
So viele Deutsche, aber Kylian Mbappé findet trotzdem die Lücke
Foto: Marijan Murat / dpaDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Immerhin: Auf den Torwart ist Verlass. Vor der Nations-League-Endrunde hatte es Zweifel gegeben, ob Marc-André ter Stegen nach seiner langwierigen Verletzung wirklich schon wieder bereit für so einen Härtetest bei der Nationalmannschaft wäre. Er war es.
Schon gegen Portugal zeigte er zwei herausragende Rettungsaktionen, gegen Frankreich steigerte er diese Quote noch deutlich. Die Meldungen aus Spanien, der FC Barcelona wolle ihn loswerden, scheinen ihn eher angespornt zu haben. Und bei Barça sollten sie noch mal über ihre Pläne nachdenken.
Dennoch: Genützt hat es wenig, die Elf von Julian Nagelsmann hat beide Spiele verloren, dem 1:2 gegen Portugal folgte ein 0:2 gegen Frankreich – und auch wenn das reine Ergebnis gerade am Sonntag in Stuttgart über den Spielverlauf hinwegtäuscht, dann bleibt nach den zwei Partien im deutschen Lager vor allem eines: Ernüchterung.
Es sind vor allem fünf Erkenntnisse, die nach den zwei Auftritten der DFB-Elf bleiben.
1. Die Niederlagen waren verdient
Deutschland ist am Ende nur Vierter in diesem Vierer-Mini-Turnier geworden. Und das zu Recht. Die deutsche Mannschaft war die schwächste von den vieren. In allen Mannschaftsteilen offenbarte sie Defizite, die Abwehr ohne Toni Rüdiger wurde viel zu häufig überlaufen, fand gegen schnelle Tempoläufe kaum ein Mittel. Jonathan Tah, der Nebenmann Rüdigers in der Stammelf, war vor allem gegen die Portugiesen ein Unsicherheitsfaktor.
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Die Sechser-Position, über viele Jahre zuletzt ein Prunkstück der Nationalelf, ist unter Nagelsmann immer wieder neu zusammengesetzt, ohne bisher eine Idealpaarung gefunden zu haben. Im Angriff probierte der Bundestrainer den Debütanten Nick Woltemade, der sich redlich mühte, aber glücklos blieb. Von den Flügeln kam zu wenig Präzises in die Sturmmitte, die Chancenverwertung war schwach, obwohl sich die Mannschaft zumindest wieder zahlreiche Torgelegenheiten erarbeitete. In zwei Spielen gelang nur ein Treffer – und der hätte an sich auch wegen einer Abseitsstellung aberkannt werden können.
Die anderen drei Teams waren, gerade was die Effektivität im Angriff angeht, deutlich besser.
Was im Hinblick auf die WM zudem noch skeptisch werden lässt: Der Heimvorteil bei der EM und bei der Nations League mit der enormen Unterstützung der Fans hat am Ende nichts geholfen. Wie sehr sich die Elf in der Fremde bewährt, ist völlig offen.
2. Der Kader ist zu dünn besetzt
Die fehlende Kadertiefe war das große Thema schon nach dem Portugalspiel, gegen die Franzosen wurde sie noch deutlicher. Frankreichs Nationaltrainer Didier Deschamps brachte in der Schlussphase mit Bayern-Star Michael Olise und Champions-League-Gewinner Didier Doué Topspieler, Nagelsmann hatte Thilo Kehrer und Serge Gnabry zu bieten, beide weit weg von ihrem Zenit in der Nationalmannschaft.

