Caroline Wahls neuer Roman: 350 Seiten können ganz schön lang sein

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Caroline Wahls Erfolgsgeschichte beginnt mit einer „Kackzeit“, als sie Assistentin im Diogenes Verlag war und abends nach der Arbeit ihren ersten Roman schrieb – „in einem Wahn aus Einsamkeit und Traurigkeit in so einem riesigen unpersönlichen Mietshaus in Zürich“, wie sie in verschiedenen Interviews sagt. Seitdem sind die Romane „22 Bahnen“ und „Windstärke 17“ um das Schwesternpaar Ida und Tilda erschienen, die sich mehrere hunderttausend Mal verkauften und monatelang auf den Bestsellerlisten hielten.

An diesem Donnerstag erscheint der dritte Roman der dreißigjährigen Autorin, die mittlerweile in Kiel lebt, weit weg von Zürich. Er erzählt davon, wie sich die junge Charlotte Scharf um die Stelle als Assistentin des Münchner Verlegers Ugo Maise bewirbt, sie bekommt und annimmt – „eine riesengroße Fehlentscheidung“, heißt es gleich im ersten Satz des Buches und bekräftigend noch zweimal im darauf folgenden Satz. Sie bezieht eine kleine Wohnung in einem halb leer stehenden Mietshaus an der Isar, dessen Bewohner sie nicht kennenlernen wird, abgesehen von ihrem hinfälligen Flurnachbarn.

Die Geschichte einer Befreiung

Im Verlag teilt sie sich ein Büro mit der zweiten Assistentin Ivana. Der Verleger, den Charlotte „nicht sonderlich intelligent“ findet, erweist sich rasch als exzen­trisch und fordernd – es gibt sogar eine Art Handbuch für den Umgang mit ihm, das seine Vorstellungen für den Arbeitsablauf im Detail festhält und am ersten Arbeitstag an die neue Assistentin verteilt wird. Während Ivana sich nicht sonderlich darauf einlässt, studiert Charlotte das Werk und ist auch sonst bereit, jeden Wink des Verlegers zu befolgen, die klaren und die kryptischen.

Damit hat sie Erfolg: Ivana, in den unklaren Hierarchien des Hauses doch auf subtile Weise bevorzugt, wird entlassen, und Charlotte avanciert zur Vertrauten des Chefs. Der aber fordert immer mehr Einsatz von ihr, ­beruflich wie privat, er handelt irrational, sprunghaft und ohne eine Vorstellung davon, was er seiner Assistentin gerechterweise aufbürden kann – der Name „Maise“ ist sprechend. Ein Alkoholproblem hat er wohl auch. Schließlich verlässt sie das Haus. Gegen Maises Willen.

 „Die Assistentin“. Roman. Rowohlt Verlag, Hamburg 2025. 368 S., geb., 24,–  €.Caroline Wahl: „Die Assistentin“. Roman. Rowohlt Verlag, Hamburg 2025. 368 S., geb., 24,– €.Rowohlt Verlag

„Die Assistentin“ erzählt wie Wahls frühere Bücher eine Emanzipations­geschichte, erscheint aber stärker autobiographisch grundiert als diese. Char­lotte ist mit der Autorin fast gleichalt, die Arbeitsstelle ist ähnlich definiert und ebenfalls frustrierend, die Wohnsituation vergleichbar. Und auch im Ausweg, den Charlotte findet, klingt Wahls Werdegang an: Die Assistentin, die eigentlich Musikerin werden wollte, sich aber für den ­sicheren Job im Verlag entschied, nimmt abends in ihrer Wohnung Lieder auf, mit denen sie später groß rauskommt – so wie Wahl mit „22 Bahnen“.

Erzählt wird das, anders als Wahls Vorgängerromane, auktorial, und das so, als gebe es eine dem Roman vorgelagerte erlebte Geschichte, für die noch die rechte Form gesucht werde, mit häufigen Vorgriffen aufs Kommende, Überlegungen zur Rezeption des entstehenden Textes – ein „Bestseller“, wie die Erzählstimme vermutet – durch Leser, und Selbstermutigungen wie „aber jetzt erst mal der Reihe nach“. Bisweilen klingt das wie die ausufernde Mitteilung eines Bekannten, der sich beim Reden selbst ins Wort fällt, weil er meint, nicht deutlich genug zu sein und Bezüge nicht klar genug hergestellt zu haben.

In diesem Stil können 350 Seiten ganz schön lang sein, nicht nur wegen der zahlreichen Wiederholungen, die in der Mündlichkeit durchaus Intensität herstellen könnten, schriftlich aber selten sinnvoll erscheinen. Bisweilen fragt man sich, welches Bild die Autorin von ihren Lesern hat, denen sie bei Weitem mehr erklärt, als sie müsste, und damit auch gelungene Einfälle verstolpert.

Als etwa eine mächtige Verlagsmitarbeiterin auftaucht, die ein rotes Cape trägt und für ihre junge Kollegin ein Rätsel bleiben wird, fällt Charlotte das Lied „Ein Männlein steht im Walde“ ein, ein schöner Hinweis auf das Diffuse der Figur, nur dass die umfangreiche Aus­legung leider auf dem Fuß folgt. Und dass der Chef Nudelsuppe bestellt, aber ohne Nudeln, ist witzig und sprechend, wird dann nur ebenso umfangreich ausgewalzt und als absurd markiert.

Von Erfolgen des Verlags ist übrigens nicht die Rede, eher vom Sand im Getriebe, gestreut von einem durchgeknallten Chef. Charlotte aber legt zugleich den Grundstein für ihren Siegeszug in der Kulturindustrie. So bleibt von diesem Buch wenig mehr als die Mahnung, dass man sich gut überlegen sollte, wohin man seinen Elan als Berufsanfängerin gibt, welchem Unternehmen man sich damit anvertraut. Umgekehrt gilt das wohl genauso.

Caroline Wahl: „Die Assistentin“. Roman. Rowohlt Verlag, Hamburg 2025. 368 S., geb., 24,– €.

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