Auch Franziska Brantner spielte in ihrer Vorstellungsrede für den Bundesvorstand auf die berühmten Wollpullover der Grünen – und damit auf die Vergangenheit der Partei – an: Auf in den Winterwahlkampf! Eine, wenn auch selbstironische, Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln und Werte, die Parteiidentität: Als die Grünen in den Achtzigerjahren in den Bundestag einzogen, provozierten sie nicht nur durch ihre unangepasste Kleidung, sondern auch, weil sie im Plenarsaal ständig strickten. Darin steckte Systemkritik – an alteingefahrenen Geschlechtervorstellungen (bei den Grünen strickten auch die Männer) und an der Konsumgesellschaft. Es war mehr als ein Hobby, es war ein öffentlicher, politischer Akt.
Ist, wer strickt, automatisch unpolitisch?
Diese Form des Protests ist kein Alleinstellungsmerkmal der Grünen. Handarbeit nimmt schon lange eine wichtige Rolle im politischen Aktivismus ein, dennoch assoziieren viele Menschen mit Stricken, Häkeln und Nähen etwas anderes: tendenziell unpolitische Frauen, die sich ins Private zurückgezogen haben, es sich abgewandt von der Welt gemütlich machen wollen.
Das zeigte sich vor ein paar Jahren bei einer Debatte um die Handarbeitswebsite „Ravelry“, einem Forum mit fast neun Millionen Nutzern und die damit wichtigste Plattform für Handarbeit weltweit. Im Jahr 2019 hatte „Ravelry“ verkündet, Nutzerinnen, die auf der Seite posteten, sie unterstützten Donald Trump, künftig zu sperren. Der Streit darüber war so groß wie die öffentliche Verwunderung: Was war das für eine Plattform? Und warum war ein solcher Schritt in der Handarbeitscommunity überhaupt nötig? Offenbar konnte man sich nicht vorstellen, dass auch wer häkelt oder stickt durchaus politisch denken kann.
Es ist genau dieses Vorurteil, mit denen viele politische Bewegungen spielen, wenn sie sich Handarbeit zunutze machen – um sie dann zu unterlaufen. Sogar Nachrichtendienste haben deshalb schon auf Stricken gesetzt: weil Frauen, die strickten, politisch unverdächtig waren und sich im Maschenmuster Botschaften verbergen ließen. Im Ersten Weltkrieg rekrutierten die Alliierten während der Besetzung Belgiens durch die Deutschen ältere Frauen, die in der Nähe von Rangierbahnhöfen wohnten, als Spioninnen. Sie konnten strickend stundenlang am Fenster sitzen und beobachten, welche Züge ein- und ausfuhren, ohne dass das Verdacht erregte. Die gesammelten Informationen übermittelten sie anhand vereinbarter Maschenmuster.
Handarbeit als Mittel der Unterdrückung
„Das Private ist politisch“, lautete ein berühmter Slogan der Frauenbewegung der Siebzigerjahre. Das machte auch die Frage, ob man strickt oder nicht, zu einer politischen, mit der sich der Feminismus durchaus beschäftigte. Denn das Verhältnis von Frauen und Handarbeit ist kompliziert: Lange Zeit galt diese als Symbol weiblicher Unterdrückung, stand für die ans Heim gebundene Frau, die für ihre Tätigkeit kein Geld bekam. Stricken war zuvor ein Männerberuf und wurde erst mit Erfindung der Strickmaschine und der Entwertung menschlicher Handarbeit zu einer Tätigkeit, die vor allem Frauen zufiel.
Sticken, schreibt Rozsika Parker in „The Subversive Stitch“, einem inzwischen zum Klassiker gewordenen Band zum Thema Sticken und Feminismus, sei eine Tätigkeit, die mit gesenktem Kopf ausgeführt werden müsse, also geradezu bildlich für die weibliche Unterwerfung zu stehen scheine.
Das hat mit der heutigen Realität wenig zu tun. Doch gilt Handarbeit weiterhin als braves, möglicherweise etwas schrulliges Hobby. Als solches wird sie nicht nur belächelt, sondern von manchen Frauen auch abgelehnt, als weibliches Klischee, das man lieber nicht bedienen möchte. Doch was mit der eigenen Identität in Verbindung gebracht wird, kann man auch emanzipatorisch nutzen. Die Frage, die den Feminismus beschäftigte, lautete: Kann Handarbeit nicht auch subversiv sein?
Craftivism als politischer Protest
Viele politische Bewegungen (nicht nur feministische) waren davon überzeugt. Nach dem gleichen Prinzip, mit dem ursprünglich abwertend gemeinte Begriffe wie „queer“ von den damit gemeinten Personen ins Positive gedreht wurden, nutzten sie die Handarbeit zu ihren eigenen Zwecken und setzten Stricken, Sticken und Textilen in ihrer politischen Arbeit ein. Die Grünen als Zeichen gegen das parlamentarische Establishment, der Women’s March mit den pinken Pussyhats als Protest gegen Donald Trump, die „Knitting Nanas“ in Australien im Kampf gegen den Klimawandel. Für den Einsatz von Handarbeit im politischen Protest gibt es inzwischen sogar ein Wort: „Craftivism“, eine Mischung aus „craft“ und „activism“.
Während der Zeit des Pinochet-Regimes in Chile fertigten Frauengruppen sogenannte „Arpilleras“ an, gestickte Bilder, die vom Leben während der Diktatur erzählten. Auf den ersten Blick sahen diese Bilder oft unverdächtig aus, es waren auf ihnen jedoch brutalste Szene abgebildet: Szenen von Polizeigewalt, von Folter.
