Champions-League: Herrje, wo kommen die ganzen Treffer her?

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Trefferflut in der Champions League Herrje, wo kommen die ganzen Tore her?

Leverkusen verliert 2:7 gegen PSG, Olympiakos 1:6 gegen Barcelona und Napoli 2:6 gegen Eindhoven: Hat denn niemand mehr Lust zu verteidigen? Drei mögliche Erklärungen für den Torreigen.

22.10.2025, 13.31 Uhr

 Eindhovens Ismael Saibari trifft sehenswert

Eins von sechs: Eindhovens Ismael Saibari trifft sehenswert

Foto: Dean Mouhtaropoulos / Getty Images

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Qairat Almaty und der Pafos FC haben sich an diesem Dienstagabend verweigert. Während in den übrigen sieben Partien der Champions League 43 Treffer fielen, im Schnitt 6,1 Tore pro Partie, spielten die Außenseiterklubs aus Kasachstan und Zypern 0:0.

Wen an diesem Abend die vielen »Tor!«-Schreie aus der TV-Konferenz stressten, der fand beim Spiel dieser beiden Teams seine Ruhe.

Selbst mit diesem 0:0: 43 Tore in acht Spielen bleiben ein enorm hoher Wert und ergeben im Schnitt 5,4 Treffer. Der Durchschnitt der 189 Spiele der Vorsaison lag bei 3,27 Toren pro Partie. Im Jahr davor, als die Champions League noch im alten Modus unterwegs war, gab es gar bloß knapp drei Treffer.

Ist dieser neuerliche Torreigen Zufall? Oder gibt es dafür eine Erklärung?

1. Guess what, Rot verändert das Spiel

Den Spielen FC Barcelona gegen Piräus (6:1), Bayer Leverkusen gegen Paris Saint-Germain (2:7) und PSV Eindhoven gegen Napoli (6:2) war eines gemein: Es waren nicht nur die drei torreichsten Partien des Abends, in allen Spielen gab es auch Rote Karten.

Nachdem Piräus ab der 57. Minute in Unterzahl spielte, kassierte das Team noch vier Treffer. Napoli stand ab der 76. Minute mit einem Mann weniger auf dem Feld und bekam noch drei Gegentore.

Wer in Unterzahl spielt, ist im Nachteil. So weit, so banal.

Platzverweis gegen Leverkusens Robert Andrich

Platzverweis gegen Leverkusens Robert Andrich

Foto: Thilo Schmuelgen / REUTERS

Interessanter liegt der Fall bei Bayer Leverkusen und Paris Saint-Germain. Der Bundesligist war nach dem Platzverweis von Robert Andrich in der 31. Minute beim Stand von 0:1 ein Spieler weniger. Sechs Minuten später sah auch PSG Rot und kassierte beim anschließenden Elfmeter den Ausgleich zum 1:1.

Vorteil Leverkusen, das berühmte Momentum jetzt aufseiten des Deutschen Meisters von 2024? Nicht wirklich, denn PSG schoss noch bis zur Pause drei weitere Treffer, obwohl wieder personelle Gleichzahl herrschte.

Für Leverkusen hat es sich womöglich trotzdem wie ein Duell in Unterzahl angefühlt. Denn je weniger Spieler auf dem Feld sind, desto größer erscheint der Platz. Dadurch ergeben sich mehr Möglichkeiten für schnelle Angriffe und Schüsse im Strafraum sowie aus der Ferne. Ein technisch so brillantes Team wie PSG nutzt das aus.

Nur: Wer in Unterzahl spielt, ist längst nicht dazu verdammt, Tore zu kassieren. Auch neun Feldspieler können die Räume für den Gegner derart eng machen, dass er kaum in den Strafraum gelangt. Das war am Dienstagabend zwar nicht durchgängig, aber doch in vielen Szenen der Fall. Wieso fielen trotzdem so viele Treffer?

2. Volltreffer durch die Deckung

Anhaltspunkte dafür gibt Leverkusener 2:7.

