Aus der Serie: Literaturkolumne
Über die Liebes- und Arbeitsehe der Übersetzerin Annemarie Böll
Aus der ZEIT Nr. 45/2025 Aktualisiert am 26. Oktober 2025, 10:54 Uhr
Sie, Annemarie, sitzt da mitten im Kreis der Blockierer, ihre dicke Brille, ihr Lächeln: Sie ist das Zentrum dieser ikonischen Fotografie der deutschen Friedensbewegung. Barbara Klemm hat das für die FAZ damals fotografiert, 1983 in Mutlangen, Sitzblockade gegen die Stationierung der amerikanischen Pershing-Raketen. Petra Kelly ist da, Oskar Lafontaine, Wolf Biermann, eine heiter-optimistisch-selbstgewisse Beharrlichkeit auf den Gesichtern. Lafontaine spöttisch, skeptisch, selbstverliebt. Annemarie – der helle, herzliche Mittelpunkt. "Ja, welche Annemarie jetzt?", fragen Sie. "Kennen wir nicht." Richten wir den Blick also nach links. Da sitzt, ganz im Licht, Baskenmütze, unangezündete Zigarette in der Hand, Sakko, Cordhose, der Einzige hier unter all den am Boden Kauernden, der ein Stühlchen dabeihat. Ein Campingstühlchen, einen kleinen, portablen Dichterthron am Rand, von dem er alles etwas mürrisch, aber wach im Blick hat. Es ist der Nobelpreisträger Heinrich Böll, Schriftsteller, politischer Kämpfer, ein wirklich engagierter Intellektueller, der gute Mensch aus Köln. Seine Bücher haben Millionenauflagen. Und die Bücher von ihr, Annemarie, übrigens auch. Nur erschienen sie nicht unter ihrem Namen. Sondern unter den Namen derer, denen sie ihre deutsche Stimme geliehen hat: J. D. Salinger, Judith Kerr, Flann O’Brien und vielen, vielen anderen.

vor 4 Stunden
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