Es ist ja nicht so, als habe die hessische Steuerverwaltung nicht nachgedacht, bevor sie jetzt ins Machen kam. Hessens Finanzminister Alexander Lorz besteht ausdrücklich auf dem Zusammenhang zwischen Denken und Machen, wenn er ein „revolutionäres“ Kasseler Pilotprojekt auf Youtube wie folgt anmoderiert: „Wir denken Verwaltung neu. Und stellen das bisherige Verfahren auf den Kopf: Das Amt macht die Steuererklärung für Sie!“ Da wurde, folgt man der Kopf-Metapher, also ein bislang seelenloses, auf Verspätungszuschläge und Zwangsgeld ausgerichtetes Zuschnappen von steuerpolitischen Fallen ersetzt durch – Köpfchen, Köpfchen! – eine „neue Tonlage“ (Lorz) der Verwaltung.
Es ist hier nicht der Ort, um das Für und Wider einer tendenziell ja feindlichen Übernahme der Steuererklärung durch die Finanzämter zu erörtern. Vereinfachungen stehen grundsätzlich unter Zentralisierungsverdacht mit allen Unwuchten, die dies für das Individuum bedeutet. Entscheidend ist freilich, dass den Bürgern bei diesem Pilotprojekt das letzte Wort bleibt (sie müssen sich mit der obrigkeitlichen Festsetzung der Einkommensteuer einverstanden erklären, bevor diese wirksam wird).
Die freundliche Revolution der Steuerverwaltung
Etliches musste da von den Kasseler Machern bedacht werden, bevor das Pilotprojekt schließlich aufgegleist und vorgezeigt werden konnte; unerwünschte Nebenfolgen galt es vorausschauend zu berücksichtigen, wie stets, wenn einem Tun der Vorzug gegenüber einem Lassen gegeben werden soll. Der vorbereitend betriebene Reflexionsaufwand steht dem hessischen Finanzminister ins Gesicht geschrieben, wenn er im Blick auf die Kasseler Versuchsanordnung nun eine „freundlichere Herangehensweise“ der Verwaltung vermelden kann.
Warum hier der breite Raum für Kassel? Warum die kognitiven Gehalte dieser noch unterhalb der Bierdeckel-Idee ansetzenden neuen Machart von Steuerklärungen derart hervorkehren? Weil in dem Brief, den CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann allen Mitglieder seiner Partei verschickte, zwar drinsteht, er, Linnemann, habe in diesem Sommer viel über die aktuelle Stimmungslage (die für Schwarz-Rot mies ausfällt) „nachgedacht“. Doch das Ergebnis dieses privaten Nachdenkens lautet: Schluss mit öffentlichem Nachdenken! Linnemann empfiehlt den Parteimitgliedern, eine nähere Analyse von Pleiten, Pech und Pannen der Regierungsarbeit durch „Machen“ zu ersetzen. Es gehe nun darum (sperare contra spem, hoffen gegen alle Hoffnung), „ins Machen zu kommen“, endlich bedenkenlos in die Hände zu spucken, die Abläufe zu beschleunigen, so kommt es rüber.
Ausgerechnet mit Blick auf das hochreflexive Kasseler Pilotprojekt, bei dem nichts einfach mal so aus dem Ärmel geschüttelt wurde, schreibt Linnemann: „Diese Einfach-mal-machen-Mentalität brauchen wir in ganz Deutschland.“ Wurde nicht eben erst dem Kanzler vorgehalten, er sei ein Macher einsamer Entscheidungen? Mehr von einfach-mal-machen klingt da wie eine politische Schnapsidee.