Wer zum Vollkornbrötchen „Schnitzel aus Blumen“ sagt, ist deshalb noch kein Dichter. Bob Seger dagegen ist einer, weil er Songs, die kuscheln oder rocken (notfalls auch gleichzeitig), aus menschlichen Grundsätzlichkeiten zu backen weiß, die sich entgegen ihrem eigenen Klischee absolut nicht von selbst verstehen: zartes Verlorensein zum Beispiel („We’ve Got Tonight“, 1978), oder fröhlicher Starrsinn („Old Time Rock and Roll“, 1979, da ist die Musik von George Jackson und Thomas E. Jones III, nur der Text stammt von Seger, aber was für ein Text: „Call me a relic, call me what you will / Say I’m old-fashioned, say I’m over the hill“, man stelle sich vor: einen Hit von vornherein als Oldie planen, eiskalt, Respekt!).
Tom Cruise ist zu Segers rockenden Launen im Kino rumgehampelt, die beknallte Fusselpuppe Alf tat desgleichen im Fernsehen, weil das Zeug unwiderstehlich ist: diese Stimme, die nach dem Bart klingt, den der Sound hat, und das Frühwerk trägt dazu auch noch lange Haare. Jedes Motorrad, mit dem sich Seger je hat ablichten lassen, wirkt, als hätte es kurz vor der Aufnahme ebenfalls Haare gehabt. Er hat sie ihm wohl abrasiert, um sich davon zu unterscheiden.
Es geht im Grunde dauernd drum, dass man diese Songs unterwegs hören kann, besonders im Auto (allerdings nicht im Tesla-Cybertruck; das ist ja auch kein Auto, sondern eine Psychose). Nirgends passen Segers Songs so gut hin wie auf Greatest-Hits-Zusammenstellungen, dabei weiß er sogar, was ein Album ist (die Behauptung nämlich, dass man das Leben wie einen angefangenen Abend auffassen sollte, mit dem sich noch was machen lässt, zum Beispiel aus Erinnerungen: „Against the Wind“, 1980). „Aktuell“ wie brandneuer Pop war das nie, aber wir Menschen sind halt nicht alle Charli xcx (schreibt sich jetzt so, schrieb sich schon anders, wird sich dereinst wieder anders schreiben, brandneuer Pop eben, und sehr gut). „Beständig“ muss nicht „bräsig“ bedeuten.
Als vor mehr als vierzig Jahren ein paar Aufgeregte nur noch zeitgemäß denken wollten, nahm der Kritiker Diedrich Diederichsen von seiner Kolumne „Krieg und Frieden“ in der Zeitschrift „Spex“ mit den wohlerwogenen Worten Abschied: „Die solide alte Dummheit Bob Segers und des ‚Stern‘ sind mir lieber als dieser neue, sich modern gerierende Schmus.“ Da ist und bleibt was dran. Im Feuilleton dieser Zeitung zum Beispiel ehren wir die Stabilität, die in den Knochen von Bob Seger wohnt, indem wir seit zwanzig Jahren einmal pro Dekade, jetzt zum dritten Mal, immer denselben den fälligen Geburtstagsgruß schreiben lassen, der jetzt beim Wiederlesen der vorherigen zwei Texte erkennt, dass sich viele seiner Urteile in der Zwischenzeit gewandelt haben (zu Segers Sechzigstem schmähte er etwa dessen Kollegen Bruce Cockburn, das wäre laut zu widerrufen), während Bob Seger sich, weil er weiß, was er an sich hat, lieber nicht allzu sehr wandelt, sondern heute erstmal achtzig Jahre alt wird.