission KEF hat mit ihrer Entscheidung, die Doppelausstrahlung von ARD-Hörfunkprogrammen weiter zu berücksichtigen, der Politik bis 2032 Luft verschafft. Bis zu diesem Zeitpunkt könnte, nach dem Vorbild der Schweiz, die beitragsfinanzierte UKW-Verbreitung beendet werden. Auf den Weg dahin müsste man sich allerdings jetzt begeben.

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