Die Wahl neuer Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts ist normalerweise ein diskretes Geschäft, aber dieses Mal hakt es. Josef Christ ist im vergangenen November 68 Jahre alt geworden, das ist eigentlich die Altersgrenze in Karlsruhe – doch weil der Bundestag noch keinen Nachfolger gewählt hat, muss der Richter weiterarbeiten. Vizepräsidentin Doris König hat vor wenigen Tagen die 68er-Marke erreicht, eine Entlassungsurkunde hat aber auch sie bisher nicht erhalten.
Doch nächste Woche sollen im Bundestag die Nachfolger gewählt werden, und inzwischen kursieren drei Namen. Für die Christ-Stelle hat die Union das Vorschlagsrecht. Auf diesen Modus haben sich die Parteien geeinigt, weil Richter mit Zweidrittelmehrheit gewählt werden. Sie will Günter Spinner nominieren, Vorsitzender Richter am Bundesarbeitsgericht und einer der drei Namen, die das Gericht selbst ins Spiel gebracht hat – nach einem gesetzlich vorgesehenen Verfahren, das wegen des großen Zeitverzugs in Gang gesetzt wurde.
Die Union ist selbst an dem Dilemma schuld
Die SPD möchte die Potsdamer Rechtsprofessorin Frauke Brosius-Gersdorf zur Nachfolgerin von Doris König machen. Außerdem muss ein Ersatz für Ulrich Maidowski her, der auf eigenen Wunsch im Oktober ausscheiden möchte. Auch hierfür hat die SPD das Vorschlagsrecht – sie will Ann-Katrin Kaufhold ins Rennen schicken, Rechtsprofessorin in München. Zwei Professorinnen, ein respektabler Bundesrichter – alles gut, könnte man meinen.
Tatsächlich ist aus der Unionsfraktion zu hören, dass bei der Wahl nächste Woche auch die beiden SPD-Kandidatinnen unterstützt würden. Auch die SPD dürfte gegen den Unionsmann sehr viel weniger einzuwenden haben als gegen Robert Seegmüller, ein Bundesverwaltungsrichter, den die Union noch vor der Bundestagswahl ins Rennen schicken wollte – ein Mann mit einer klaren Tendenz zum asylkritischen Aktivismus.
Hätte die Union damals einen moderaten Kandidaten vorgeschlagen, dann wäre die Wahl längst vollzogen – und zwar ganz ohne die Linke, die im vorigen Bundestag nicht für die Zweidrittelmehrheit zur Richterwahl notwendig war. Die Union ist also irgendwie selbst daran schuld, dass sie mit der Linken über die Karlsruher Personalie sprechen sollte. Also mit der Partei, gegen die sie eine sorgsam gehegte Phobie pflegt. Anders ist die Zweidrittelmehrheit nicht mehr zu haben, weil eine Kooperation mit der AfD ausscheidet.
Bei der Linken hat man „ein hochgradiges Störgefühl“
Nun könnte man sagen: Damit hat die CDU selbst die Hindernisse aufgestellt, die den Weg zur Einigung so schwer begehbar machen. Dennoch gibt sich die Unionsfraktion entspannt. Mit der Linken rede man nicht, dafür gebe es keine Notwendigkeit, heißt es da.
Bei der Linken ist man über den Umgang mit ihr empört. Clara Bünger ist nicht nur stellvertretende Vorsitzende der Linken-Fraktion, sie sitzt für ihre Fraktion auch im Wahlausschuss des Bundestags. Es hinterlasse „ein hochgradiges Störgefühl, dass die Namen jetzt öffentlich sind und die Union trotzdem nicht bereit ist, ein Gespräch mit uns über die Vorschläge und das zukünftige Verfahren zur Benennung zu führen“, sagt Bünger der SZ. „Der Umstand, dass die Union uns ein Gespräch verweigert, ist demokratisch dysfunktional.“
Was ihre Fraktion von Kaufhold, Brosius-Gersdorf und Spinner halte, will Bünger nicht sagen, da es „im Sinne der Demokratie“ sei, sich nicht zu einzelnen Personalvorschlägen zu äußern, solange keine Gespräche zwischen den Parteien stattgefunden haben.
Die Union könnte einen Trumpf einsetzen
Der Frage, ob Voraussetzung für eine Zustimmung der Linken in jedem Fall ein eigenes Vorschlagsrecht der Linken bei der nächsten Richterwahl sei, weicht Bünger aus. Sie sagt aber, es sei „inzwischen vollkommen unerklärlich, warum die Linke kein eigenes Vorschlagsrecht haben sollte“. Die bisher bestehende Regelung sei nicht in Stein gemeißelt und könne jederzeit unproblematisch geändert werden.
Dass die Union offenkundig wenig Anlass sieht, mit der Linken ins Geschäft zu kommen, dürfte seinen Grund in einer weitere Novität dieser Richterwahl haben. Scheitert eine Wahl im Bundestag, kann der Bundesrat – der ohnehin die Hälfte der Verfassungsrichter wählt – als Ersatzgremium einspringen. Gedacht war dies als Resilienz-Mechanismus für das Gericht, um einer erstarkenden AfD die Blockademöglichkeit zu nehmen. Die CDU könnte das nun als Trumpf im Spiel mit der Linken einsetzen, nach dem Motto: Entweder, ihr akzeptiert unseren Kandidaten, oder wir überweisen die Wahl an den Bundesrat.
Auf solche Spekulationen reagiert Bünger mit scharfer Kritik: „Sollte das so sein, handelt die Union höchst unverantwortlich.“ Die demokratischen Parteien sollten im Bundestag eine gemeinsame Lösung finden. Die Linke stehe jedenfalls für Gespräche mit der Union bereit und erwarte, dass man sie „kontaktiert, um über die Details zu sprechen“.