Flügelspieler Adeyemi: Schnell, aber überfordert
Foto: Marijan Murat / dpaDer Bundestrainer hat eine starke Stammelf, dahinter noch zwei, drei Leute, die er jederzeit einsetzen kann. Dann ist Schluss. Im ersatzgeschwächten Aufgebot für das Final Four fehlten Kai Havertz, Rüdiger, Jamal Musiala, Tim Kleindienst und Angelo Stiller, dazu die formstarken Innenverteidiger Nico Schlotterbeck und Jan-Aurel Bisseck. Das ist nicht zu kompensieren. Robin Gosens, Serge Gnabry, Thilo Kehrer, Karim Adeyemi – sie alle wirken auf diesem Niveau überfordert. Julian Nagelsmann sollte vor der WM-Qualifikation einen Schnitt machen.
3. Der Bundestrainer wird sich untreu
Der Charme der Nagelsmann-Renovierungen lag vor allem darin, dass es endlich einmal einen Bundestrainer gab, der Ernst machte mit der Maxime, nach Leistung zu nominieren. Das Momentum, das war ein Zauberwort im Vorjahr, es spülte zum Beispiel zahlreiche Spieler des VfB Stuttgart, die auf der Woge schwammen, in die DFB-Elf.

Bundestrainer Nagelsmann: Nachdenklich
Foto: Marijan Murat / dpaVon diesem Prinzip ist Nagelsmann abgewichen, auch er Not geschuldet, um die Verletzungslücken zu schließen, aber nicht nur. So gehört nach wie vor Robert Andrich zum Kader, der bei Bayer Leverkusen kaum noch in der Startelf auftaucht. Serge Gnabry bekommt eine Berufung, obwohl seine Saison bestenfalls unauffällig war. Und auch Bayerns Alexander Pavlović hat nach längerer Pause sein Niveau von 2024 nicht mehr erreicht. Dennoch hat Nagelsmann auf ihn gesetzt. Das Momentum spielt kaum noch eine Rolle. Leichte Hans-Flick- und Jogi-Löw-Vibes machen sich breit.
4. Die Euphorie flaut ab
Vom Halbfinale in München zum Spiel um Platz 3 in Stuttgart war schon ein deutlicher Stimmungsabschwung im Publikum festzustellen. Es ist letztlich genau das eingetroffen, was der Bundestrainer unbedingt vermeiden wollte, indem er die Nations League so hoch wie möglich in der Relevanz einordnete. Er hat dieses sportlich nachrangige Miniturnier zur WM-Generalprobe erkoren, um aller Welt zu zeigen: Wir können auch mit den Großen mithalten.

Frustriertes DFB-Team
Foto: Federico Gambarini / dpaDamit hat er jedoch genau das Gegenteil erreicht: Die Fallhöhe ist dadurch nach den zwei Niederlagen gefühlt viel höher als real. Niemand darf ernsthaft von diesem Team erwarten, dass es zu den heißen Titelanwärtern auf die WM-Krone 2026 gehört. Genau das hat Nagelsmann aber suggeriert und die Erwartungen extrem geschürt. Das ist aus Motivationsgründen nachvollziehbar, aber gefährlich, wenn es schiefgeht. Es ist schiefgegangen.
5. Alles noch nicht ganz so schlimm
Zu den deutschen Untugenden gehört, Spiel und Niederlagen im Sport gern überzubewerten. Nach der Heim-EM und den darauffolgenden Siegen wurde die Nagelsmann-Elf, auch durch den von ihr selbst verkündeten Anspruch, schon zum Superman hochgejazzt. Dass das knappe Weiterkommen über die Italiener im Viertelfinale eventuell auch an der Schwäche des Gegners lag, offenbart sich jetzt nach dem peinlichen Auftritt der Azzurri in der WM-Qualifikation.
Diese Mannschaft hat unter Nagelsmann unbestritten Fortschritte gemacht, die aber vor allem die Außenwahrnehmung betreffen. Sie hält sich vermutlich aber auch selbst für stärker, als sie es ist. Dass die Erwartung nach den beiden Niederlagen nun niedriger gehängt wird, kann nur heilsam sein. Für die Selbsteinschätzung des Teams und für die Öffentlichkeit.
Die DFB-Elf gehört eben noch nicht wieder zu den Großen. Das heißt aber nicht, dass sie bei der WM nicht weit kommen kann. Kroatien hat bei den beiden vergangenen Weltturnieren gezeigt, dass es auch ohne die überragende Qualität vieler geht, sich unter die Besten zu platzieren. Vielleicht orientiert man sich eher an Kroatien als an Spanien und Frankreich.