Bundesnetzagentur weist Berichte über Online-Zensur zurück

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Aufregung über »Trusted Flagger« Bundesnetzagentur weist Berichte über Online-Zensur zurück

Wer meldet illegale Beiträge an Facebook, X und Co? Die Bundesnetzagentur wählt dafür einzelne Organisationen aus. Rechte Medien wittern nun Eingriffe in die Meinungsfreiheit. Das steckt dahinter.

11.10.2024, 12.10 Uhr

 Trusted Flagger entscheiden nicht über die Entfernung von Inhalten

Bundesnetzagentur-Chef Müller: Trusted Flagger entscheiden nicht über die Entfernung von Inhalten

Foto: Wolf von Dewitz / picture alliance / dpa

Allenfalls ein Nischenpublikum mit Interesse an Netzregulierung dürfte in Deutschland bisher den Begriff »Trusted Flagger« gekannt haben. Das änderte sich diese Woche, nachdem sich einzelne Medien und rechte Online-Nutzer über das Modell empörten. Unter »Trusted Flaggern« versteht man Organisationen, die mutmaßlich verbotene Inhalte an Tech-Konzerne wie YouTube oder Meta melden und von diesen dabei als besonders vertrauenswürdig eingestuft werden. Ihre Meldungen sollen demnach besonders zuverlässig auf tatsächlich verbotene Postings hinweisen.

Diese Woche schrieb dann etwa das von Julian Reichelt geführte Portal »Nius« mit Bezug auf die Melder von »einer neuen Zensurbehörde«. Demnach würden die »Trusted Flagger« darüber entscheiden, ob »Beiträge wegen vermeintlicher Fake News oder Desinformation aus dem Netz gelöscht werden«, hieß es. Auch der MDR schrieb davon, dass »künftig Meldestellen Hass und Fake News schnell und ohne bürokratische Hürden entfernen können«.

Auslöser der Berichterstattung war eine Bekanntmachung der Bundesnetzagentur, die Anfang Oktober die Meldestelle »Respect!« aus Baden-Württemberg als »Trusted Flagger« benannt hatte. Die genaue Rolle des Meldesystems allerdings sieht die Behörde in den Berichten offenbar nicht richtig dargestellt. »Wenn der Eindruck vermittelt wird, dass ein Trusted Flagger Inhalte löschen kann, ist das falsch«, sagt Bundesnetzagentur-Chef Klaus Müller mit Bezug auf die entsprechenden Medienberichte dem SPIEGEL. »Trusted Flagger entscheiden nicht über die Entfernung von Inhalten oder ordnen eine solche an«, so Müller.

Welchen Einfluss »Trusted Flagger« wirklich haben

Tatsächlich können Einrichtungen wie etwa »Respect!« Unternehmen wie TikTok, Facebook oder YouTube Beiträge lediglich zur Kenntnis bringen. Gemeldet werden sollen dabei nur mutmaßlich strafbare Inhalte und nicht etwa Beiträge, die zwar falsch, aber nicht illegal sind.

Die Unternehmen sind zwar gesetzlich verpflichtet, die Hinweise der Flagger zeitnah und schneller als bei regulären Nutzermeldungen zu prüfen. Aber die Entscheidung darüber, welches Posting online bleibt und was entfernt wird, treffen die Unternehmen selbst. Sie beschäftigen dafür sogenannte »Content Moderatoren« und auch Juristen, die bei besonders strittigen Fällen eingeschaltet werden können. Wenn Nutzer ihre Posts zu Unrecht entfernt sehen, können sie wiederum bei einer staatlichen Schlichtungsstelle Einspruch einlegen.

Verankert wurde dieses System im »Digital Services Act« (DSA), dem EU-Gesetz, mit dem Online-Plattformen und Social-Media-Konzerne reguliert werden. Durch den DSA ist die Bundesnetzagentur dafür zuständig, Meldestellen zu prüfen und ihnen anschließend den Status »Trusted Flagger« zu verleihen.

