Baukunst in Bayern: Soziale Verantwortung statt modischer Formalismen

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Die Anfänge waren bescheiden. Als im Frühjahr 2000 in der Kleinstadt Neumarkt die Ausstellung „Aktuelle Architektur der Oberpfalz“ eröffnet wurde, sah man auf schlichten Bildtafeln die mit kurzen Texten erläuterten Bauten von zwei Dutzend jüngeren Architekten aus dem östlichen bayerischen Regierungsbezirk, der bis dahin ein weißer Fleck auf der Landkarte neuer Baukultur gewesen war. Auch in der Fachwelt rieb man sich die Augen.

Dass in der Bezirkshauptstadt Regensburg, gefördert durch die Ansiedlung von Universität und Industrie, neue Architektur entstanden war, das hatte man wahrgenommen. Doch aktuelles Bauen mit Vorbildfunktion auch in Amberg, Neumarkt, Weiden, Tirschenreuth und vielen kleineren Orten – das war besonders für Auswärtige überraschend. Die bewusst populär gestaltete Leistungsschau, begleitet von einem ebenso leicht zugänglich gehaltenen Buch, dokumentierte die Absicht der Architekten, die sich auf eigenes Risiko zusammengefunden hatten: Sie wollten, was ihnen gelungen ist, ein breites Publikum erreichen.

Damals hätte wohl niemand für möglich gehalten, dass man schon zehn Jahre später von einem „Architekturwunder Oberpfalz“ sprechen würde. Der Schlüssel dafür war, wie zuvor schon bei den Vorarlberger Baukünstlern und etwa zeitgleich in Südtirol: Vor allem die jüngere Architektenschaft konnte auch junge Bauherren als Auftraggeber für anspruchsvolle Projekte gewinnen. Baukultur von unten erwies sich als erfolgreich. So wurde die Oberpfalz binnen weniger Jahre in Deutschland unter den überwiegend ländlich geprägten Gebieten zur Region mit der höchsten baukulturellen Dichte.

Genossenschaftsbau in WeidenGenossenschaftsbau in WeidenArchitekturbüro Beer

Schon bei der Schau im Jahr 2000, der dann drei weitere Ausstellungen gefolgt sind, fielen die Arbeiten von Architekten ins Auge, deren Nachnamen mit dem gleichen Buchstaben beginnen: Karlheinz Beer, Johannes Berschneider sowie die Brüder Christian und Peter Brückner. Sie alle haben ihre Region seitdem durch zahlreiche markante Bauten bereichert. Für Karlheinz Beer sei das Sportzentrum der US-Armee in Grafenwöhr genannt, für den 2022 verstorbenen Johannes Berschneider das Künstlermuseum Lothar Fischer in Neumarkt, für die Brüder Brückner die Kirchenerweiterung in Wenzenbach bei Regensburg.

Auch für die Architektenschaft war die Oberpfalz nach 1945 ein hartes Pflaster. Dabei war die Region wegen ihres Klimas und der Bodenverhältnisse von jeher benachteiligt. Im Gegensatz zu der lange zu Bayern gehörenden linksrheinischen „Weinpfalz“ wurde die Oberpfalz als karge „Steinpfalz“ bespöttelt. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam hinzu, dass der Eiserne Vorhang die historischen, auch wirtschaftlich wichtigen Verbindungen nach Böhmen abschnitt. Die Region, durch die zuvor die wichtige Handelsstraße zwischen Prag und Nürnberg verlief, wurde zum Grenzland am Ende der westlichen Welt.

Attraktiver Lebensraum

Die Erlösung brachte die politische Wende von 1989. Nun lag die Oberpfalz wieder inmitten des neu vereinten Kontinents. Das wirkte sich sehr rasch auf die Bautätigkeit aus. Für die Infrastruktur war etwa wichtig, dass die Autobahn durch die Oberpfalz im Jahr 2000 endlich durchgehend befahren werden konnte. Parallel dazu wurden auch viele Neubauten angeregt, ob für Handwerk, Gewerbe und Industrie oder für Schulen und Hochschulen. Die Oberpfalz wurde wieder zu einem attraktiven Lebensraum.

