Schulen sind ein guter Ort, um Demokratie im Kleinen zu üben. Hier treffen jeden Tag viele Menschen mit verschiedenen Meinungen und Bedürfnissen aufeinander, hier müssen Konflikte gelöst und Kompromisse ausgehandelt werden. Kinder und Jugendliche sollen in der Schule zu mündigen Bürgerinnen und Bürgern erzogen werden. Das ist umso wichtiger, als immer mehr junge Menschen an der Demokratie zweifeln und die AfD viele Erstwähler anzieht.
Doch diesem Auftrag kommen viele Schulen offenbar nicht ausreichend nach. Gut die Hälfte der Lehrkräfte – 54 Prozent – ist überzeugt, dass in ihrer Einrichtung mehr für die Demokratiebildung getan werden sollte. An Haupt-, Real- und Gesamtschulen sind es sogar 63 Prozent. Das zeigt das Deutsche Schulbarometer, eine repräsentative Umfrage der Robert-Bosch-Stiftung. Dafür wurden Ende des vergangenen Jahres 1540 Lehrkräfte und Schulleitungen an allgemein- und berufsbildenden Schulen befragt.
Und warum wird nicht mehr getan? Von den Lehrkräften, die sich mehr Demokratiebildung wünschen, nennen gut drei Viertel fehlende Unterrichtszeit als größtes Hindernis. Für knapp die Hälfte ist mangelndes Fachwissen im Kollegium ein Problem, einem Drittel der westdeutschen Lehrkräfte fehlt passendes Unterrichtsmaterial.
Ein häufiges Hindernis: die Furcht vor Widerstand durch Eltern
Vor allem Lehrerinnen und Lehrer in Ostdeutschland nennen zusätzlich fehlendes Interesse im Kollegium (38 Prozent) und mögliche Konflikte unter Schülerinnen und Schülern (29 Prozent) als Gründe. Oder aber sie befürchten Widerstand durch Eltern (27 Prozent). Frank Ahrens kennt das Problem. Er leitet die Jenaplan-Schule in Jena und muss immer wieder mit Eltern diskutieren, ob Schule nicht politisch neutral sein müsse. Doch wenn es um demokratiefeindliche Einstellungen geht, dürfen sich Lehrkräfte und Schulleitungen nicht heraushalten, sondern müssen klar Stellung dagegen beziehen. Das ist seit den 1970er-Jahren im sogenannten Beutelsbacher Konsens geregelt.
Zur Demokratiebildung gehört, dass im Unterricht entsprechendes politisches, historisches und sozialwissenschaftliches Wissen vermittelt wird. Doch das allein reicht nicht. „Jede Schülerin und jeder Schüler muss die Erfahrung machen, mit den eigenen Auffassungen gesehen und geachtet zu werden und ein wertvolles Mitglied der Gemeinschaft zu sein“, sagt Ahrens. Dazu gehört in seiner Einrichtung, dass die Schülerschaft selbständig Projektwochen organisiert, dass die gymnasiale Oberstufe ihre Abschlussfahrten eigenständig plant und sich um die Finanzierung kümmert. Aber auch, dass eine Gruppe Erst- bis Drittklässler in einem Brief neue Sitzbezüge fordert und der Schulleiter dann mit ihnen darüber redet, ob das machbar ist.
Das Schulbarometer legt offen, dass es diese Art der Partizipation nur selten gibt. Wenn Schülerinnen und Schüler im Alltag mitbestimmen dürfen, dann betrifft das meist die Klassenregeln. Kaum mitreden dürfen sie hingegen bei der Frage, was im Unterricht behandelt wird. 45 Prozent der Lehrkräfte denken sogar, dass die Schülervertretung – also ein gewähltes Gremium von Schülersprechern – keinen Einfluss auf ihre Schule hat. Gleichzeitig findet die knappe Mehrheit der Befragten, dass die Partizipationsmöglichkeiten in ihrer Einrichtung insgesamt ausreichend sind.
„Demokratieerziehung findet nicht nur im Politikunterricht statt“
All das muss sich dringend ändern, findet Dagmar Wolf, Leiterin des Bereichs Bildung bei der Robert-Bosch-Stiftung. „Demokratieerziehung findet nicht nur im Politikunterricht statt. Schulen müssen demokratische und partizipative Orte werden.“ Das funktioniere nur, wenn an jeder Schule Lehrkräfte, Leitung, Schülerschaft und Eltern gemeinsam tragfähige Konzepte entwickelten.
Das Deutsche Schulbarometer hat die Lehrkräfte auch zur Nutzung von künstlicher Intelligenz befragt. 62 Prozent fühlen sich im beruflichen Umgang mit KI-Tools eher unsicher oder sehr unsicher. Ein Drittel hat sie in den vergangenen zwölf Monaten gar nicht für ihre Arbeit verwendet, ein weiteres Drittel nutzt sie regelmäßig. „An Schulen fehlen offenbar oft die Voraussetzungen, um KI sinnvoll einzusetzen“, sagt Dagmar Wolf. „Lehrkräfte müssen gezielt für den Einsatz qualifiziert werden.“
Bedenken gibt es angesichts der Kompetenzentwicklung der Schülerinnen und Schüler: Insbesondere bei sozialen und kommunikativen Fähigkeiten und beim kritischen Denken erwarten über 60 Prozent der befragten Lehrkräfte eher negative Folgen.