Tatsächlich gab es solche Meldestellen bereits viele Jahre bevor der DSA verabschiedet wurde. Das Konzept stammt ursprünglich von den Techkonzernen selbst, die damit etwas Ordnung in die riesige Menge an Nutzermeldungen über vermeintlich verbotene Inhalte bringen wollen, der die Plattformen bis heute nur bedingt Herr werden.

Durch den DSA werden »Trusted Flagger« nun erstmals von einer Behörde auf ihre Eignung geprüft. So müssen die Meldestellen mit umfangreichen Unterlagen etwa nachweisen, dass sie unabhängig sind und ihre Arbeit objektiv und genau ausüben.

Angriff auf den Chef der neuen Meldestelle

In einem eigenen Artikel kritisierte Nius auch den Chef von »Respect!« Ahmed Gaafar. In der Überschrift wird er als »Deutschlands neuer Zensor« bezeichnet. Im Text wiederum wird darauf hingewiesen, dass der in Kairo geborene Gaafar Islamwissenschaften an der Al-Azhar-Universität in Kairo gemacht habe, deren Chef sich wiederum mit Hamas-Führern zeigte. Gaafar machte seinen Bachelor an der Universität, seinen Master schloß er in Interreligiösen Studien in Bamberg ab.

Dafür dass sich der Ort seines Bachelorstudiums auf die Arbeit von »Respect!« auswirken würde, gibt es allerdings keinerlei Hinweise. In der Bundesnetzagentur sieht man nach SPIEGEL-Informationen mit Blick auf das bisherige Meldeverhalten von »Respect!« keine Indizien für eine fehlende Objektivität oder mögliche politische Schlagseite der Organisation. Gemeldet würden etwa besonders häufig mutmaßlich strafbare Postings im Bereich Antisemitismus, heißt es aus dem Umfeld der Behörde.

Auch die Chefin von Ahmed Gaafar weist jegliche Unterstellungen einer politischen Ausrichtung zurück: »Wir sind bei unserer Arbeit auf keinem Auge blind«, sagt Petra Densborn, Vorstandsvorsitzende der Jugendstiftung Baden-Würtemmberg, zu der »Respect!« gehört. Gerade nach dem 7. Oktober 2023 habe man viele Beiträge aus dem islamistischen Spektrum gemeldet.

»Wir finden es irritierend, wenn die Arbeit der Stiftung in irgendeiner Form in die Nähe einer bestimmten politischen oder gar demokratiefeindlicher Richtung gestellt wird«, sagt Densborn. »Im Übrigen sind im Kuratorium der Stiftung Mitglieder aller im Landtag vertretenen Fraktionen vertreten«, so Densborn. Dazu gehört in dem Bundesland auch die AfD.

Meldungen an das BKA

Respect! meldet bereits seit rund zwei Jahren auch Beiträge an das Bundeskriminalamt (BKA), wo es eine eigene zentrale Meldestelle für strafbare Inhalte im Internet gibt. Dort versucht man, Verfasser mutmaßlich illegaler Postings ausfindig zu machen. Dafür prüfen Polizisten, ob die gemeldeten Beiträge tatsächlich strafrechtlich relevant sind, um anschließend die Poster zu ermitteln und gegebenenfalls ein Verfahren durch die lokale Staatsanwaltschaft anzustrengen. Ein Urteil, ob der Beitrag gegen Gesetze verstoßen hat oder nicht, fällen dann jeweils Gerichte. (Lesen Sie hier mehr über die Ermittlungen des BKA gegen strafbare Online-Poster.)

Aufgrund des mehrstufigen Meldesystems gibt es keine exakten Zahlen darüber, wie viele der ursprünglichen Meldungen tatsächlich zu einem Urteil führen oder von einem Gericht als strafbar bewertet werden. Nach SPIEGEL-Informationen werden jedoch rund neun von zehn der gemeldeten Beiträge von den Polizisten als illegal eingeschätzt. Zwar ist »Respect!« nur eine von insgesamt fünf Zulieferern für die BKA-Meldestelle. Angesichts der bereits seit zwei Jahren etablierten Zusammenarbeit, erscheint die Sorge vor einer maßlos über das Ziel hinausschießenden Meldestelle eher unbegründet zu sein.

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