Die „Arpilleras“ waren eine Form des politischen Protests – werden inzwischen aber auch als eigene Kunstform angesehen und in Museen ausgestellt. Sie sind deshalb ein gutes Beispiel, um nachzuvollziehen, wie sich das Bild von der Handarbeit in den vergangenen Jahren geändert hat. Die Grenzen von Handarbeit zu Kunst sind fließend. Was als das eine, was als das andere gilt, war früher oft weniger eine ästhetische als eine politische Entscheidung. Häufig schien dabei die Frage, von wem das Werk stammte, entscheidend zu sein. Im Mittelalter, als Männer und Frauen stickten, war diese Technik weit angesehener als etwa später im 19. Jahrhundert, in dem diese Tätigkeit hauptsächlich Frauen zufiel.
Textilien in der Kunst
Amanda Pinatih, Designkuratorin des Stedelijk Museums in Amsterdam, begann ihre Arbeit mit der Corona-Pandemie. Weil sie nicht ins Museum gehen konnte, klickte sie sich durch die digitale Datenbank im Bereich Design und angewandte Künste und war überrascht, was sie fand: Werke berühmter Künstlerinnen wie Sheila Hicks, die vor allem mit Textilien arbeiten. „Aha, dachte ich, das versteht man also unter angewandter Kunst!“, sagt die Kuratorin. Natürlich seien diese Zuordnungen inzwischen etwas obsolet und würden so nicht mehr genutzt, es gehe vor allem darum, Zuständigkeiten zu verteilen. Und doch war die Einteilung vielsagend. Zeigte sich an ihr ja eine – möglicherweise vergangene – Hierarchisierung, bei der der Textilkunst eine ungeordnetere Rolle zukam.
Das hat sich jedoch geändert. Es gab in jüngerer Vergangenheit zahlreiche große Ausstellungen von Künstlerinnen, die (unter anderem) mit Textilien arbeiten: Rosemarie Trockel, Hannah Ryggen, Sheila Hicks oder Louise Bourgeois, um nur einige berühmte zu nennen. Im Amsterdamer Stedelijk Museum sind Arbeiten der meisten von ihnen nun in einer Sammelausstellung zu sehen: „Unravel – The Power and Politics of Textiles in Art“ ist die Idee von Pinatih und ihrer Kollegin Lotte Johnson vom Barbican Centre in London, eine Kooperation der beiden Museen.
Die Schau, die in sechs Abschnitte unterteilt ist (einer von ihnen trägt Parkers berühmten Buchtitel, „The Subversive Stitch“), präsentiert Werke von Frauen und Männern auf der ganzen Welt und zeigt das Zusammenspiel zwischen Politik und Textilkunst auf unterschiedlichen Ebenen. Der Begriff „Politik“ ist dabei zwar weit gefasst, trifft aber auf einen Großteil der Arbeiten zu. Einige entstanden als direkte Reaktion auf politische Umstände, etwa als Protest gegen den Vietnamkrieg, wie Hannah Ryggens „Blut im Gras“ von 1966. Andere stammen aus Zeiten der Unterdrückung – auch die erwähnten „Arpilleras“ aus Chile sind ausgestellt – oder stehen im Bezug zum Kolonialismus. Der amerikanische Künstler Sanford Biggers arbeitet mit Quilts, die aus den amerikanischen Südstaaten zur Zeit der Sklaverei stammen, setzt sie neu zusammen und übermalt sie.
Die Besonderheit von Textilkunst liegt darin, dass sie unter jeglichen Umständen entstehen kann. Das macht sie, trotz eines oft langen Arbeitsprozesses, möglich für alle. Man kann sich fragen, ob sie in der Kunstwelt vielleicht auch deshalb oft vernachlässigt wurde. Während die Materialien für bestimmte Kunstformen mitunter teuer oder schwer zu beschaffen sind, begleiten Textilien den Menschen ein Leben lang und stehen deshalb immer zur Verfügung. Zur Not nimmt man Kleidungsstücke oder das eigene Haar, wie in der Serie „Sewing together my split mind“ der Hongkonger Künstlerin Angela Su.
Einige Werke in „Unravel“ erzählen von Emanzipation und Identität, von Geschlechterrollen und Zuschreibungen. Die britische Künstlerin Tracey Emin thematisiert in „No Chance (WHAT A YEAR)“ auf einem großen Quilt, das in einem Jugendzimmer liegen könnte, ihre Vergewaltigung im Alter von 13 Jahren. Männliche Künstler nutzen Handarbeit manchmal auch deshalb, weil man es nicht von ihnen erwartet. Einige Werke tragen klare politische Botschaften oder Slogans.
Dabei muss Textilkunst per se nicht politisch sein. Die Frage, wie man mit ihr umgeht, ist es oft aber doch. Die Teppiche, die Künstlerinnen wie Anni Albers im Bauhaus fertigten, sind nicht politisch. Aber die Tatsache, dass sie weben mussten, weil sie zu anderen Bereichen mitunter keinen Zutritt hatten, ist es.
Was wir als Kunst, wen als Künstler bezeichnen, sagt auch etwas darüber aus, wie wir die Welt, die Gesellschaft sehen. Wenn nun Künstlerinnen und Künstler, deren Arbeiten lange weniger sichtbar waren, auch in Museen auftauchen, wenn alte Handarbeitstechniken wieder an Bedeutung gewinnen, zeigt das, dass sich der Blick auf bestimmte Gruppen wandelt. Und dass der politische Protest, das Stricken im Parlament, die Pussyhats vielleicht doch etwas geändert haben. Nicht weil Pussyhats große Kunst wären. Doch weil sie Aufmerksamkeit für bestimmte Belange und Gruppen schaffen.
Man sollte sich also vom häuslichen Image der Handarbeit oder der flauschigen Textur eines Wollknäuels nicht täuschen lassen. Die politischen Forderungen, die damit in Verbindung stehen, sind oft alles andere als soft.