Gaskraftwerke sollen sprießen, überall im Land. Katherina Reiche spricht von kaum etwas anderem. 20 Gigawatt Leistung, etwa 40 neue Anlagen seien nötig, damit die Energieversorgung Deutschlands sicherer und billiger werde, erklärt die neue Wirtschaftsministerin von der CDU. Ihr Name kommt in dem Buch „Die Milliarden-Lobby – wer uns von Öl und Gas abhängig macht“ nicht vor, Reiche wurde erst nach Veröffentlichung nominiert. Doch die Kernfrage der Autorinnen Susanne Götze und Annika Joeres richtet sich nun auch an sie: „Wie kann es sein, dass trotz einer so existenziellen Bedrohung durch fehlendes Gas nicht alles getan wird, um von der Ressource wegzukommen?“
Götze und Joeres stellen die Frage in Erinnerung an die Energiekrise nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine. Mehr als die Hälfte des Erdgases hatte Deutschland vorher aus Russland bezogen, Präsident Wladimir Putin und seine Staatskonzerne hatten die deutschen Gasspeicher geleert und drehten sukzessiv den Hahn zu. Es folgte die Sprengung der Nord-Stream-Leitungen. Die Energieversorgung stand auf der Kippe, der Bund musste Milliarden Steuergelder investieren, um sündteures Gas auf den Weltmärkten einzukaufen, damit die Wirtschaft weiterlief und die Heizungen warm wurden. Die Autorinnen schreiben: „Fachleute bezweifeln, dass die Krise von 2022 ein Ausreißer war. Sie hat vielmehr den macht- und geopolitischen Kern der fossilen Energiegeschäfte entblößt.“
Die beiden Autorinnen sind ein eingespieltes Buch-Team
Und heute? Drei Jahre später? Bezieht Deutschland seine Energie immer noch zu 80 Prozent aus Öl, Gas und Kohle, obwohl bis auf die Braunkohle fast alles davon importiert werden muss. Zwischen 60 und 80 Milliarden Euro jährlich hat das Land zuletzt dafür ausgegeben. Die Versorgung ist abhängig von Ländern wie Russland, den USA, Saudi-Arabien, Katar. Launen ihrer Regierungen können zu Preissprüngen führen, zu Engpässen, im schlimmsten Fall zu Boykotten. Oder wie Götze und Joeres schreiben: „Es macht uns erpressbar.“

Götze arbeitet als Redakteurin beim Spiegel, Joeres als Autorin für Correctiv und Die Zeit, sie beschäftigen sich seit Jahren mit den Themen Klima und Umwelt. „Die Milliarden-Lobby“ ist das vierte gemeinsame Buch und quasi eine Fortsetzung der 2020 erschienenen Lektüre „Die Klimaschmutzlobby“. Damals ließ sich so ein Buch über das Thema Klima vermarkten, heute sind Leser offenbar eher an Kosten sowie Unabhängigkeit von autoritären Herrschern interessiert. Und wieder handelt es von denjenigen, die viel daransetzen, das Öl- und Gasgeschäft am Laufen zu halten. Die Milliarden verdienen und sich damit Einfluss und Macht kaufen.
Für Deutschland bedeutet das: „Würden alle Gasheizungen durch Wärmepumpen ersetzt werden, würde das laut unserer Berechnung einen geschätzten Einnahmeverlust von 28 Milliarden Euro für die Gaslieferanten bedeuten – pro Jahr“, schreiben die Autorinnen. Vom Gasverkauf lebten Großhändler, Energiekonzerne und auch die Stadtwerke. „Und rund 28 Milliarden Euro jährlich ist eine Summe, für die es sich zu bremsen lohnt.“
Gegen das Heizungsgesetz machten zahllose Verbände mobil
Beispielhaft dafür steht das Gebäudeenergiegesetz (GEG), auch Heizungsgesetz genannt. Die Ampelkoalition wollte es 2023 neu aufsetzen, um schneller von Öl und Gas wegzukommen. Es folgte ein Proteststurm ohnegleichen, vor allem gegen den grünen Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck. Welche Interessen standen dahinter? Götze und Joeres fordern vom Bundeswirtschaftsministerium Informationen an zu Terminen mit Lobbyisten samt Protokollen. Und die zeigen: „Die Gas- und Immobilienwirtschaft, die kein Interesse an einer Änderung des Status quo hat, mobilisierte mit allen Mitteln gegen die GEG-Reform.“
Es fallen auch Namen. Etwa die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), ein Sprachrohr des Gesamtverbands der Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektro-Industrie. Oder der Spitzenverband der Immobilienbesitzer Haus & Grund, der Bundesverband der Deutschen Heizungsindustrie, der Deutsche Verein des Gas- und Wasserfachs (DVGW) sowie der Verband Zukunft Gas, in dem auch Dutzende Stadtwerke aktiv waren.
Daneben schrieb die Springer-Presse mit der Bild-Zeitung an der Spitze vehement gegen „Habecks Heizhammer“ an. Warum? Wirkte der Einfluss des Equity Fonds KKR, dem damals ein Drittel der Bild-Zeitung gehörte und der viel Geld in der Ölbranche verdient? Götze und Joeres sprachen mit zwei Personen, die damals für das Blatt arbeiteten. Die berichteten, zwischen der Verlagsspitze und KKR herrschte „ein stilles Einverständnis“, dass Springer-Chef Mathias Döpfner nur Leute einstelle, „die sich wenig aus Klimazielen und alternativen Energien machten“.

Die Autorinnen erklären auch den Kampf um das Verbrenner-Aus und die seltsame E-Fuel-Wendung der FDP. Warum der Brötchen-Preis inzwischen am Gaspreis hängt. Warum in der Wissenschaft einige gekaufte Studien kursieren. Und wie rechtsnationale und libertäre Kreise gegen Klimaschutzmaßnahmen kämpfen, vor allem in den USA, zunehmend auch in Deutschland. Susanne Götze und Annika Joeres wollen ein Gesamtbild der fossilen Maschinerie zeichnen. Was selbst auf 287 Seiten schwierig ist, zu mächtig und einflussreich ist die Branche.
Und ein Rätsel können auch sie nicht lösen. Wieso eine angeblich patriotische Partei wie die AfD absolut dafür ist, die Versorgung des Landes wieder an Öl, Gas sowie Uran für Atomkraftwerke aus Russland zu ketten. Statt die Energie im eigenen Land etwa mit Wind- und Solarkraftwerken zu produzieren.