Die Zukunft der Apotheken stand im Mittelpunkt des Deutschen Apothekertages in Düsseldorf. Während der Präsident der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA), Thomas Preis, massive Probleme durch Lieferengpässe, Störungen beim E-Rezept und unfaire Konkurrenz aus dem Ausland anprangerte, stellte Bundesgesundheitsministerin Nina Warken Eckpunkte einer umfassenden Apothekenreform vor. Ziel sei es, Apotheken mehr Verantwortung zu übertragen, ihnen neue Handlungsspielräume zu eröffnen und ihre Rolle in der Gesundheitsversorgung zu stärken.
E-Rezept als Stolperstein
Die Hoffnung, das elektronische Rezept würde die Versorgung digital vereinfachen, habe sich bislang nicht erfüllt. "Lieferengpässe und laufende Ausfälle des E‑Rezepts gefährden nicht nur tagtäglich tausendfach die Versorgung von Patienten, sondern belasten die Apotheken zusätzlich durch erhebliche Mehrkosten und Umsatzausfälle", warnte Preis. Jede Apotheke wende wöchentlich rund 20 Stunden auf, um Lieferengpässe auszugleichen. Gleichzeitig drohen Apotheken bei kleinsten Formfehlern Retaxationen durch die Krankenkassen. Preis forderte daher ein Ende dieser Praxis.
Ausländische Versandhändler in der Kritik
Ein weiteres Problem liege in der Konkurrenz durch ausländische Versandhändler. Diese umgingen vielfach gesetzliche Vorgaben wie Bonusverbote oder Vorschriften beim Transport, was nicht nur den Wettbewerb verzerre, sondern nach Ansicht der Apothekerschaft auch die Sicherheit der Patienten gefährde. "Immer mehr Menschen in unserem Land sagen, in keinem anderen Bereich in unserem Land lässt sich unser Staat so auf der Nase herumtanzen wie beim Arzneiversand aus dem Ausland", bemängelte Preis. Warken teilte die Kritik und betonte, die bestehenden Regelungen müssten konsequent durchgesetzt werden. Wo Verstöße nicht ausreichend sanktioniert würden, sei ein Nachschärfen notwendig.
Warkens Reformpläne: Mehr Verantwortung für Apotheken
In ihrer Rede stellte Bundesgesundheitsministerin Warken Eckpunkte für eine Apothekenreform vor. Ziel sei es, die Position der Apotheken vor Ort zu stärken und sie als niedrigschwellige Anlaufstelle auszubauen. Geplant sind unter anderem neue heilkundliche Aufgaben, wonach Apotheken künftig einfache diagnostische Tests zur Früherkennung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen anbieten und mehr Impfungen – mit Totimpfstoffen – durchführen dürfen. Außerdem ist geplant, dass Apotheker Schnelltests übernehmen und Patienten auch ohne ärztliche Verordnung versorgen können – etwa Chroniker mit bekannter Langzeitmedikation oder bei unkomplizierten Bagatellerkrankungen.
Zudem sollen pharmazeutische Dienstleistungen (pDL) stärker vergütet und direkt in der elektronischen Patientenakte (ePA) dokumentiert werden. Ärzte sollen pDL künftig auch verordnen können. Ebenso sollen Apotheken Öffnungszeiten bedarfsgerecht anpassen und Rezepturen in Filialverbünden zentralisieren dürfen und Unterstützung beim Aufbau von Zweigapotheken im ländlichen Raum erhalten. Auch die Honorierung soll verbessert werden, etwa mit der Verdopplung der Notdienstpauschale. Auch bei der Retaxation aus formalen Gründen versprach Warken Abhilfe.
Elektronische Patientenakte (ePA) als Schlüssel
Eine zentrale Rolle in den Reformplänen soll die elektronische Patientenakte spielen, in der alle Leistungen künftig vermerkt und für Ärztinnen, Apotheker und Patienten transparent dokumentiert werden sollen – unter anderem, um Doppelverordnungen zu verhindern, Medikationspläne zu verbessern und einen sicheren Informationsaustausch zu ermöglichen. "Natürlich ist es denkbar, einem Patienten eine Notfallversorgung auch ohne Rezept zu geben. Aber es muss in der ePA nachvollziehbar sein, damit er nicht von Apotheke zu Apotheke geht und sich Medikamente mehrfach besorgt", erklärte Preis.
Im anschließenden Gespräch mit dem Chefredakteur der pharmazeutischen Zeitung, Alexander Müller, wurden die Konfliktlinien deutlich. Vor allem die im Koalitionsvertrag von Union und SPD angekündigte höhere Apotheken-Vergütung kommt nicht mehr in diesem Jahr. Warken verwies auf die angespannte Finanzlage der gesetzlichen Krankenversicherung und kündigte eine Umsetzung erst nach deren Stabilisierung an – für Preis ein unhaltbarer Aufschub: "Diese Soforthilfe war längst überfällig und sollte nicht länger hinausgezögert werden."
Kein Homeoffice für Apotheker
Auch bei der Verdopplung der Notdienstpauschale gab es Streit. Warken will diese Maßnahme aus dem Fonds für pharmazeutische Dienstleistungen finanzieren, was Preis strikt ablehnt: Statt die pDL zu fördern, werde ihr Ausbau dadurch gefährdet. Stark diskutiert wurde auch die geplante Ausweitung der Kompetenzen für pharmazeutisch-technische Assistentinnen (PTA). Sie sollen nach entsprechender Weiterbildung kleinere Vertretungen übernehmen dürfen, wenn ein Apotheker kurzfristig abwesend ist. Preis warnte vor einem "Tabubruch". Medikamente seien hochsensible Produkte, bei denen die Verantwortung nicht an Assistenzberufe delegiert werden dürfe. "Keiner würde in ein Verkehrsflugzeug steigen, wenn es heißt: heute fliegt der Flugingenieur, der Pilot ist im Homeoffice", so Preis.
Trotz aller Differenzen herrscht Konsens, dass Apotheken unverzichtbar für die Gesundheitsversorgung bleiben. Sie gelten als erste Anlaufstelle, gerade in ländlichen Regionen, und sollen künftig Arztpraxen stärker entlasten. "Wir wollen die Apotheken vor Ort nicht schwächen, sondern stärken – mit mehr Eigenverantwortung, weniger Bürokratie und moderner Versorgung", erklärte Warken. Bei ihnen könnten die Bürger ohne Termin Gesundheitsinformationen erhalten, "persönlich vor Ort und fachkundig". Preis gab dabei zu Bedenken: "Neue Leistungen sind sinnvoll, aber ohne faire Honorierung und wirtschaftliche Sicherheit wird es keine tragfähige Zukunft geben."
(mack)