Der Gendarmenmarkt in Berlins Zentrum ist ein ganz besonderer Ort. Nicht nur, weil er mitsamt Deutschem und Französischem Dom als „schönster Platz“ der Hauptstadt gilt. Das 1688 angelegte Areal steht für eine Zukunft, die Berlin vorerst nicht haben wird. Vor zwei Jahren wurde der Umbau des Gendarmenmarktes begonnen. Kilometerlange unterirdische Leitungen und Speicher werden bald wertvolles Regenwasser auffangen und wieder nutzbar machen.
Der Platz ist ein Teil des einst ehrgeizigen Plans, Verkehrsflüsse und Architektur der Stadt so umzugestalten, dass Berlin dem Klimawandel trotzen kann. Gerade werden die letzten Pflastersteine am Konzerthaus verlegt. Doch wenn der Gendarmenmarkt 2025 fertiggestellt sein wird, wird er vermutlich erst einmal ein Unikat bleiben. Denn der regierende Senat aus CDU und SPD hat den klimagerechten Umbau der Stadt vorerst abgesagt.
Berlin muss im nächsten Jahr drei Milliarden Euro sparen, den größten Teil davon soll die Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt beitragen: 660 Millionen Euro, an die 18 Prozent des Gesamtetats der Behörde. Die Einschnitte sind derart massiv, dass selbst Deutschlands Autolobbyisten Alarm schlagen. „Der ADAC Berlin-Brandenburg fordert den Senat auf, die Einsparungen mit Augenmaß vorzunehmen, denn Verkehrssicherheit und eine funktionierende Infrastruktur sind essenziell für eine Metropole wie Berlin“, kommentiert der Landesverband.
In diesem Jahr sind bereits 48 Menschen auf Berlins Straßen gestorben – mehr als im Vorjahr
Die geplanten Kürzungen bedeuten nicht nur das Aus für das 29-Euro-Ticket im Berliner Nahverkehr. Massiv gestrichen wird auch bei Vorhaben wie sicheren Fahrradwegen, Zebrastreifen und beim Schutz vor Straßenlärm. Dabei sind in diesem Jahr bereits 48 Menschen im Berliner Straßenverkehr gestorben. Das sind schon jetzt mehr als im gesamten Jahr 2023. Trotzdem ist im Mobilitätsgesetz der Stadt noch immer die „Vision Zero“ festgeschrieben, also das Ziel, dass im Straßenverkehr niemand mehr schwer oder gar tödlich verletzt wird.
Auch die S-Bahn und die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) müssen künftig erheblich sparen: zusammen 150 Millionen Euro. Die BVG trifft das besonders hart. Eine parlamentarische Anfrage der Grünen offenbarte im Sommer, dass dort der gewohnte Betrieb wegen Fahrzeugschäden und Personalmangels schon jetzt nicht mehr aufrechterhalten werden kann. Auf manchen U-Bahnstrecken fuhren zeitweise nur noch um die 20 Prozent der Wagen. Wer dachte, schlimmer könne die BVG-Krise nicht mehr werden, „hat diese Kürzungsliste noch nicht gesehen“, kommentierte der Grünen-Abgeordnete David Hartmann die Sparvorschläge auf der Social-Media-Plattform X.
Gekürzt wird auch in anderen Bereichen. Beim Naturschutz genauso wie bei Investitionen in das Berliner Klimaschutzprogramm, bei der Aufforstung der Berliner Wälder oder bei der energetischen Sanierung öffentlicher Gebäude. Auch die Zuschüsse für neue Elektrobusse bei der BVG werden gestrichen. „Damit verbaut man sich die Chance, die Antriebswende zukunftsorientiert voranzutreiben“, mahnt Claudia Löffler vom ADAC.
Anderswo wird nicht gespart: bei den Autofahrern nämlich
Eine geradezu skurrile Situation: Während Metropolen wie Paris, London oder auch New York stetig am klimagerechten Umbau arbeiten, versucht der größte Autoclub Europas dem Berliner Senat zu vermitteln, wie die Stadt der Zukunft funktioniert. Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) erklärt die Kürzungen beim Verkehr und Klimaschutz damit, dass gerade dieser Bereich in den vergangenen Jahren besonders „aufgebläht“ wurde. Eine bemerkenswerte Umschreibung dafür, dass Berlin zuvor über viele Jahrzehnte vor allem einen Verkehrsteilnehmer gefördert hat: den Autofahrer.
Interessant ist in diesem Zusammenhang, wo der Senat nicht sparen will. Zum Beispiel bei einer vergleichsweise teuren Straßenverbindung im Osten der Stadt, deren erste Planungen von 1969 stammen. Im Westen Berlins wiederum soll ein Tunnel an der Schlangenbader Straße für mindestens 40 Millionen Euro saniert werden. Verkehrspolitisch ist die Strecke nahezu irrelevant.
Bürgermeister Kai Wegner hatte sich schon im Wahlkampf als Anwalt der Autofahrer präsentiert. Nun wird dieses Versprechen gleich mehrfach eingelöst. Trotz aller Kürzungen sollen die Kosten für das Anwohnerparken nicht erhöht werden. Sie liegen derzeit bei 10,20 Euro im Jahr, macht 2,8 Cent pro Tag. Ein Betrag, der nicht einmal die Verwaltungskosten deckt und im Kanon deutscher Großstädte weit abgeschlagen am untersten Ende liegt.
Aus der zuständigen Senatsverwaltung gibt es zu den Sparmaßnahmen nur ein paar dürre Worte. „Natürlich bedingen Mittelkürzungen entsprechende Priorisierungen“, heißt es auf Anfrage. Ansonsten bitte man um Verständnis, dass es vorerst keine präzisen Aussagen zu den Kürzungen geben könne. Verkehrs- und Umweltsenatorin Ute Bonde hatte bereits in der vergangenen Woche im Verkehrsausschuss des Abgeordnetenhauses jegliche Stellungnahme abgelehnt. Ehemalige Mitarbeiter der Behörde vermuten deshalb, dass Bonde schlicht nicht in die Budgetplanungen einbezogen war.
Schon ihre Vorgängerin Manja Schreiner musste die Erfahrung machen, dass die Berliner Verkehrs- und Klimapolitik neuerdings nicht mehr im zuständigen Ressort konzipiert wird, sondern in der CDU-Fraktion. Von dort kamen seitdem so zukunftsweisende Überlegungen wie der Einsatz von Flugtaxis oder einer Magnetschwebebahn. Angesichts dessen ist es natürlich eine Petitesse, dass eine dringend notwendige Straßenbahnverbindung nun wegen der Kürzungen nicht gebaut wird.