
Die Topfahrer kämpfen sich durch den Pyrenäen-Nebel, allen vorweg Tadej Pogačar
Foto: Sarah Meyssonnier / REUTERSDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Unter den Wolken: Eine Königsetappe der Tour de France in den Pyrenäen ist hart genug. Wenn es regnet, windig und kalt ist, wird sie noch härter. Am Freitag war es noch heiß gewesen, am Sonntag soll es wieder heiß werden, am Tag dazwischen gab es die Wechselbäder. Die Kameras stocherten im Nebel, die Wolken hingen tief. Früher steckten sich die Fahrer in solchen Fällen Zeitungen unter die Trikots, aber im digitalen Zeitalter gibt es das nicht mehr. Frankreichs Liebling Julian Alaphilippe, der alte Fuchs, nutzte immerhin das Pappschild eines Fans vom Wegesrand, schnappte sich die Pappe, zerteilte sie und steckte sie sich unter sein Dress.
Die 14. Etappe: Ein Tag, der die Tour-Mythen abfährt: Der Col du Tourmalet, der Col d'Aspin, der Col de Peyresourde – Fels gewordene Tourgeschichte, Monumente der Frankreichrundfahrt, die es auf den 183 Kilometern zwischen Pau und Luchon-Superbagneres zu bewältigen gab. Der Niederländer Thymen Arensman gewann die Etappe, er rettete einen kleinen Vorsprung vor den Überfliegern Tadej Pogačar und Jonas Vingegaard ins Ziel. Florian Lipowitz bestätigte seine Topform als Fünfter und ist jetzt schon Dritter im Gesamtklassement. Das weiße Trikot des besten Jungprofis trägt der Deutsche nun obendrein.
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Er kann nicht mehr: Remco Evenepoel war im Vorjahr Dritter, war aktuell Dritter, aber gefühlt ging es mit dem belgischen Zeitfahrstar von Tag zu Tag bergab. Am Samstag konnte er schon beim Anstieg zum Tourmalet nicht mehr mithalten. Eine schlechte Nachricht für ihn, eine gute für die Verfolger – und damit als allererstes für Lipowitz, der im Gesamtklassement direkt hinter ihm lag. Als die ARD am frühen Nachmittag live in die Etappe einstieg und das »große Duell um Platz drei« ankündigte, war dieses Duell schon entschieden. Evenepoel stieg kurze Zeit später vom Rad und gab auf. Vorher hatte er einem kleinen Jungen am Wegesrand noch seine Wasserflasche gegeben und ein Kind damit glücklich gemacht.

Das Leiden ins Gesicht geschrieben: Remco Evenepoel
Foto: Luca Bettini / Photo News / IMAGOZusammenfassung der ARD-Übertragung: Florian Lipowitz. Florian Lipowitz!!!
Steinig für Steinès: Seit 1910 gehört der Tourmalet zum Tour-Kalender, ein Abonnent der fast ersten Stunde also. Der damalige Tourchef Henri Desgranges beauftragte seinen Mitarbeiter Alphonse Steinès zuvor, den Pass auf Tourtauglichkeit zu prüfen. Steinès erreichte die Passhöhe damals zu Fuß, weil das Auto wegen Schnee nicht weiterkam, gegen Abend bei Temperaturen knapp über null Grad. Auf dem Rückweg verirrte er sich, fiel in einen Gebirgsbach, soll eine Lawine ausgelöst haben und kam um drei Uhr nachts durchfroren und durchnässt in einem Dorf an. Er soll seinem Chef telegrafiert haben: »Bin gut über den Tourmalet gekommen. Stop. Straße in gutem Zustand. Stop. Keine Schwierigkeiten für die Fahrer.« Man weiß nicht, ob es wirklich so war, aber es ist gut erzählt.

