Bundesverfassungsgericht: Union und SPD scheitern an der Richterwahl

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Die letzte Bundestagssitzung vor der parlamentarischen Sommerpause endet für die schwarz-rote Koalition mit einem Fiasko.

Union und SPD können sich nicht auf die Wahl der von der SPD vorgeschlagenen Juristin Frauke Brosius-Gersdorf für einen der vakanten Richterposten am Bundesverfassungsgericht einigen.

Nun haben die Fraktionen vereinbart, die geplanten Neubesetzungen für das höchste Gericht von der heutigen Tagesordnung zu nehmen. Das teilte die stellvertretende Bundestagspräsidentin Josephine Ortleb nach einer mehr als einstündigen Sitzungsunterbrechung mit.

Laut ursprünglicher Tagesordnung sollten Brosius-Gersdorf, der von der Union unterstützte Kandidat Günter Spinner und die von der SPD nominierte Ann-Katrin Kaufhold nacheinander und in separaten Tagesordnungspunkten vom Bundestag gewählt werden. Bei der geheimen Wahl ist eine Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen notwendig. Dafür sind Union und SPD auf Stimmen auch aus anderen Fraktionen angewiesen.

Streit schwelt seit Tagen

Bereits am Morgen hatte sich abgezeichnet, dass Brosius-Gersdorf die Zweidrittelmehrheit wegen teils erheblichem Widerstand aus der Union verfehlen könnte. Die Union drängte die SPD, die Wahl von Brosius-Gersdorf von der Tagesordnung nehmen zu lassen. Andernfalls werde sich die Union bei der Wahl enthalten – Brosius-Gersdorf wäre dann mit großer Wahrscheinlichkeit durchgefallen.

Die SPD beharrte dagegen weiter auf die Wahl Brosius-Gersdorfs. Kurz vor der ersten Abstimmung (über die Ernennung Spinners) wurde die Plenarsitzung auf Wunsch der SPD-Fraktion für eine Fraktionssitzung unterbrochen. Dort fiel dann nach SPIEGEL-Informationen die Entscheidung, alle drei Abstimmungen von der Tagesordnung nehmen zu lassen. Die Koalition erkauft sich damit Zeit, um den festgefahrenen Konflikt zu lösen.

Innerhalb der Union gibt es bereits seit Tagen teils massive Vorbehalte gegen die an der Universität Potsdam lehrende Juristin. Sie gilt wegen ihrer Positionen etwa zum Lebensschutz und zur Menschenwürde mit Blick auf das Abtreibungsrecht gerade konservativen Abgeordneten als »linke Aktivistin«. (Mehr darüber, ob die Kritik berechtigt ist, lesen Sie hier. )

Union bringt Gutachten eines »Plagiatsjägers« ins Spiel

Darüber hinaus wird innerhalb der Union ein seit Donnerstag kursierendes Gutachten des österreichischen »Plagiatsjägers« Stefan Weber ins Feld geführt, das Zweifel an Brosius-Gersdorfs fachlicher Eignung für das hohe Richteramt wecke.

Weber will nach eigener Aussage Textübereinstimmungen in der Dissertation von Brosius-Gersdorf und der Habilitationsschrift ihres Mannes Hubertus Gersdorf ausfindig gemacht haben. Die Angaben ließen sich im Detail zunächst nicht unabhängig prüfen.

SPD verteidigt Brosius-Gersdorf

In der SPD sieht man in den Vorwürfen gegen Brosius-Gersdorf Stimmungsmache. »Es ist sehr bedenklich, wie viele Abgeordnete der Union auf die völlig haltlose Kampagne von Rechtsaußen gegen eine hoch geschätzte Juristin aufspringen«, sagte der SPD-Abgeordnete Sebastian Roloff dem SPIEGEL. »Die Unionsfraktionsführung scheint dem leider wenig entgegenzusetzen zu haben. Das muss sich zukünftig ändern«, sagte Roloff, der auch SPD-Vorstandsmitglied ist.

Thüringens Innenminister Georg Maier, dort zugleich SPD-Landesvorsitzender zeigte sich schockiert. »Die Union hat nichts aus den Fehlern der Ampel gelernt und beschädigt die Koalition, ihren eigenen Bundeskanzler und das Bundesverfassungsgericht. Das war völlig unnötig und macht mir Sorgen, was die Zukunft der Koalition angeht«, sagte Maier dem SPIEGEL.

Ähnlich äußerte sich auch der Erste Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Dirk Wiese, in der Aussprache, die der formalen Absetzung der Richterwahlen im Parlament folgte. Wiese sprach dabei von einer Hetzkampagne gegen Brosius-Gersdorf in den vergangenen Tagen.

Grüne kritisieren Dilettantismus

Unterstützt wurde die Absetzung der Richterwahlen von den Grünen, die sich zuvor ebenfalls hinter Brosius-Gersdorf gestellt hatten. Es sei nicht akzeptabel, nur die Wahl der bei der Union umstrittenen Juristin Frauke Brosius-Gersdorf abzusetzen, das wäre ein respektloser Vorgang, sagte Fraktionschefin Katharina Dröge.

Die Grünen-Fraktionsführung bezeichnete die aus ihrer Sicht fehlende Vorbereitung der Richterwahlen als Desaster und als Dilettantismus. Auf diese Weise würden das höchste deutsche Gericht und die künftigen Richterinnen und Richter beschädigt.

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