Fünf Jahre nach seiner Flucht aus Japan in einem Instrumentenkoffer gibt Carlos Ghosn Lehrgänge für Manager im Libanon. Das berichtet das »Wall Street Journal«, das den langjährigen Chef von Renault und Nissan an der maronitisch-katholischen Heilig-Kreuz-Universität Kaslik nördlich von Beirut getroffen hat. Der 71-Jährige wird mit internationalem Haftbefehl gesucht und sitzt deshalb in dem krisen- und kriegsgeplagten Nahoststaat fest. Dennoch zeige er sich noch immer als erfolgreicher Geschäftsmann, heißt es in dem Bericht.
Der Zeitung gegenüber äußerte sich Ghosn optimistisch über die weitere Entwicklung der Weltwirtschaft, auch mit Blick auf die von US-Präsident Donald Trump verhängten Zölle und daraus entstehenden Handelskonflikte. »Heute zu denken, dass dies das Ende der Globalisierung sei, ist offen gesagt ein Witz«, sagte Ghosn. »Im Gegenteil, die Leute wollen wissen, was überall geschieht. Sie sind von verschiedenen Kulturen beeinflusst.«
Dem »Wall Street Journal« zufolge räumte der frühere Konzernlenker einen Widerspruch zwischen dieser Perspektive und seiner persönlichen Lage ein. Bis zu seiner Verhaftung durch die japanische Justiz 2018, die ihm Veruntreuung von Nissan-Firmenvermögen vorwirft, verkörperte der selbst ernannte »Weltbürger« den Jetset, der überall zu Hause ist.
Ghosn spricht fünf Sprachen und hat drei Pässe. Jahrelang führte er große Autokonzerne auf verschiedenen Kontinenten gleichzeitig und schmiedete eine der größten Allianzen in der Branche. Auf Treffen der globalen Elite wie dem Weltwirtschaftsforum in Davos war Carlos Ghosn Stammgast mit dem Ruf, er könne jedes Unternehmen sanieren.
Jacht und Villa sind geblieben
Geblieben sind ihm Anteile an einem libanesischen Weingut, ein mit 20 Millionen Dollar bewertetes rosafarbenes Anwesen in Beirut und eine 36 Meter lange Jacht. Auf Ghosns Haus und Boot erhebt der Nissan-Konzern Anspruch.
Die Managerseminare in der Nähe von Beirut gibt Ghosn honorarfrei. Ein erster Versuch mit hohen Gebühren galt im Libanon als zu abgehoben. Dafür hatte Ghosn prominente Wegbegleiter aus der Autoindustrie wie den ehemaligen Daimler-Chef Dieter Zetsche oder Thierry Bolloré von Renault und Jaguar Land Rover als Gastdozenten gewonnen. Die neue Lehrveranstaltung trägt den Titel »Bootcamp für Strategie und Krisenmanagement mit Carlos Ghosn«.
»Ich fühle mich gut, weil die Leute mich als Opfer sehen«, sagte der Ex-Manager. Er bestreitet weiterhin die Vorwürfe japanischer und französischer Ermittler, Geld aus den Kassen von Nissan und Renault für sich abgezweigt zu haben, sieht sich als zu Unrecht verfolgt und eine Verschwörung in ihrem Nationalstolz gekränkter japanischer Nissan-Manager am Werk. Heute sehe man, wie sein Werk einer globalen Autoallianz zerstört wurde: Der abermals finanziell angeschlagene Nissan-Konzern müsse um Hilfe flehen, Renault sei wieder zu einer Nebenrolle als mittelgroßer europäischer Hersteller verdammt.
Ein Erfolgstipp an sich selbst
Ghosn bedauerte, dass die libanesischen Behörden seine Ausreise verbieten. Sonst könnte er sich einem bevorstehenden Untreueprozess in Paris stellen und seine an Alzheimer erkrankte Mutter in seinem Geburtsland Brasilien besuchen. Außerdem beklagte er, dass auch seine Frau Carole von Interpol gesucht wird. Die US-Bürgerin sei »Gefangene« im Libanon »aus dem einfachen Grund, dass sie meine Frau ist«.