Serialität galt in den Sechzigerjahren des zwanzigsten Jahrhunderts als das künstlerische Prinzip der Stunde. Roy Lichtenstein und Andy Warhol bedienten sich popkultureller Sujets und vervielfältigten diese mittels Siebdruck „over and over again“. Repetitiv produzierte Bilder, Widerspiegelung industrieller Standardisierung, bewirkten dabei stets eine Entpersönlichung. Daher holten ein paar New Yorker Ateliers weiter Happening-Künstler und abstrakte Expressionisten zum Gegenschlag aus und setzten vor allem sich selbst in Szene. Irgendwo zwischen Serialität und Individualität befindet sich der amerikanische Künstler Jim Dine.
Bis zum heutigen Tag zur Pop-Art gerechnet, wird er, der heute neunzig Jahre alt wird, nicht müde zu erwähnen, mit dieser nichts am Hut zu haben. Pop-Art sei ihm viel zu unpersönlich, ihm gehe es um nichts als die Suche nach dem Selbst. Anhand seiner Pinocchios lässt sich der Einwand nachvollziehen. Obwohl diese verdächtig nach Pop-Art aussehen, haben sie alle einen Strich zu viel. Mit dem ästhetischen Überschuss verfälscht er die stoische Holzpuppe und legt Spuren zu sich selbst. Mal lächelt Pinocchio, mal sieht er eigenartig tyrannisiert aus, kindliche Vorstellungskraft eben. Von dieser kann man in einer Lebensdauer von neunzig Jahren wohl nur etwas beibehalten, wenn man sich von äußeren Einflüssen abzuschirmen weiß.
Wie am Fließband produziert er diverse Drucke
Jim Dine gelingt das, indem er zahlreiche Porträts von sich selbst anfertigt: „This is me / Running after my portrait / This is how I remember / This is the memory / This is me / Running after myself“, hat er es einmal poetisch gefasst. Dabei wäre der Vorwurf der Entpersönlichung qua Serialität bei Dine nicht abwegig: Wie am Fließband produziert er seit den späten Fünfzigern diverse Drucke. Für ihn sind sie gleichauf mit Malerei, Skulptur oder Zeichnung. Aus diesen Gattungen übernimmt er den Gedanken der Einzigartigkeit des Kunstwerks, von der Produktion großer identischer Serien will er nichts wissen. Dafür recycelt er lieber alte Druckplatten und gestaltet diese um.
Bei der Radierung „Grease, Bone and Color“ aus dem Jahr 1993 lässt sich dieser Wiederverwertungsprozess exemplarisch nachverfolgen. Grundlage ist dieselbe Metallplatte wie bei dem Werk „The Side View“ von 1986. Recycelt wurde auch in der Serie „A History of Communism“ von 2013. Diese basiert auf mehreren von Studenten bereits eingezeichneten Steinplatten aus einer ehemaligen Kunstakademie der DDR. Dennoch erscheinen die darauf abgebildeten Werkzeuge weniger als Symbole eines Arbeiter- und Bauernstaates als dem Formenvokabular von Jim Dine zugehörig. Die Werkzeuge aus dem Eisenwarengeschäft seines Großvaters in Cincinnati sind ihm lebenslange Inspiration geblieben, wie auch in der Siebdruckserie „Tool Box“ von 1966 eindrücklich zu beobachten ist. Früher oder später landet Dine also stets bei sich selbst. Wer es so gut mit sich aushält, dem möge noch ein langes Leben beschert sein.