Zum Erbe der jahrzehntelang rückständigen Region gehört auch, dass zahlreiche alte Gebäude in einer Art Dornröschenschlaf überwintert haben. Und genau hier kommt das Architekturbüro von Karlheinz Beer ins Spiel. Lange bevor das Bauen im Bestand zum großen Thema wurde, hat es der 1962 geborene Beer betrieben. Es begann mit dem ehemaligen Miethaus aus dem Jahr 1911 in seiner Heimatstadt Weiden, das er für sein eigenes Büro und zwei großzügige Wohnungen umgebaut hat. Eine prominente Aufgabe war das Weiterbauen am Schloss Hirschberg im Altmühltal – dabei stand er auf den Schultern von Karljosef Schattner, der die Schlossanlage saniert und erweitert hatte. Inzwischen, so berichtete Beer kürzlich bei einem Münchner Podiumsgespräch, mache das Bauen im Bestand mehr als achtzig Prozent seiner Aufträge aus. Er hat in seiner Region aber auch Neubauten ausgeführt, darunter ein Bürogebäude mit Betriebshof in Weiden und die Polizeistation in Tirschenreuth.

Die Projektliste von Karlheinz Beer, der auch als Stadtplaner arbeitet, umfasst von Wohnhäusern über soziale Einrichtungen bis zu einem innerstädtischen Geschäftshaus fast alle Aufgaben. Vorbilder habe er bei modernen Architekten gefunden, „die das Wesentliche gesucht haben, die nicht dem Lauten und Spektakulären verpflichtet waren, sondern dem Stillen, Klaren, Dauerhaften“, sagt er im Gespräch. Diese Tradition wolle er durch Gebäude fortsetzen, die sich nicht aufdrängen, sondern den Alltag der Bewohner und Nutzer nachweislich steigern. In seinem Verständnis ist Baukultur immer auch Handwerkskultur. Im Zusammenwirken von entwerfendem Architekten und qualifizierten Handwerkern könne bis in die Details hinein Schönheit entstehen. Ein Beispiel steht in der Altstadt von Weiden: ein schmales historisches Haus, das zu einem faszinierenden Raumgefüge wurde.

Mehrwert für den Menschen

Beers Maxime der Zurückhaltung, die eigene Gestaltfindung nicht ausschließt, modische Formalismen aber schon, ist auch deshalb wohltuend, weil er die soziale Verantwortung seiner Profession betont: Architektur müsse den Menschen einen Mehrwert geben. Große Sprüche sind von ihm, der in München und mit einem Stipendium in London studiert hat, nicht zu hören. Seine Einstellung rührt auch daher, dass er sozusagen auf dem Boden geblieben, nämlich nach dem Studium in seine Heimatregion zurückgekehrt ist. Was nicht bedeutet, dass er nur still in seinem Winkel tätig wäre; Beer hat sich in seinen Ehrenämtern – er war Vorsitzender des BDA Bayern und Vizepräsident der Bayerischen Architektenkammer – als wortmächtiger Standesvertreter erwiesen.

In jüngster Zeit hat Karlheinz Beer zwei Projekte abgeschlossen, die ihm wie den Bauherren besonders zur Ehre gereichen. In seiner Heimatstadt Weiden hat er Genossenschaftswohnungen saniert, modernisiert und energetisch ertüchtigt. Die städtebaulich bedeutsame Wohnanlage namens Schweigerblock in Zentrumsnähe, bis 1928 vom damaligen Stadtbaumeister errichtet, war auch deshalb mit Feingefühl zu erneuern, weil sie – zunächst zum Abriss vorgesehen – unter Denkmalschutz steht. Eine Besichtigung führt die hohen Qualitäten des aufgefrischten Altbaus vor Augen: großzügige Grundrisse, gut belichtete Küchen und Wohnzimmer, stattliche Raumhöhen. Vermietet werden die Wohnungen zu Preisen, von denen man insbesondere in München nur träumen kann.

Beim zweiten Objekt handelt es sich um ein Gebäude aus dem Jahr 1911. Es liegt in der nördlichen Oberpfalz in einem Ortsteil von Bad Neualbenreuth nahe der tschechischen Grenze. Ursprünglich ein Schulhaus, wurde es in den Achtzigerjahren durch ein Badehaus ergänzt, doch musste dieses erste Sibyllenbad aus Kapazitätsgründen aufgegeben werden – 1996 wurde im Hauptort eine größere Anlage eröffnet. Nach langem Leerstand erhielt Karlheinz Beer den Auftrag, das historische Ensemble für neue Zwecke umzubauen. Aus dem Kurort wurde ein Kunstort, ausgezeichnet mit dem Staatspreis für ländliche Entwicklung in Bayern. Das frühere Schulhaus ist nun ein Gästehaus für Künstler, und im ehemaligen Badehaus mit dem gefliesten Becken finden Kulturaktivitäten statt.

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