Bis es in Bolivien einen neuen Präsidenten gibt, wird wohl noch etwas Zeit vergehen. Die rechtsgerichteten Kandidaten Rodrigo Paz und Jorge »Tuto« Quiroga ziehen laut Prognosen in die Stichwahl. Für eine Überraschung sorgte Senator Paz von der Christdemokratischen Partei, der im ersten Wahlgang am Sonntag mit rund 31 Prozent vorn landete. Hinter ihm kam mit rund 27 Prozent Ex-Präsident Quiroga von der Freien Allianz. Weil kein Kandidat im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit erreichte, soll am 19. Oktober das direkte Duell entscheiden.
Der ebenfalls rechtsgerichtete Unternehmer Samuel Doria Medina, den Umfragen lange als Favoriten gesehen hatten, kam laut den Meinungsforschungsinstituten Ipsos und Captura mit rund 19 Prozent lediglich auf Platz drei. Es war eigentlich erwartet worden, dass der Millionär in die Stichwahl in dem südamerikanischen Land einzieht.
Die linksgerichtete MAS-Partei des amtierenden Präsidenten Luis Arce und seines Vorgängers Evo Morales wurde nach 20 Jahren an der Macht abgestraft. Arce selbst war nicht mehr angetreten, an seiner Stelle war für die Regierungspartei MAS (Movimiento al Socialismo, Bewegung hin zum Sozialismus) Eduardo del Castillo angetreten. Morales wurde per Gerichtsbeschluss von der Wahl ausgeschlossen und hat für die Abgabe ungültiger Stimmen geworben.
Zu der Wahl waren knapp acht Millionen Bürgerinnen und Bürger in dem Andenstaat aufgerufen, dabei galt eine Wahlpflicht. Die Wähler hatten zwischen acht Präsidentschaftskandidaten zu entscheiden und die 166 Mitglieder beider Parlamentskammern zu bestimmen.
Wahlen inmitten der Wirtschaftskrise
Am Wahltag kam es zu Zwischenfällen: Der linke Kandidat Andrónico Rodríguez wurde nach seiner Stimmabgabe in der Provinz Carrasco mit Steinen attackiert und beleidigt. Laut Medienberichten handelte es sich bei den Angreifern um Anhänger von Morales, der Rodríguez inzwischen als »Verräter« bezeichnet. Zudem wurde Stunden zuvor am selben Wahllokal die Detonation eines Sprengsatzes gemeldet. Über mögliche Verletzte lagen zunächst keine Informationen vor.
Die Wahlen fanden inmitten einer schweren Wirtschaftskrise in dem südamerikanischen Land statt. Die Inflationsrate liegt bei fast 25 Prozent, es herrscht ein Mangel an Treibstoff und ausländischen Devisen.
In der bolivianischen Bevölkerung ist der Wunsch nach einem grundlegenden politischen Wandel weitverbreitet. »Wir erleben eine enorme Krise, und wir brauchen eine Veränderung«, sagte etwa die 62-jährige Alicia Vacaflor, eine Importeurin von Industriemaschinerie, nach ihrer Stimmabgabe in einer Schule in La Paz.
Politikexperten vergleichen die Situation in Bolivien mit der im Nachbarland Argentinien, wo die Wähler 2023 inmitten einer schweren Wirtschaftskrise die langjährige Regierung der linksgerichteten Peronisten beendet hatten. Zum Präsidenten wurde dort damals der ultrarechte und radikal marktliberale Javier Milei gewählt.
Unter Morales – dem ersten indigenen Präsidenten in der Geschichte des Landes – hatte Bolivien zwar mehr als ein Jahrzehnt lang ein starkes Wirtschaftswachstum erlebt. Der Linkspolitiker verstaatlichte den Gassektor und investierte die Einnahmen in Sozialprogramme, wodurch die extreme Armut im Land halbiert werden konnte. Zu geringe Investitionen im Gassektor führten schließlich jedoch dazu, dass die Einnahmen einbrachen.