Beim Treffer zum 2:1 für Paris versperren drei Bayer-Verteidiger Désiré Doué den Weg zum Tor; er schießt durch sie hindurch und hat Glück, dass der Ball abgefälscht wird. Beim 3:1 von Khvicha Kvaratskhelia läuft es ähnlich. Das vierte und siebte Pariser Tor fällt jeweils per Distanzschuss von außerhalb des Strafraums.

 Alles geht

PSG-Star Doué: Alles geht

Foto: Martin Meissner / AP

Auch beim zweiten Bayer-Tor stand die Pariser Defensive trotz Unterzahl kompakt; sechs Spieler befanden zwischen Torschütze Aleix García und dem PSG-Tor. Der Leverkusener schoss aus fast 30 Metern, wahrscheinlich tat er es auch gerade deshalb, weil kein Durchkommen war. García traf in den Winkel. Ein Schuss, wie er vielleicht einmal im Jahr gelingt.

An diesem Dienstagabend gelang so einiges, was sonst selten klappt. Das zeigt der Expected-Goals-Wert, der Tore aufgrund historischer Daten mit Erfolgswahrscheinlichkeiten versieht. Hier lesen Sie mehr zu der Metrik.

Demnach wären beim 2:7 von Leverkusen fünf bis sechs statt der tatsächlichen neun Tore zu erwarten gewesen.

Ähnlich lief es auch in anderen Stadien. Barcelonas Chancen hätten in den meisten Partien zwei bis drei Tore ergeben, nun waren es sechs. Eindhoven erreichte gegen Neapel einen xG-Wert von 2,9, traf aber ebenfalls sechsmal.

 Unwahrscheinliche Tore

Barcelonas Marcus Rashford: Unwahrscheinliche Tore

Foto: Josep Lago / AFP

Die 43 Tore des Abends sind deshalb auch durch Schussglück, Torwartfehler oder Zufall zu erklären. Denn der xG-Wert aller Teams lag bei 29,3.

Das ergibt einen Schnitt von 3,66 pro Partie am Dienstag statt der tatsächlich erzielten 5,4.

3,66, das klingt nicht mehr ganz so verrückt, liegt aber dennoch über dem eingangs erwähnten Schnitt von 3,27 Toren in der vergangenen Saison.

Das könnte daran liegen, dass die Mannschaft sich an den neuen Champions-League-Modus angepasst haben.

3. Rette sich, wer trifft

Das wäre eine dritte Erklärung für die vielen Tore: Sie sind wichtiger geworden.

Statt wie bisher in Gruppen spielen seit der Reform der Königsklasse im Vorjahr 36 Teams an acht Spieltagen um den Einzug in die K.-o.-Runde. Die ersten acht Teams sind direkt für das Achtelfinale qualifiziert, die Plätze neun bis 24 spielen in den Playoffs um den Einzug, alle anderen sind raus. Acht Spieltage bieten kaum Zeit, um sich hier klar von der Konkurrenz abzusetzen. Umso größer wird daher das Gewicht des Torverhältnisses, das bei Punktgleichheit über das Weiterkommen oder das Ausscheiden entscheidet.

 In der Vorsaison noch mal Glück gehabt

City-Trainer Guardiola: In der Vorsaison noch mal Glück gehabt

Foto: Andreu Esteban / EPA

Wie dieser Mechanismus wirken kann, zeigte ausgerechnet Manchester City in der Vorsaison. Das Team von Pep Guardiola enttäuschte, rutschte auf Rang 22 ab und erreichte diesen Platz (der immerhin für den Einzug in die Hoffnungsrunde um den Einzug ins Achtelfinale reicht) auch nur, weil es beim Torverhältnis klar besser dastand als die Konkurrenz dahinter. Dinamo Zagreb hatte ebenso viele Punkte wie City, flog jedoch als 25. aus dem Wettbewerb.

Wer viel trifft, überlebt im Zweifel.

Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch: Wenn man in der neuen Champions League etwas vermeiden sollte, dann ist es, sich abschießen zu lassen.

Da fühlt sich Bayer Leverkusens 2:7 fast schon wie eine doppelte Niederlage an.

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