Comic-Kolumne: Archie Oclos’ Geschichten von Straßenkatzen in Manila

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Nein, ich fische hier nicht mit Katzen nach Klicks. Vielmehr habe ich einen Fischzug in mir unbekannte Gewässer unternommen. Der erste Comic, den ich aus einem mir zuvor noch unvertrauten Kulturkreis lese, ist immer etwas Besonderes und bleibt in Erinnerung. So war es bei den entsprechenden Geschichten aus Indonesien, Südafrika, Neuseeland, Indien, dem Iran oder Ägypten. Und nun einer aus den Philippinen, die im Herbst Gastland der Frankfurter Buchmesse sein werden. Es ist zu erwarten, dass zahlreiche Übersetzungen erscheinen werden, doch mit einem Comic hatte ich gar nicht gerechnet. Ich kannte nichts Vergleichbares aus diesem Land.

Aber hier ist er: „Die Straßenkatzen von Manila“, erschienen bei Culturbooks (und damit ein weiteres Comicdebüt in einem sonst literarischen Verlag). Doch ist das überhaupt ein Comic? Archie Oclos, Autor der Geschichte, ist bildender Künstler – Street Artist und Muralist, wie den Verlagsangaben zu entnehmen ist (der Unterschied zwischen beiden ist mir unklar, aber warum nicht beide positiv besetzten Begriffe verwenden?). Oclos ist also ein Mann des großen Formats, wählt für seine Bildergeschichte jedoch ein sehr kleines. Das erinnert an das Format, in dem vor mehr als vierzig Jahren Moebius arbeitete, als er Alejandro Jodorowskys „Die Augen der Katze“ illustrierte – wohl einer der beeindruckendsten (und erschreckendsten) Katzencomics überhaupt. Aber kann ein philippinischer Wandmaler, der jünger ist als dieses Buch (Oclos wurde 1989 geboren), dieses Werk kennen? Andererseits: Welcher Künstler könnte Moebius nicht kennen?

Die Comic-Kolumne von Andreas PlatthausDie Comic-Kolumne von Andreas PlatthausF.A.Z.

Immerhin wählt auch Oclos für seinen Geschichtenreigen Schwarz-Weiß und einen naturalistischen Stil. Auf den Doppelseiten steht jeweils rechts ein ganzseitiges Bild, links dagegen drei knappe Charakterisierungen dessen, was rechts gezeigt wird – etwa „Luxus“, „Schlemmen“, „Wohlgenährt“ zum Bild einer verwöhnten Katze, die in der Episode „Die Prinzessin aus der Wohnanlage“ auftritt. Das Buch enthält sechs Kurzgeschichten, von denen vier eher vom Elend handeln. Nicht nur vom Elend der Katzen – Archie Oclos bleibt seinem politisch engagierten Schaffen als Street Artist treu und bringt die Katzen in Relation zu Menschen, deren Alltag ebenfalls kein Zuckerschlecken ist: etwa private Kleinbusfahrer, Wachpersonal von Politikern oder ein Garderobenaufseher, der gekündigt wird. Die erwähnte Prinzessin ist die Ausnahme unter den vierpfotigen Haupt- und zweibeinigen Nebenfiguren, doch auch sie landet schließlich auf der Straße.

Seite 15 aus „Die Straßenkatzen von Manila“. Zugeordnet sind dieser Zeichnung die Ausdrücke „Wittern“, „Heimwärts“ und „Huhn“.Seite 15 aus „Die Straßenkatzen von Manila“. Zugeordnet sind dieser Zeichnung die Ausdrücke „Wittern“, „Heimwärts“ und „Huhn“.Culturbooks Verlag

Mit den sechs Episoden zeichnet Oclos ein Porträt der philippinischen Gegenwart – das Buch erschien im Original 2024, und seitdem hat sich offenbar nichts verbessert. Es entsteht ein düsteres Bild: Korruption, Gewalt und ein drastisches Wohlstandsgefälle prägen die Geschichten. Mit den Katzen begeben wir uns in die Hinterhöfe, Nebenräume und an die Straßenränder der Millionenstadt Manila, wo überall Not herrscht. Natürlich betrifft das auch die Katzen, die zwar ihre eigenen Wege gehen, aber die Nähe der Menschen aus rein egoistischen Gründen suchen – Gründe, die jedoch einen Trost darstellen für Ausgegrenzte, die sonst keinerlei Zuspruch in ihren prekären Situationen erfahren.

 Seite 143 aus „Die Straßenkatzen von Manila“. Zugeordnet sind dieser Zeichnung die Ausdrücke „Aufgeschreckt“, „Einfall“ und „Unterschlupf“.Das letzte Kapitel führt die sechs Katzen zusammen: Seite 143 aus „Die Straßenkatzen von Manila“. Zugeordnet sind dieser Zeichnung die Ausdrücke „Aufgeschreckt“, „Einfall“ und „Unterschlupf“.Culturbooks Verlag

Der Reiz des Bandes liegt in der von der Leserschaft geforderten Rekonstruktion dessen, was sie sieht, zu einer Geschichte. Dabei sind die (von Jan Karsten aus dem Filipino übersetzten) jeweils drei Bemerkungen pro Doppelseite hilfreich, aber nicht zwingend notwendig. Zumal Oclos seinem Band nach der letzten Geschichte ein Nachwort beigefügt hat, in dem er alle sechs Episoden ausführlich erläutert. So ganz vertraut dieser Künstler seiner eigenen Bilderkunst also nicht, doch niemand ist gezwungen, diese etwas schlichten Ausführungen zu lesen.

Das Cover zu „Die Straßenkatzen von Manila“Das Cover zu „Die Straßenkatzen von Manila“Culturbooks Verlag

Wenn es vier Elends- und eine Wohlstandsgeschichte gibt, was bietet dann die sechste? Ein Loblied auf die Solidarität. In der Schlussepisode tun sich die Protagonisten aus den ersten fünf Geschichten zusammen, streunen durch die philippinische Hauptstadt, vorbei an Orten, die wir schon kennen, und auf dem finalen Bild starren sie uns aus elf treumütigen Augen an (es sind sechs Katzen, von denen eine nur ein Auge hat – sie heißt dementsprechend „der Pirat“). Dazu gibt es links als abschließende Begriffs-Trias „Obhut“, „Liebe“, „Zuhause“. Oclos will uns also doch Hoffnung machen, ans Mitgefühl appellieren und auch an den Kampfgeist, den seine tierischen Helden bereits bewiesen haben. Wenn sie es geschafft haben, die bedrohlichen Umstände zu überstehen, dann sollten wir das doch auch können. Man darf gespannt sein, was und wie noch alles bis zur Buchmesse (und natürlich dort) aus den Philippinen erzählt wird. „Die Straßenkatzen von Manila sind jedenfalls kein schlechter Auftakt.

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