Kurz bevor der Ball rollte, leuchtete der Himmel über dem Freiburger Stadion schwarz- und weißrot. Am letzten Spieltag der Fußball-Bundesliga lieferten die beiden Fanlager die stimmungsvolle Begleitung für das direkte Duell zwischen dem SC Freiburg und der Eintracht Frankfurt um die Qualifikation für die Champions League: Vor dem Anpfiff tauchten die Fanlager das Stadion mit Choreos und Pyrotechnik in die Farben ihrer Vereine.
Auch im Nachgang des 3:1-Erfolgs der Eintracht bestimmten die Fanlager die Stimmung. Selbst eine Dreiviertelstunde nach Spielende feierten beide Kurven ihre Teams noch: die Frankfurter die zweite Champions-League-Teilnahme der Vereinsgeschichte, die Freiburger die erneute Qualifikation für die Europa League.
Wie bewertet man das Jahr eins nach Christian Streich?
Minuten später versuchten die Freiburger in der Auswechselzone, die Saison einzuordnen. SC-Routinier Vincenzo Grifo gestand, wie enttäuscht er sei: »Weil du natürlich dann träumst, gegen Mannschaften wie Madrid und Barcelona zu spielen.« Trainer Julian Schuster sah es positiver: »Es muss absolut überwiegen, was wir erreicht haben. Es ist bemerkenswert.«

Choreo und Pyros der Fans
Foto: Philipp von Ditfurth / dpaKapitän Christian Günter sagte: »Ich bin stolz auf unseren Verein, dass wir uns mittlerweile aufregen, die Champions League verpasst zu haben.« Es waren Einblicke in eine ambivalente Gemütswelt, das Saisonfinale wirft widersprüchliche Fragen auf: Ist diese Saison nun positiv oder ist sie angesichts des Verpassens der Königsklasse negativ zu bewerten?
Kein Provinzclub mehr – die Effizienzmaschine der Liga
Positiv stechen mehrere Aspekte hervor: Der SC war eine Effizienzmaschine. Trotz negativer Torbilanz (-4) landete das Schuster-Team im Spitzenfeld. Elf Spiele gewannen die Breisgauer mit nur einem Tor Abstand. Aus den eigenen Möglichkeiten, so Sportchef Jochen Saier, habe man das Maximale herausgepresst. Kein Hurrafußball, aber ausgesprochen effektiv. Minimalismus made in Breisgau. Schnörkelloser als eine Schwarzwälder Kuckucksuhr.
Der aktuelle Erfolg basiert auf einer steten Entwicklung:
Der Kader spielt seit Jahren zusammen, mehr gemeinsame Dienstjahre hat kaum eine andere Mannschaft. Das sorgt für Sicherheit. Die Freiburger Effizienz basiert darauf.
Seit vier Jahren läuft der SC zudem im neuen Stadion auf. Auch hier: keine Schnörkel, kein Protz. Die Identität ging durch den Umzug aus dem schrulligen Dreisamstadion nicht verloren, die Bindung zu den eigenen Fans ist größer denn je. Der Samstag war ein Feiertag in der Schwarzwald-Metropole. Eine ganze Stadt, gekleidet in rot-weiß.
Finanziell gehört der Sportclub nicht mehr zu den Kleinen. In der Saison 2022/23 gab Freiburg knapp 90 Millionen für seine Spieler aus und gehörte damit erstmals zu den zehn finanzkräftigsten Mannschaften der Liga. Tendenz steigend.
Und Geld schießt auch an der Dreisam Tore: In den vergangenen vier Jahren landeten die Breisgauer dreimal in der Top sechs der Liga, einmal erreichten sie das Halbfinale, einmal das Finale des DFB-Pokals. Die Freiburger sind nicht mehr der kleine Provinzklub vom Fuße des Schwarzwalds.
Der denkbar größte Trainerwechsel gelang leise und erfolgreich
Der Klub hat es zudem geschafft, einen anspruchsvollen Trainerwechsel still, leise und erfolgreich zu moderieren. Julian Schuster hat eine Trainerlegende beerbt und seinen Verein in der ersten Saison nach zwölf Jahren Christian Streich direkt nach Europa geführt.

Heutiger SC-Trainer Schuster (l.) mit Vorgänger Streich
Foto: Beautiful Sports / Ulf Schiller / IMAGODer 40-Jährige ist ein Mann bescheidener Töne. Der frühere SC-Kapitän hat konsequent die gallische-Dorf-Rhetorik seines Vorgängers übernommen und dennoch eigene Akzente gesetzt: Freiburg hat diese Saison offensiver gespielt als unter Streich.
Vor allem aber hat Schuster einen Generationswechsel angestoßen. Bis an die Schmerzgrenze. Mit Spielführer Günter und Mittelfeldmann Nicolas Höfler kickte Schuster einst selbst zusammen. Beide spielen unter ihm nur noch eine nachgeordnete Rolle.
Den großen Moderationsprozess im Hintergrund haben Sportchef Saier und Sportdirektor Clemens Hartenbach gesteuert. In den schwächeren Phasen – etwa als im Winter die Partien gegen Dortmund (0:4), Leverkusen (1:5), Frankfurt (1:4) und Stuttgart (0:4) hoch verloren gingen – sprachen sie dem neuen Coach Vertrauen aus. In der starken Saisonendphase bremsten sie die Euphorie. Am Samstag waren sie nach dem Abpfiff die Ersten, die die Spieler aufrichteten.
Was sagt der Freiburger Erfolg über die Schwäche der Liga?
Man kann die Freiburger Saison aber auch negativ wenden: Dass ein Klub mit negativer Torbilanz fast in der Königsklasse aufläuft, gab es in der Bundesliga noch nie. Der Höhenflug der Freiburger sagt viel über die Schwäche der Liga aus. Finanzkräftigere Klubs wie Leipzig, Wolfsburg oder Stuttgart landeten am Ende deutlich hinter dem SC. Freiburg hat also über, vor allem aber hat die Konkurrenz deutlich unter ihren Möglichkeiten gespielt.

Trainer Schuster mit Fans
Foto: Markus Gilliar / Getty ImagesFür die ersten vier Plätze hat es trotzdem nicht gereicht. Dafür ließ Freiburg zu viele Chancen liegen. Keines der letzten fünf Heimspiele konnte das Schuster-Team gewinnen. Am Samstag reichte eine Führung gegen anfänglich überforderte Frankfurter nicht. Deshalb hat der SC zum fünften Mal in der Vereinsgeschichte an einem letzten Spieltag die Königsklasse verpasst.
Wie geht es weiter?
Die großen Fragen der kommenden SC-Jahre lauten daher: Wie oft müssen sie noch scheitern, bis es zur Champions League reicht? Was fehlt zum Topteam? Passt die Kultur der Demut noch zu den gewachsenen Möglichkeiten? Liegt in der badischen Bescheidenheit der Grund für den Erfolg oder ist sie Understatement und am Ende sogar die Ursache dafür, dass es bislang nicht nach ganz oben gereicht hat?
Hinterher sprach Schuster zumindest schon wieder unbeirrt vom Klassenerhalt. Ganz so, als hätte es die herausragenden Ergebnisse und finanziellen Sprünge der vergangenen Jahre nie gegeben. So genügsam-authentisch all das unter dem kauzig-philosophischen Streich wirkte, ob das auch zum smarten Schuster passt, bleibt abzuwarten.
Wie lange das für einen aufstrebenden Topklub funktioniert, ist die ewige Identitätsfrage des SC Freiburg.