Sucht man nach dem Stürmer, der Österreich in den letzten 40 Jahren die meisten denkwürdigen Fußballmomente beschert hat, gibt es nur einen Namen: Toni Polster. Als Kapitän und Torjäger des Nationalteams war er ein wesentlicher Faktor für die bis dato letzten WM-Teilnahmen 1990 und 1998. Vor 27 Jahren schoss der ÖFB-Rekordschütze in Frankreich ein Tor gegen Kamerun. Zum Start der WM-Quali 2026 gab Polster dem kicker ein Interview.
Als Toni Polster, Andi Herzog, Ivo Vastic und Co. am 23. Juni 1998 gegen 18 Uhr in den Katakomben des Stade de France vor Paris verschwanden, ahnte niemand, dass die 1:2-Niederlage gegen Italien das letzte WM-Spiel des österreichischen Nationalteams für mindestens 28 Jahre gewesen sein sollte. Am Samstag starten die - in Team-Generationen gemessen - Urenkel der '98er von Frankreich in die Quali für die WM-Endrunde 2026 in Nordamerika. Und wieder hoffen die rot-weiß-roten Fans auf ein Ende des langen Wartens.
Österreich bei der WM 1998
Polster, Vastic und Herzog erzielten gegen Kamerun (1:1), Chile (1:1) und Italien (1:2) die Treffer der vor dem Turnier hoch gehandelten Truppe des damaligen Teamchefs Herbert Prohaska. Das Vorrunden-Aus war eine Enttäuschung, zumal Prohaska neben den drei Torschützen mit Didi Kühbauer, Hannes Reinmayr, Mario Haas, Roman Mählich, Harald Cerny, Toni Pfeffer, Peter Schöttel und zahlreichen weiteren gestandenen Spielern eine starke Auswahl zur Verfügung hatte. In der Quali hatte man unter anderem Schweden besiegt.
Einer, der schon acht Jahre davor bei der WM 1990 in Italien dabei gewesen war, ist ÖFB-Rekordschütze Toni Polster (44 Tore). Sowohl in der Qualifikation für die WM 1990 - vor allem mit seinen drei Toren im Entscheidungsspiel gegen die DDR - als auch für die WM 1998 war der bei der Austria, Torino, Sevilla und beim 1. FC Köln legendär gewordene Vollblutstürmer ein Vater des Erfolges. Dem kicker stand der in Deutschland als "Toni Doppelpack" berühmte Polster vor dem Auftakt der Quali 2026 für ein Interview zur Verfügung.
Toni, wie geht es Ihnen beim Meidlinger Kultklub Wiener Viktoria, den Sie seit vielen Jahren als Trainer in der Regionalliga Ost halten? Machen Sie weiter?
Ich mache weiter, mir macht es auch nach 14 Jahren hier noch sehr viel Spaß. Nur, was mir zum Himmel stinkt und ich gleich einmal loswerden will, ist dieses Unding im Verband, dass man einen Bewerb beginnt, ohne zu wissen, wie viele Absteiger und Aufsteiger es gibt (Die Anzahl der jeweiligen Regionalliga-Absteiger hängt davon ab, ob und wie viele Absteiger oder lizenzlose Klubs aus der 2. Liga in Ost, Mitte, oder West kommen, Anm.). Man wird verrückt, studiert nach jedem Spieltag die Tabelle und weiß nicht, ob es fünf, vier oder drei Absteiger gibt. Das ist eine Katastrophe und zieht sich ja weiter in die unteren Ligen. Man kann nicht planen, kein Spieler weiß Bescheid, da reden wir über existenzielle Sorgen für die Vereine. Und es ist völlig unnötig, weil wir ja mit mehr Teams in der Liga bis in den Dezember hineinspielen könnten. Es ist bei uns im Dezember immer mild und jeder hat einen Kunstrasenplatz. Es ist unsinnig: Im Sommer haben wir drei Wochen Pause und im Winter drei Monate.

In der Nachspielzeit des WM-Auftakts 1998 gegen Kamerun traf Toni Polster zum 1:1. GEPA pictures
Ganz anderes Thema: Sie waren bei Österreichs letztem WM-Spiel 1998 gegen Italien in Paris Kapitän. Hätte Ihnen damals jemand gesagt, dass es mindestens 28 Jahre dauern wird, bis sich wieder eine österreichische Nationalmannschaft für eine WM qualifiziert, hätten Sie es nicht für möglich gehalten, oder?
Ganz sicher nicht - und man muss ja auch dazu sagen, dass die WM seither mit den Teilnehmern immer aufgestockt und noch mehr aufgestockt wird. Also wenn wir es diesmal nicht schaffen, kenne ich mich wirklich nicht mehr aus. Mittlerweile qualifizieren sich ja schon mehr Mannschaften als ausscheiden, kommt einem vor. Unsere Mannschaft hat auf jeden Fall die Qualität, um sich diesmal zu qualifizieren. Das hoffen wir ja alle, dass wir endlich wieder dabei sind. Eine WM mit Österreich ist ja für uns alle viel lustiger.