Schlösschen am Wegesrand der Etappe
Foto: Martin Divisek / EPAWenn es zu eng wird: Die Begeisterung der Fans und ihre Folgen: Ein Auto des Teams Ineos streifte einen Zuschauer, als der zu nah an der Strecke stand. Ob sich die Person verletzt hat, ist bisher nicht bekannt. Aber die Fannähe, so faszinierend die Bilder davon auch sind, ist ein Problem: Die schwingenden Fahnen der Anhänger haben schon mehrfach zu Beinahe-Kollisionen geführt.
Insel der Verdammten: Verkehrsinseln sind eigentlich dazu da, den Verkehr zu bändigen, zu beruhigen. Für Radsportler sind sie eine Qual. Der Däne Mathias Skjelmose hatte sich für die Etappe viel vorgenommen, schon nach 30 Kilometern konnte er das abhaken, als er eine Verkehrsinsel zu spät sah und anschließend auf dem Asphalt lag. Er fuhr mit blutigem Ellbogen noch kurz weiter, aber dann war die Tour für ihn gelaufen, bevor der erste Berg kam.

Lenny Martinez im Bergtrikot
Foto: Thibault Camus / APFamiliensache: 1978 entschied der Franzose Mariano Martínez die Bergwertung der Tour de France für sich. Auftrag und Ehre für seinen Enkel, es ihm gleichzutun. Lenny Martinez riss früh aus, fuhr als Erster über den Tourmalet und den D'Aspin, sicherte sich wichtige Bergpunkte und ist damit nun Führender der Wertung und Träger des gepunkteten Bergtrikots. Auf Opas Spuren also. Vater Martínez hat sich übrigens auch nicht lumpen lassen: Er war 2000 in Sydney Olympiasieger im Mountainbike.
Land und Leute: Wahrzeichen der Pyrenäen-Metropole Pau ist die Standseilbahn, die bereits seit 1908 die Menschen transportiert. Seilbahnen gibt es hier ohnehin überall. Wie dumm von den Radprofis, dass sie sich stattdessen auf der Straße die Berge hinauf schinden. Noch schneller als mit der Seilbahn ging es in Pau auch mal zu: Man war bis 1963 elfmal Austragungsort von Formel-1-Rennen, der legendäre Jim Clark gewann zweimal.

So eng gehts zu in den Pyrenäen
Foto: Martin Divisek / EPAAm Ziel: 36 Jahre lang wurde Luchon-Superbagnères als Zielort nicht angefahren, weil erst die Straße dorthin saniert werden musste, die dem Tourtross irgendwann sonst nicht mehr standgehalten hätte. 36 Jahre Sanierung, das klingt nach Berliner Verhältnissen. Zuvor gab es packende Duelle am Schlussanstieg zwischen Bernard Hinault und Greg LeMond, zwischen LeMond und Laurent Fignon. Luchon ist eigentlich Kurort, hier erholten sich schon die Dichter Victor Hugo und Guy de Maupassant, auch Jenny Marx, die Frau von Karl Marx, der älteren Leserinnen und Lesern vielleicht noch ein Begriff ist.

Picknick mit Tour-Beigabe
Foto: Marco Bertorello / AFPBon Appetit: Endlich wieder Käsezeit. Ein Liegestuhl am Rand des Anstiegs, Klapptisch davor, Sonnenschirm drüber und dazu ein herzhafter Tomme de Pyrenées mit seiner schwarzen oder goldenen Rinde oder ein Osseau-Iraty, gewonnen von der Schafsmilch. Ein Armagnac oder ein Wein aus dem Roussillon, um den Fahrern zuzuprosten, die sich die 15,9 Prozent Steigung zum Col de Peyresourde hinaufquälen. So kann man die Etappe als Zuschauer an der Strecke so gerade noch aushalten.
Was macht Michael Antwerpes: Servierte seinen ARD-Kollegen Florian Naß und Fabian Wegmann während der Live-Übertragung Törtchen aus der Region. Mit Zuckerguss in den Farben Gelb, grün und gepunktet. Formvollendet wie Yves Montand in »Garcon! Kollege kommt gleich«.
Erkenntnis der Etappe: Pogačar diesmal nur Zweiter der Etappe. Er schwächelt eindeutig.
So geht es weiter: Und der Herr sprach: Am siebten Tage sollst du ruhen. Das gilt aber nur für die Kletterspezialisten, die Anderen müssen auch am Sonntag zeigen, was sie draufhaben. Zwischen Muret und Carcassonne geht es hügelig zur Sache, an sich eine Etappe für Ausreißer. Falls die nach den Strapazen der Vortage noch die Beine dafür haben.