China: Überall rote Linien

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Das Problem ist nicht neu, aber die Auswüchse werden immer gravierender: Einem neuen Bericht des „Foreign Correspondents' Club of China (FCCC)“ zufolge ist es zunehmend schwieriger, als Auslandskorrespondent über China zu berichten. Feindseligkeit gegen internationale Journalisten werde demnach institutionalisiert. Seit 20 Jahren veröffentlicht der 1981 gegründete Zusammenschluss von Auslandsjournalisten einen jährlichen Bericht zur Medienfreiheit in China.

Etwa die Hälfte der für den Bericht befragten Journalisten gibt an, dass immer mehr Themen für sie als tabu gälten, über die man noch vor wenigen Jahren problemlos habe berichten können. Zudem sei es im Vergleich zu früheren Jahren für die Journalisten immer undurchsichtiger, welche Gebiete das sind. Selbst Texte und Rundfunkbeiträge über politisch vermeintlich harmlose Themen überschritten inzwischen rote Linien. Beiträge über die Wirtschaft zum Beispiel, die Lage von Frauen, Alkoholismus, Halloween in Shanghai. Rote Linien, überall.

Auch Forscher oder Privatpersonen äußern sich immer seltener

Was bisher für einzelne Berichtsgebiete gegolten habe – etwa solche zur Unterdrückung der muslimischen Minderheit der Uiguren in Xinjiang oder der Tibeter –, gelte jetzt für nahezu jedes Thema. Allen voran die Wirtschaft, und dort Felder wie die hohe Jugendarbeitslosigkeit, Deflation, die Lebensbedingungen von Wanderarbeitern und Handelskonflikte, etwa der Zollstreit mit den USA. In „ganz grundlegenden Feldern“ sei eine Berichterstattung immer hürdenreicher, heißt es im Bericht.

Für die Korrespondenten und ihre chinesischen Mitarbeiter bedeute das: Von offizieller Seite dürften die Journalistinnen und Journalisten kaum auf Auskünfte hoffen. Eher müssten sie damit rechnen, dass ihnen die Recherche erschwert werde. Auch Forscher oder Privatpersonen äußerten sich seltener oder gar nicht – aus Angst, dass es ihnen negativ ausgelegt würde, wenn Regierungsbeamte etwas davon mitbekämen.

Mehr als acht von zehn Korrespondenten in China haben es laut dem FCCC-Bericht erlebt, dass ihnen bereits zugesagte Interviews abgesagt wurden, mutmaßlich auf Druck von staatlichen Stellen. Mehr als jeder dritte befragte Korrespondent gibt an, selbst von Reisen oder Interviews Abstand genommen zu haben, nachdem chinesische Staatsdiener Druck ausgeübt hätten. Wer auf eigene Faust reise, etwa nach Tibet, werde von offiziellen Regierungsmitarbeitern oder unbekannten Dritten an der Recherche gehindert. Mitunter auch durch körperliche Gewalt oder deren Androhung.

Eine „Einladung zum Teetrinken“: Das ist nicht freundlich gemeint

Wie in den Vorjahren auch seien die mögliche Überwachung der digitalen Kommunikationswege durch den Staat und die Androhung von Klagen weiterhin ein Problem. Auch würden Journalisten nach wie vor vom chinesischen Ministerium für Staatssicherheit „Einladungen zum Teetrinken“ enthalten. Klingt nett, steht aber meist für einen Einschüchterungsversuch.

Im Vergleich zum vergangenen Jahr haben sich dem Bericht zufolge immerhin zwei Umstände verbessert: Die Auslandsjournalisten berichten kaum noch von gegen sie gerichtete Kampagnen auf Social Media. Und: Weniger als die Hälfte der Befragten gibt an, durch chinesische Polizeibeamte bei Recherchen behindert worden zu sein; im Vorjahr hatte mehr als die Hälfte der Befragten dies kritisiert.

Der Bericht des FCCC ist mit einer Warnung verbunden: Wenn es Journalisten nicht möglich sei, nuanciert über Vorgänge in China zu berichten, könne die Welt kein tiefergehendes Verständnis für die Volksrepublik entwickeln, ein immer wichtiger werdendes Land. Die zahlreichen Einschränkungen der Berichterstattung belasteten nicht nur internationale Geschäftsentscheidungen und das zwischenmenschliche Verständnis, „sondern erhöhen auch das Risiko gefährlicher geopolitischer Fehleinschätzungen“.

Dass es in China um die Pressefreiheit nicht gut steht, ist keine neue Erkenntnis. Die Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF) listet die Volksrepublik derzeit an drittletzter Stelle in ihrem jährlich veröffentlichten Ranking zur Medienfreiheit, nur in Nordkorea und Eritrea sei die Lage noch schlechter. Zu der Situation in China schreibt RSF, bei dem Land handele es sich um das „weltgrößte Gefängnis für Journalisten“. Das chinesische Regime verfolge eine „unterdrückerische Kampagne gegen den Journalismus und das Recht auf Information“ – und zwar weltweit.

Chinesische Behörden rieten Auslandskorrespondenten inzwischen, sich vom FCCC fernzuhalten, schreibt dieser in seinem Bericht. Dabei sei das Verhältnis zwischen dem chinesischen Staat und dem Reporterzusammenschluss in den Anfangsjahren gut und von gegenseitigem Interesse geprägt gewesen.

Diese Zeiten sind vorbei: In den vergangenen Jahren bezeichneten Regierungsvertreter den FCCC als „illegale Vereinigung“. Das chinesische Außenministerium ließ 2021 verlautbaren, Auslandskorrespondenten sollten sich glücklich schätzen, überhaupt in China zu sein. Im neuesten Bericht des FCCC wollen die allermeisten Befragten nicht mit Klarnamen genannt werden – wohl aus Angst vor weiteren Repressalien.

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