Dieses Epos spart keine Grausamkeit aus: „The Narrow Road to the Deep North“ bei Sky

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Das Kriegsgefangenen-Epos „Der schmale Pfad ins Hinterland“ von Richard Flanagan kam in der F.A.Z. nicht allzu gut weg: „Dieses Buch will dringend Kino werden. Man muss es bedauern“, heiß es. Andere waren beeindruckt, nicht zuletzt die Jury des Booker Prize, den Flanagan 2014 erhielt. Nun erscheint die Serienadaption. Sie ist ein recht guter, zwischen dem Zarten, dem Menschlichen, dem Brutalen und dem Unmenschlichen hin und her wechselnder Fünfteiler geworden. „The Narrow Road to the Deep North“ schildert die Geschichte eines Australiers, der im Zweiten Weltkrieg in japanische Kriegsgefangenschaft gerät und am Bau einer Bahnstrecke im besetzten Thailand mitwirken muss: „Eisenbahn des Todes“ wird sie heute genannt. Schon die „Brücke am Kwai“ (1957) und der australische Spielfilm „Railway Man“ (2013) erzählten davon.

Der Australier überlebt den Horror – durch Glück, seine Rolle als Arzt und eine Weile auch, so will es die Geschichte, durch den Gedanken an eine Frau. Die Liebesgeschichte, vermittelt durch leicht diffuse Bilder flirtender, tanzender, schwimmender und liebender Menschen (Kamera: Sam Chiplin), endet allerdings tragisch. Auch in dieser Hinsicht vermag der Mann nach dem Krieg nicht mehr zu werden, was er vorher gewesen ist.

Der größtmögliche Kontrast zu den geschundenen Körpern

Wie Flanagan im Roman bemühen sich die beiden Serienschöpfer (Buch: Shaunt Grant, Regie: Justin Kurzel) um Vielschichtigkeit in der Figurenzeichnung und eine möglichst reizvolle Form. Erzählt wird nicht chronologisch, sondern bruchstückhaft über eine Rahmenhandlung, die Ende der Achtzigerjahre im Traumhaus eines Chirurgen spielt und via Rückblende in die Zeit des Zweiten Weltkriegs abschweift. Kühle Gegenwartsbilder, sommerwarme aus der Zeit vor dem Kriegseinsatz und finstergraue aus dem Dschungelmartyrium wechseln sich ab. Wer Justin Kurzels Film „Macbeth“ gesehen hat, hat eine Ahnung von der Stärke dieser Bilder.

In den Rückblenden sehen wir Jacob Elordi als Lyrik lesenden, stürmisch begehrten und dann mit dem Krieg innerlich zerbrechenden Mediziner Dorrigo Evans. Kurz vor dem ersten Einsatz verlobt er sich mit Ella (Olivia DeJonge), die ihm bis zum Lebensende eine verlässliche Gefährtin sein wird. Die Körperpoesie von Abby (Odessa Young), Gattin seines Onkels Keith (Simon Baker), hat indes stärkere Wirkung auf ihn – es wird der größtmögliche Kontrast zu den geschundenen Körpern im Gefangenenlager und dem dortigen Leiden, das „The Narrow Road to the Deep North“ ausgiebig zeigt.

Im Haupthandlungsstrang übernimmt ein stämmiger Ciarán Hinds den Part des alten Dorrigo. Er hat Ella geheiratet, Kinder bekommen und mit dem praktischen Wissen aus dem Krieg („Ich brauche eine Säge!“) als Chirurg Karriere gemacht. Für manche Kameraden aus der Kriegszeit ist er ein Held. Aber er hat eben auch Schlimmes gesehen. Die Ehe mit Ella (Heather Mitchell), sanftmütig und mit Verständnis für Dorrigos Trauma, torpediert er mit Affären. Doch sie zeigen ihm nur, wie unerreichbar Glück für ihn ist.

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Die Handlung des Jahres 1989 läuft auf die Veröffentlichung eines Buchs zu. Ein Leidensgenosse von Dorrigo hat den Schrecken im Lager einst zeichnerisch dokumentiert. Dorrigo soll die Veröffentlichung mit einer Rede begleiten und ein Interview geben. Hiroshima? Nagasaki? Fragt die Reporterin, als er die Japaner als „Monster“ beschreibt. Er hält es nicht aus.

Niedergeschlagen zieht er sich zurück, um die Rede zu schreiben. Und alles kommt hoch: die Eisenbahnfahrt in den Dschungel in beengten Güterwaggons, der Empfang durch bewaffnete Wachen, die Sklavenarbeit mit Händen und Hacken, die schwindenden Kräfte und Seuchen, das Dahinvegetieren und Sterben und die zunehmende Brutalität der Japaner.

Die japanischen Soldaten werden im Film durch einen linientreuen Sadisten repräsentiert und einen Umgänglicheren namens Nakamura (Shô Kasamatsu), dem Grausamkeit noch beigebracht werden muss. Mit Nakamura kann Dorrigo gelegentlich reden. Auch wenn er sich anhören muss, dass das britische Empire, zu dem Australien zählt, ja ebenfalls durch Unterdrückung und Unfreiheit entstanden sei.

Beiden gemeinsam ist, etwas abgedroschen, die Liebe zur Lyrik. So kommt der Titel zustande, der auf einen Band des legendären Haikudichters Matsuo Basho zurückgeht. Auch in einer Gegenwartsszene, beim Besuch einer japanischen Delegation, die um Verzeihung für die Verbrechen im Zweiten Weltkrieg bittet, taucht der Band auf.

Richard Flanagan, der mit der fiktiven Geschichte von Dorrigo Evans die tatsächlichen Erlebnisse seines Vaters aufgreift (er hat sich auch die Bedeutung des Männerhumors und kultureller Einlagen für den Kampf ums Überleben gemerkt), sagte in einem Interview zum Booker Price: „Wenn Bashos ,Auf schmalen Pfaden durchs Hinterland‘ zu Recht als einer der Höhepunkte der japanischen Kultur gefeiert wird, dann war die Erfahrung meines Vaters einer ihrer Tiefpunkte.“

„The Narrow Road to the Deep North“ erinnert eindringlich an diesen Tiefpunkt. Über die Grübeleien des alten Dorrigo Evans, seine Rede zur Veröffentlichung des Buchs und die kreisende Erzählweise geht es aber auch um das Erinnern an sich. Und das Verschwinden der Zeitzeugengeneration.

The Narrow Road to the Deep North läuft von diesem Dienstag, 1. Juli, an auf Sky und Wow.

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