Ohne Prozesskostenrisiko können sich österreichische Autofahrer an einer neuen Abhilfeklage gegen Volkswagen beteiligen. Wichtigste Voraussetzung ist, dass sie Opfer des Abgas-Skandals mit Dieselfahrzeugen des Volkswagen-Konzerns (VW, Audi, Seat, Skoda) geworden sind und noch keinen Schadenersatz erhalten haben. Die Anmeldung ist online gebührenfrei möglich. Organisiert wird die am 11. Juli erhobene Klage vom Verein zum Schutz von Verbraucherinteressen, kurz Verbraucherschutzverein (vsv).
Die beauftragte Wiener Rechtsanwaltskanzlei spricht von "rund 1.500 Euro oder mehr Entschädigung", die möglich seien – nach Abzug des Anteils für den Prozessfinanzierer. Auch Österreicher, die ihr Dieselfahrzeug bereits verkauft haben, können sich beteiligen. Möglich ist die neue Abhilfeklage unter anderem deswegen, weil die allgemeine Verjährungsfrist in Österreich 30 Jahre ab Kenntnis von Schaden und Schädiger läuft, nicht bloß drei Jahre wie in Deutschland.
VW-Dieselskandal
2015 hat VW zugegeben, beim Dieselmotor EA189 betrogen zu haben: Heimliche Maßnahmen ließen den EA189 Abgastests bestehen, doch im Alltagsbetrieb war der Antrieb umweltschädlicher. Die betroffenen Fahrzeuge (Liste siehe unten) wurden von 2008 bis 2015 produziert.
Volkswagen wollte sich allerdings nicht in Österreich vor Gericht stellen lassen. 2020 entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH), dass VW-Geschädigte wohl in ihrer Heimat klagen dürfen (Rechtssache C-343/19). An der bislang größten österreichischen "Sammelklage" gegen VW haben sich rund 10.000 Betroffene beteiligt. Der VKI prozessierte vor allen 16 Landesgerichten der Republik parallel. Schließlich kam es im Vorjahr zu einem Vergleich, bei dem VW insgesamt 23 Millionen Euro Schadenersatz zugesagt hat.
Neue Chance
Wer diesen Zug verpasst hat, erhält nun dank Verbraucherschutzverein eine neue, womöglich letzte Chance. Dabei verdankt der Verbraucherschutzverein seine Existenz in gewisser Weise dem Dieselskandal. Prominentestes Gründungsmitglied ist der ehemalige Nationalratsabgeordnete der Liste Pilz, Peter Kolba. Der Jurist leitete früher mehr als ein Vierteljahrhundert lang die Rechtsabteilung des VKI, einem Verein von Arbeiterkammer und Sozialministerium.
Nach Kolbas eigenen Aussagen wollte er nach Auffliegen des VW-Dieselskandals in seiner VKI-Funktion eine "Sammelklage" für betroffene Konsumenten gegen den Autokonzern führen. Doch das hätten die VKI-Mitglieder verhindert: AK und Sozialministerium "haben mit dem Argument, Arbeitsplätze schützen zu wollen, von mir verlangt, in Sachen VW-Skandal den Ball flach zu halten, sprich keine Sammelklagen einzubringen", sagte Kolba 2018 laut Tageszeitung Die Presse. "Ich habe daher den VKI mit 31. 1. 2017 auf meinen Wunsch und einvernehmlich verlassen."
Kurz darauf brachte die Liste Pilz einen Strafantrag wegen Kartellbildung gegen VW ein. Kolba baute zunächst eine Sammelklageplattform namens Cobin Claims mit auf, und 2018 den Verbraucherschutzverein. Sein Nationalratsmandat legte Kolba damals nieder. 2018 erhob der VKI dann doch Klage gegen VW.
Die Bedingungen
Voraussetzungen für die Anmeldung zur Teilnahme an der neuen Abhilfeklage sind Kauf oder Leasing eines betroffenen Dieselfahrzeuges vor dem 15. Juli 2022 in Österreich zu einem Preis von mindestens 15.000 Euro. Der Kilometerstand darf 250.000 nicht übersteigen – jetzt oder im Falle eines früheren Weiterverkaufs in dessen Zeitpunkt.
Chronologie des Abgas-Skandals (78 Bilder)

(Bild: EPA
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Betroffene Dieselmodelle (Baujahre 2008-2015) können sein: VW Amarok, Beetle, Cady, Eos, Golf, Jetta, Passat, Polo, Scirocco, Sharan, Tiguan, Touran; Audi A1, A3, A4, A5, A6, Q3, Q5, TT; Skoda Fabia, Octavia, Roomster, Superb, Yeti; Seat Alhambra, Altea, Exeo, Ibiza, Leon.
heise online hat Arbeiterkammer und VKI zu Stellungnahmen zu Kolbas Vorwürfen eingeladen. Der damalige Sozialminister ist nicht mehr im Amt.
(ds)