Kann die lange Durstrecke damit zusammenhängen, dass Sie eigentlich der letzte echte, international gefürchtete Strafraumstürmer und klassische Torjäger waren, den Österreich im Nationalteam hatte?
In Wahrheit ist es natürlich nie gelungen, mich zu ersetzen (lacht, Anm.). Nein, ganz im Ernst muss man das schon einmal hinterfragen, warum das so ist, dass schon im Nachwuchs keine torgefährlichen Stürmer mehr produziert werden. Das zieht sich von der Bundesliga bis in die unteren Klassen durch: Gute Stürmer, die regelmäßig treffen, sind wirklich sehr rar gesät.
Wenn Sie sich an Ihre beiden WM-Teilnahmen erinnern, welche Gedanken und Gefühle steigen da in Ihnen hoch?
Die erste WM 1990 in Italien war natürlich furchtbar aufregend. Das Gefährliche war, dass uns nach der erfolgreichen Qualifikation und aufgrund der starken Vorbereitungsspiele (1:1 gegen Argentinien, 3:2 gegen die Niederlande, Anm.) ein Dreivierteljahr alle auf die Schultern geklopft haben, wie super wir sind. Das ganze Land, die Familie, bis wir es selber geglaubt haben, wie super wir sind. Und dann schärft man in den entscheidenden Momenten seine Sinne nicht genug. Außerdem waren wir zu jung und unerfahren, haben wirklich nur eine Nebenrolle gespielt (Österreich schied nach 0:1 gegen Italien, 0:1 gegen Tschechoslowakei und 2:1 über die USA in der Gruppenphase aus, Anm.).
Österreich bei der WM 1990
1998 waren wir viel besser und hätten ein Spiel in der Vorrunde gewinnen müssen. Kamerun hätten wir gleich zum Start schlagen müssen. Ich traue mich zu behaupten, dass wir gegen Kamerun im letzten Gruppenspiel gewonnen hätten. Da haben wir den Fehler begangen, dass wir zu viel Respekt vor ihnen hatten, weil sie in Holland vor der WM 0:0 gespielt haben. Chile im zweiten Spiel war anders, weil sie eine gute Mannschaft und mit Zamorano und Salas zwei super Stürmer hatten. Und dann gegen Italien im letzten Spiel gewinnen zu müssen, ist extrem schwer. Im Rückblick kann ich sagen: Österreich bei zwei Weltmeisterschaften als Kapitän auf das Feld führen zu dürfen, war eine sehr große Ehre für mich. Weil ich ein Patriot bis in die Knochen bin.
Marko Arnautovic hat sich, so wie Sie, in mehreren großen Fußballnationen einen Namen gemacht. Was trauen Sie ihm im Herbst seiner internationalen Karriere in der Qualifikation und dann hoffentlich bei der WM zu?
Dass er Fußball spielen kann, wissen wir alle. Und wenn er fit bleibt, was ich ihm natürlich wünsche, kann er sicher das eine oder andere Tor schießen - auch im Turnier. Vielleicht ja auch so wie bei Inter als Joker in der Hinterhand.
Sehen Sie in der Spielweise von Arnautovic und in seiner Technik auch Ähnlichkeiten zur Art und Weise, wie Sie Fußball gespielt haben?
Ich glaube, Arnautovic und ich hätten uns sehr gut ergänzt. Er ist in seiner Karriere sehr lange über den Flügel gekommen - mit seinen Tempo-Dribblings und seiner Beidbeinigkeit. Ich war ja auch mit beiden Beinen stark, war ein groß gewachsener Spieler und hatte ein gutes Kopfballspiel - genauso wie er. Ich denke, dass wir im Angriff perfekt harmoniert hätten.
Unter dem Strich hat mir der Richter recht gegeben.
Toni Polster über den verlorenen Rechtsstreit mit dem ÖFB
Haben Sie die Sache mit Ihren drei nicht anerkannten Länderspieltoren nach dem verlorenen Rechtsstreit mit dem ÖFB für Sie persönlich abgeschlossen?
Ich habe es für mich abgeschlossen. Trotzdem bin ich froh, dass ich es gemacht habe, weil es mir um mein Lebenswerk geht - da gehören diese drei Tore dazu. Und unter dem Strich hat mir der Richter recht gegeben. Er hat gesagt, dass er versteht, dass ich die drei Tore aus den drei Spielen haben will. Aber er kann den ÖFB nicht zwingen, seine Statistik zu ändern. Der ÖFB hat immer gesagt, dass er die Statistik nicht ändern kann, weil das UEFA und FIFA nicht zulassen. Der Richter hat festgestellt, dass das ein Blödsinn ist, weil UEFA und FIFA mit den Statistiken des ÖFB nichts zu tun haben möchten. Also liegt es am ÖFB und da an einer Person, die das nicht will. Aber wenn man zweimal verliert, muss man das akzeptieren. Ich wollte nie Geschenke. Ich habe die Tore ja gemacht.
Harald Hofstetter