Der Fall Brosius-Gersdorf: Eine Schadensbilanz, die kaum zu tilgen ist

vor 21 Stunden 1

Der Fall Frauke Brosius-Gersdorf ist ein politisches Debakel. Mit jedem Tag nimmt die abgesagte Wahl der von der SPD fürs Bundesverfassungsgericht nominierten Juristin dramatischere Züge an. Aus einem Vorgang mit – bisher in der Regel – allenfalls protokollarischem Charakter ist eine Causa geworden, die die Republik beschäftigt.

Der Name Brosius-Gersdorf hat sich zum Gesprächsthema am Abendtisch, in Kaffeeküchen oder an Kneipentresen entwickelt. Warum denn nicht, könnte man fragen.

Sind diese Gespräche nicht Ausdruck eines Interesses am politischen System mit all seinen Feinheiten wie einer Richterwahl? Leider nein. Das Gezerre um die 54-Jährige hat bereits eine Schadensbilanz, die nur schwer zu tilgen ist.

Brosius-Gersdorf auf der medialen Bühne

Zu dieser Bilanz hat Brosius-Gersdorf kräftig beigetragen. Am Dienstagabend wagte sie in der ZDF-Sendung „Markus Lanz“ einen Befreiungsschlag, der nur auf den ersten Blick gelang.

Die Potsdamer Professorin setzte auf eine mediale Bühne mit Millionenpublikum, um sich zu verteidigen. „Es war in Teilen eine Kampagne“, sagte Brosius-Gersdorf. Zuvor hatte sie in einer Stellungnahme von einer „unzutreffenden, unvollständigen, unsachlichen und intransparenten“ Berichterstattung gesprochen.

Man muss Lanz zustimmen, als er das als „pauschale Medienschelte“ bezeichnete. Natürlich hat Brosius-Gersdorf das Recht, die Falschdarstellungen, Verzerrungen und teils diffamierenden Angriffe aus der vor allem rechten Szene abzuwehren. Die Vorbehalte, die es wegen ihrer Positionen zu den Themen Schwangerschaftsabbruch, AfD-Verbot und Corona vor allem bei Konservativen gibt, werden so nicht verschwinden.

Die jüngsten Aussagen von Kanzler Friedrich Merz lassen eher ein Aussitzen des Problems vermuten.

Tagesspiegel-Redakteur Johannes Altmeyer

Trotzdem gelang es Brosius-Gersdorf im ZDF, sich als Juristin zu präsentieren, die „absolut gemäßigte Positionen“ vertritt, wie sie sagte. Sie ist keine Extremistin, keine Verfassungsfeindin. Als „Fanatikerin trat sie nicht auf“, schrieb „FAZ“-Herausgeber Jürgen Kaube. Als Friedensangebot an die Kritikerinnen und Kritiker wird das nicht genügen. Zu polarisierend sind die drei Streitthemen bei CDU und CSU, zu emotional reagieren deren Anhängerinnen und Anhänger darauf.

Bekanntermaßen hat die Union den größten Anteil an der Schadensbilanz nach der geplatzten Richterwahl. Fraktionschef Jens Spahn teilte der SPD erst kurz vor der Abstimmung mit, dass es bei CDU und CSU keine Mehrheit für Brosius-Gersdorf gebe.

Spahn hatte wochenlang die Stimmung in seiner Fraktion ignoriert und musste am Ende maximal öffentlich die Reißleine ziehen. Der Chef des CDU-Sozialflügels, Dennis Radtke, verglich all das als mit „einem Autounfall in Zeitlupe“. Recht hat er. Spahn hat sich blamiert, die Fraktion und den Kanzler düpiert, den Koalitionspartner verärgert und Brosius-Gersdorf als Juristin beschädigt.

Will Merz das Problem aussitzen?

Spahn ist weit davon entfernt, im Regierungsalltag eine Stabilität zu garantieren, wie es beispielsweise sein Vorgänger Ralph Brinkhaus konnte. Die schwarz-rote Regierung, die doch so sehr keine zerstrittene Ampel-Koalition sein will, sollte die parlamentarische Sommerpause nutzen, um sich klar zu positionieren. Die jüngsten Aussagen von Kanzler Friedrich Merz lassen eher ein Aussitzen des Problems vermuten.

Klug, unabhängig, fachlich über alle Zweifel erhaben: Die SPD wollte mit Brosius-Gersdorfs Nominierung ein Zeichen für politische Reife setzen. Doch die Partei unterschätzte, wie sehr die Staatsrechtlerin in konservativen Kreisen polarisieren würde.

Dass die Sozialdemokraten am Montag ein Foto der Fraktion mit dem Slogan „Wir stehen hinter unserer Kandidatin, Frau Prof. Brosius-Gersdorf“ veröffentlichte, symbolisiert einen Wunsch nach Aktionismus ohne den Willen, einen politischen Kompromiss zu suchen.

Wenige Tage nach der geplatzten Wahl stehen viele Akteure in der Causa Brosius-Gersdorf beschädigt da: die Kandidatin selbst, die Regierungsparteien, das Parlament, Spahn – und in letzter Instanz das Bundesverfassungsgericht.

Die Richterinnen und Richter in Karlsruhe bauen auf überparteiliches Vertrauen, sie sollten keine Spielbälle in der tagesaktuellen Politik sein. Weder vor noch nach der Wahl. Frauke Brosius-Gersdorf ist es geworden. Dass sie nun selbst einen Rückzug erwägt, um nicht „für eine Regierungskrise“ verantwortlich zu sein, ehrt sie. Es ist der wohl einzige Ausweg aus einer Krise, die sie nicht zu verantworten hat.

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