Balco-Chef Victor Conte ist tot: Er war der Drogenbaron des US-Sports

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Victor Conte 2003, im Bild Marion Jones, eine seiner Klientinnen

Victor Conte 2003, im Bild Marion Jones, eine seiner Klientinnen

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Paul Sakuma / AP

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Man hätte schon früh ahnen können, wohin das alles führt mit Victor Conte. In seinen jungen Jahren war er ein versierter Bassist. In den Siebzigerjahren spielte er in mehreren Bands, eine von ihnen hieß »Pure Food and Drug Art«.

Später wurde er berüchtigt, weil er in seinem Unternehmen Balco eben nicht nur »Food«, genauer Nahrungsergänzungsmittel, sondern auch »Drugs« an den Mann und die Frau brachte. Victor Conte, am Montag im Alter von 75 Jahren gestorben, steht mit seinem Namen für den größten Dopingskandal der jüngeren Sportgeschichte.

Auf der Bühne war er »The Walking Fish«

Ein schillernder Typ war er, dieser Victor Conte. In Kalifornien war er nicht nur in der Musikszene bestens vernetzt, er hatte mit Größen wie Herbie Hancock zusammengespielt, man nannte ihn »the Walking Fish«, weil er sich bei Auftritten so schlängelnd auf der Bühne bewegte. Schlangenlinien machte später auch seine Karriere, mehrfach glitschte Conte den Dopingfahndern wie ein Fisch durch die Hände.

Victor Conte 2005 vor den Medien

Victor Conte 2005 vor den Medien

Foto: John_G._Mabanglo / dpa

Irgendwann aber erwischten sie ihn. Und die Öffentlichkeit erfuhr in den Jahren 2003 und 2004 Bemerkenswertes über berühmte Sportlerinnen und Sportler. Über den legendären Baseballer Barry Bonds, über die Leichtathletik-Königin Marion Jones, über den Supersprinter Tim Montgomery und so viele mehr. Man erfuhr, dass ihre Erfolge auch den Mittelchen aus Victor Contes Dopinglabor entsprangen. Eine Bombe platzte in der Sportwelt.

Bay Area Laboratory Co-Operative – ein ebenso beeindruckender wie sperriger Firmenname, den sich Conte Mitte der Neunzigerjahre bei der Gründung des Unternehmens im kalifornischen Burlingame ausgedacht hatte. So etwas verlangte nach einer schmissigen Abkürzung: BALCO, das konnte sich jeder merken.

Dopingmittel wie Bandnamen

Und ebenso wie der Firmenname hatten auch die Produkte der Hausmarke Conte ihre cool klingenden Bezeichnungen. Das Steroid Tetrahydrogestrinon THG, der Kassenschlager aus dem Haus Balco, für Dopingermittler zur damaligen Zeit kaum nachweisbar, erhielt den Codenamen »The Clear«. Eine Testosteron-haltige Salbe, die gleichzeitig die Dopingmittel verschleiernde Substanz Epitestosteron enthielt, wurde »The Cream« genannt. Dopingmittel, die wie Bandnamen klangen.

Marion Jones bei den Spielen von Sydney

Marion Jones bei den Spielen von Sydney

Foto: Lennart Mansson / Bildbyran / IMAGO

Bei seiner Kundschaft war Conte nicht wählerisch, er verkaufte das Zeug an Baseballer ebenso wie an Basketballstars, an Radsportler, an Trainer, Betreuer, vor allem aber an Leichtathleten. Marion Jones, die fünffache Medaillengewinnerin der Olympischen Spiele von Sydney, war die prominenteste Klientin, um die Jahrtausendwende glänzte kein Stern in der Leichtathletik so hell wie ihrer. Gold über 100 Meter, über 200 Meter und in der 4×400-Meter-Staffel, dazu Bronze im Weitsprung und über 4×100 Meter, mehr als das, was sie in Sydney errang, kann man bei Olympischen Sielen kaum erreichen.

Bentley und Mercedes

Bei Conte und Balco war Jones Stammkundin, auch ihr damaliger Lebenspartner Tim Montgomery gehörte dazu, auch er ein Weltklasseathlet: 2002 stellte er in Paris den damaligen Weltrekord über 100 Meter auf. Er war eine Hundertstelsekunde schneller als der bisherige Rekordhalter. Der hieß Ben Johnson und war in Sachen Dopingbetrug noch ein Stück berühmter als Montgomery.

Baseballer Barry Bonds

Baseballer Barry Bonds

Foto: A2800 epa John G. Mabanglo/ dpa/dpaweb

Verdachtsmomente gegen Jones und Montgomery gab es damals schon, Argwohn gegen erfolgreiche Sprinter gehörte noch mehr als heute zur Normalität. Bewiesen war zunächst aber nichts.

Conte machten die lukrativen Geschäfte von Balco zu einem gemachten Mann. Er kreuzte mit seinen Luxuskarossen, mal ein Bentley, mal ein Jaguar, mal ein Mercedes, durch Kalifornien, stolz darauf, dass er nie bei einer Geschwindigkeitsübertretung erwischt worden sei. Er sei eben keiner, der Gesetze verletze, hat er mal ausgesagt.

Behörden anonym informiert

Mit dem guten Leben war es für ihn dann ab 2003 jedoch vorbei. Der Leichtathletiktrainer Trevor Graham informierte die US-Antidopingagentur, zunächst mit einem anonymen Schreiben, dem er ein Exemplar einer Balco-Spritze beifügte. Gleichzeitig veröffentlichten die beiden investigativen Journalisten Mark Fainaru-Wada und Lance Williams ihre Recherchen zu Balco und deckten die illegalen Dopinggeschäfte Contes auf. Dass einer der Reporter zufällig den Nachnamen der Welt-Antidoping-Agentur Wada trägt, gehört zu den kleinen Fußnoten dieser anekdotisch ohnehin nicht armen Geschichte.

Victor Conte 2007

Victor Conte 2007

Foto: Seth Wenig / AP

Razzien in Burlingame förderten Hunderte von Pillen, Spritzen und illegaler Substanzen aus dem Balco-Labor hervor, als das ganze Ausmaß der Conte-Geschäfte bekannt wurde, sprachen Dopingexperten von Netzwerken, die sie mit dem flächendeckenden DDR-Doping verglichen. Sie nannten die Balco-Story noch größer als das, was parallel in Europa bei der Tour de France ans Tageslicht kam.

Meineid von Jones

Während Jones und Montgomery den Gebrauch der Dopingmittel jahrelang abstritten und Jones dafür vor Gericht sogar einen Meineid riskierte, ergriff der clevere Conte die Flucht nach vorne. Im Bewusstsein, dass er die Ermittlungen der Behörden nicht mehr abwenden konnte, stellte er sich den Fahndern als williger Informant zur Verfügung, nannte Namen seiner Kundschaft und kam so mit einer vergleichsweise billigen Strafe von vier Monaten Haft davon. Einen aufwendigen Prozess, der von den Staatsanwaltschaften schon vorbereitet worden war, umging er damit.

Marion Jones hingegen bekam nicht nur all ihre Medaillen aberkannt, sie musste wegen Meineids ein halbes Jahr ins Gefängnis. Ihre Weltkarriere hatte sie zerstört.

Conte, das Stehaufmännchen, versuchte sich später an einem Comeback im Sportgeschäft – er bot seine Dienste an als Ernährungsberater. Mit allerdings eher mäßigem Erfolg. Drugs funktionierten einfach besser als Food.

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