Der rheinland-pfälzische Bildungsminister Sven Teuber (SPD) spricht sich für eine datengestützte Schulentwicklung und einen Fokus auf Kompetenzvermittlung aus. Das geht für ihn mit einer fortlaufenden Datenerhebung für Schüler-IDs und Bildungsbiografien und einer veränderten Prüfungskultur einher, erklärte Teuber im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur.
Teuber verwies auf ein Empfehlungspapier für eine veränderte Lern- und Prüfungskultur der Bertelsmann Stiftung aus diesem Juni, das unter anderem "geeignete Instrumente der Lernverlaufsdiagnostik, die ein lernbegleitendes Feedback zu bereits Erreichtem ebenso wie noch zu Lernendem [ermöglicht]" empfiehlt. Bildungsexpertinnen aus Rheinland-Pfalz haben an dem Papier mitgearbeitet. Zudem will sich Teuber im September die datengestützte Schulentwicklung in Kanada ansehen, da diese dort schon besonders weit sei.
Fortlaufende Diagnostik des Kompetenzerwerbs
Teuber zufolge gibt es für Grundschulklassen in Rheinland-Pfalz bereits Verfahren, mit denen erhoben werden könne, über welche Kompetenzen jedes Kind verfüge und wie die Entwicklung verlaufe. Lehrkräfte bekämen so Feedback, worauf sie bei welchem Kind noch einmal genauer achten sollten. Das könne eine KI auswerten.
Eine Schüler-ID solle künftig dazu beitragen, die individuellen Entwicklungen nachvollziehbar zu machen und Bildungsbiografien zu zeigen. Laut Teuber ist das auch für Eltern gut. Lehrkräfte könnten anhand der Schüler-ID Entwicklungen mit Schülern und Eltern nachvollziehen – sehen, wo jemand stagniere und wie das ausgeglichen werden kann. Gemäß dem Bertelsmann-Papier orientiere sich ein solches System an der Vermittlung von grundlegenden Kompetenzen und welchen, die über diese hinausgehen; dort spricht man von "Bildungsminimum" und "Bildungsmaximum".
"Deshalb sollte sich die Gestaltung und Organisation von Lehr- und Lernprozessen an zwei Polen ausrichten, die sich am ehesten mit 'Bildungsminimum' und 'Bildungsmaximum' bezeichnen lassen. Mit ihrer Ausrichtung auf ein Bildungsminimum verpflichtet sich die Schule, nicht zuletzt die Gesellschaft als Ganzes darauf, allen Kindern und Jugendlichen den Erwerb derjenigen Kompetenzen zu ermöglichen, welche ein selbstbestimmtes Leben in mündiger Teilhabe voraussetzt. Mit einer Orientierung auf das individuelle Bildungsmaximum verschreibt sich die Schule dem Ziel, es allen Heranwachsenden zu ermöglichen, ihr individuelles Bildungspotenzial so weit wie möglich zu entfalten."
Prüfungen sollte Lernen unterstützen
Mit einem genaueren Blick auf individuelle Lernwege müsste deshalb auch die bisherige Prüfungskultur verändert werden. Für Teuber bedeutet das unter anderem, dass Kinder individueller geprüft werden und auch nicht mit den immer gleichen Prüfungsformaten. Hier fordert er mehr Varianz – etwa ein Gespräch, eine Präsentation oder ein kreativer Beitrag anstelle einer Klausur. Für ihn bedeutet ein individueller Lernweg aber auch ein Ausbrechen aus der klassischen Klassenarbeitsdenke: "Es müssen nicht alle zur selben Zeit dasselbe machen, sondern wir haben unterschiedliche Entwicklungsfelder für jeden Schüler und jede Schülerin." Konkret heiße das etwa: "Der Leistungsnachweis erfolgt zu einem Punkt X für die Schülerin Y und zu einem Punkt Y für den Schüler Z."
Auch was im Anschluss an eine Prüfung passiere, müsse sich ändern. Ein Lernweg sei mit einer abgeschlossenen Prüfung nicht abgehakt, sondern ein Feedback müsse dazu führen, dass Kinder und Jugendliche erkannte Lücken schließen können. Teuber sagte gegenüber der dpa: "Das Wichtige daran ist das Feedback zu der Note. Warum ist das hier eine 1, eine 3 und warum ist das hier mangelhaft?" Dazu gehöre dann auch die Frage: "Was musst du und was solltest du weiter lernen und kompetenzorientiert erarbeiten?" Das ist laut Teuber das Entscheidende: "Da habe ich doch einen viel größeren Mehrwert, als wenn ich sechs oder sieben Klausuren geschrieben habe, die alle von unterschiedlichen Lehrerinnen und Lehrer sind, aber nie nachhaltig werden." Bei Bertelsmann heißt es dazu: "Momentan sind Prüfungen oft vom individuellen Lern- und Qualifikationsprozess von Kindern und Jugendlichen losgelöst, eher selten ermöglichen sie Lernbegleitung und differenziertes Feedback."
Noten sollen durch die Hinwendung zu individuelleren Lernwegen nicht abgeschafft werden, erklärte Teuber: "Wir wollen alle Noten und wir wollen im Endeffekt gute Noten erreichen." Er unterstrich allerdings auch: "Eine Note ist eine Aussage über die Entwicklung von Kindern. Wir müssen den Kindern aber auch die Entwicklung ermöglichen". Schüler bräuchten Zeit für Entwicklung und Bildung.
In Bezug auf die Lehrpläne unterstützt er eine entsprechende Überprüfung und Erneuerung. Es gehe nicht darum, "nur weniger zu machen", sondern die Lust am Lernen und die Neugierde auf Neues zu erhalten; die Gesellschaft sei im stetigen Wandel.
Wachsende Bedeutung der Datenerhebung und -nutzung
Sowohl die datengestützte Schulentwicklung als auch die Schüler-ID und ein Bildungsverlaufsregister finden sich als Zielvorhaben im Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung von CDU, SPD und CSU wieder. Unter anderem die Vodafone Stiftung und das Weizenbaum-Institut hatten noch während der Koalitionsverhandlungen stark für systematische Datenauswertungen im Bildungsbereich geworben, allerdings auch unter Einbezug von privaten Anbietern in einem "wichtigen Wachstumsmarkt". Auch der ehemalige Präsident des Didacta-Verbands, Dr. Theodor Niehaus, erklärte gegenüber heise online, dass im Bildungssystem zwar viele Daten anfallen, diese Daten aber bisher nicht ausreichend genutzt würden.
Veränderungsdruck durch KI
Aktuelle Prüfungsformate und die Prüfungskultur in Schulen stehen nicht nur in Bezug auf individuellere Lernwege in der Kritik, auch die breite Verfügbarkeit von KI-Anwendungen stellt das bisherige System auf die Probe. Wie Prüfungsformate sich in Anbetracht der Lage verändern sollten, erklärte der österreichische Lehrer Bernhard Gmeiner sagte gegenüber heise online im Interview: "Bisherige Prüfungsformate werden durch den Einsatz von KI nutzlos".
(kbe)