Wofür soll der Klub stehen, was soll er verkörpern? Und wer soll es umsetzen? Im Trainingslager im Weimarer Land erläuterte der sportlich Hauptverantwortliche, wie es bei dem niedersächsischen Bundesligisten künftig vorangehen soll.
Es ist vielleicht ein letztes Mal ein öffentlicher Blick zurück. "Insgesamt war die Saison enttäuschend", stellt Peter Christiansen ohne Umschweife zum Ergebnis der abgelaufenen Spielzeit fest. "Wir haben in den täglichen Abläufen viel gearbeitet. Aber um einen Fußballklub aufzubauen, müssen wir von Grund auf ansetzen." Für den Geschäftsführer Sport persönlich sei es dabei im ersten Jahr seiner Tätigkeit beim VfL Wolfsburg statt einer kurzfristigen Betrachtung die größere Aufgabe gewesen, sich die Strukturen anzusehen und zu schauen, wo man stehe.
Die Erkenntnis? Relativ ernüchternd. "Wir sind von einem anderen Ausgangspunkt gestartet, als ich gehofft hatte. Und ich habe auch gehofft, dass wir die Schritte schneller gehen können. Dass wir auf dem Weg, wie wir im Klub intern arbeiten wollen, schon etwas weiter sind. Das sind die Fakten und das sage ich nicht, um gegen irgendjemanden nachzutreten."
In der Philosophie des Dänen spielt grundsätzlich der Cheftrainer eine zentrale Rolle, nicht aber in der Schuldfrage. Christiansen: "Man kann immer darüber diskutieren, ob es zu spät war, sich von Ralph Hasenhüttl zu trennen. Ralph hat die Zeit verdient, die er in Wolfsburg hatte. Er kam, hat die Mannschaft in seiner ersten Saison vor dem Abstieg gerettet. Es war ihm gegenüber fair, ihm die Zeit zu geben, um zu sehen, ob wir da gemeinsam rauskommen."
"Simonis war gut vorbereitet, hatte eine klare Idee"
Viel jedoch hängt für Christiansen grundsätzlich von der Arbeit des Cheftrainers ab, und daher endete der gemeinsame Weg mit Hasenhüttl vorzeitig. Heute zeigt sich der 50-Jährige überzeugt vom neuen Mann an der Seitenlinie: Paul Simonis. Der Niederländer habe schon in den ersten Gesprächen vor der Verpflichtung seine Qualitäten dargelegt. "Er war gut vorbereitet, hatte eine klare Idee und hat uns Videos und Beispiele gezeigt."
Das alles deckte sich offenbar mit den Vorstellungen des VfL-Funktionärs. Diesen: "Ich möchte einen Fußball, der einfach unser eigener ist. Ich mag es, den Ball zu haben. Aber nicht, um ihn einfach nur zu haben. Wenn man sich die erfolgreichen Mannschaften heute ansieht, dann dominieren sie nicht nur mit Ballbesitz, sondern auch damit, wie sie verteidigen können. Es geht darum, einen soliden, aufregenden und interessanten Fußball zu spielen. Das ist unsere Idee, die wir hier umsetzen wollen."
Um das zu erreichen, will man Simonis ausreichend Zeit und Mittel zur Verfügung stellen. Christiansen: "Wir müssen ihm die Chance geben, jeden Spieler kennenzulernen und sehen zu können, was der Spieler in seine Vorstellungen einbringen kann. Ich glaube, Paul sieht schon sehr viele Möglichkeiten innerhalb unseres Kaders, um eine gute Startelf zu finden." Hinzu komme für den 40-Jährigen weitere Hilfestellung "von oben", aus der Chefetage. "Wir alle müssen ihm zu verstehen geben und erklären, was wir in unseren Strukturen erwarten, und ihm dann alles so gut einrichten, dass es funktioniert."
Und das im Tagesgeschäft, während er, Christiansen, als ein weiteres Gesicht des VfL eher die langfristigen Ziele ins Visier nimmt: "Ich denke dabei in meiner Rolle nicht in Tagen, sondern daran, wo wir in ein, zwei oder mehr Jahren stehen. Wo sind wir dann? Ich muss es auf diese Weise betrachten, auch wenn es im Fußball eigentlich keine Zeit gibt. Wie entwickeln wir uns? Das ist für mich die wichtigste Frage."
Wegen Rogerio: Ein Außenverteidiger soll kommen
Natürlich komme man dann - auch aus der Erfahrung der jüngsten Vergangenheit - an den Punkt, den Spielerkreis für den Trainer homogen zu gestalten. Heißt: Dem Kader notwendige Verstärkungen zuzuführen, ihn aber auch in einem vernünftigen Rahmen zu halten. Bei der Frage, ob mit Josh Sargent (Norwich) schon bald der gehandelte Top-Transfer für den Sturm dabei sein wird, lächelt Christiansen nur vielsagend: "Ich weiß es nicht."
Konkreter wird er bei dem Vorhaben, die Abwehr, in der der Brasilianer Rogerio auch in diesen Trainingslagertagen nicht zur Verfügung steht, aufzustocken: "Wir kennen die Verletzungsgeschichte von Rogerio, die wirklich unglücklich gewesen ist. Deswegen brauchen wir einen weiteren Außenverteidiger." Im Gespräch hier jüngst: Andrei Ratiu, 27-jähriger Rumäne von Rayo Vallecano.
Doch es soll auch ausgedünnt werden, aus der leidvollen Erfahrung des Vorjahres heraus: "Es werden noch Spieler kommen, aber es werden auch noch welche gehen." Man müsse die Anzahl der Akteure, und das ist ganz im Sinne Simonis', insgesamt herunterschrauben. "Letzte Saison hatten wir zu Beginn viele Verletzungen, da war dieses Problem nicht so groß. Im Frühjahr aber waren bis auf ein paar Spieler, die immer mal ausfallen, grundsätzlich alle da - wo ist da dann noch eine Hierarchie? Wer hat da noch eine wichtige Rolle? Oder überhaupt eine Rolle? So etwas ist nicht förderlich innerhalb eines Kaders."
"Der Anspruch, in Europa zu spielen, ändert sich nicht"
Ob es nach mageren Jahren in der anstehenden Saison auch tabellarisch merklich aufwärts geht, mag Christiansen nicht versprechen. Aber es gibt eine Vision, an der er festhält, gepaart freilich mit realistischer Einschätzung. "Der Traum oder der Anspruch, wieder in Europa zu spielen, wird sich nicht ändern."
Angesichts der Möglichkeiten, die man dank der Zuwendungen von Hauptsponsor Volkswagen bekommt, müsse es die Ambition sein. "Wir gehören zu der Gruppe, die die hinteren internationalen Plätze erreichen können, allerdings gehören wir nicht zu den Favoriten. Und das müssen wir begreifen." Er, Christiansen, wolle eine Entwicklung im Spiel und in der Stabilität des Teams sehen. "Für uns geht es darum, den Hunger und zu finden, einer der Klubs zu sein, der fünf oder acht Spieltage vor Saisonende noch im Rennen ist." Und das möglichst "mit einem Fußball, mit dem sich die Leute identifizieren können".
Michael Richter