Nach dem Angriff auf Sumy wird der Gouverneur entlassen. Ein russischer Oppositionspolitiker gerät wegen einer rassistischen Aussage in die Kritik. Der Wochenrückblick
17. April 2025, 18:23 Uhr
In Sumy hat Russland die tödlichste Attacke in diesem Jahr verübt. Das russische Militär feuerte am Palmsonntag zwei ballistische Iskander-Raketen des Typs M/KN-23 im Abstand von etwa zweieinhalb Minuten auf das Zentrum der nordostukrainischen Stadt Sumy. Eine Rakete traf die Universität, eine explodierte auf der Straße. 35 Zivilisten wurden getötet und 119 verletzt. 40 Menschen werden noch in Krankenhäusern behandelt, davon sind 11 im ernsten Zustand. Unter den Opfern sind Kinder, Rentner und Bürger, viele waren an dem Sonntagmorgen gerade auf dem Weg in die Kirche oder unterwegs für einen Spaziergang.
Das sei Zynismus gegenüber Friedensbemühungen, sagte Polens Außenminister Radosław Sikorski. Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas rief zum maximalen Druck auf
Russland auf, während CDU-Chef Friedrich Merz den Angriff auf Sumy als
"schwerstes Kriegsverbrechen" bezeichnete. In den USA sprach
Präsident Donald Trump lediglich von einer "schrecklichen Sache" und einem
angeblich "irrtümlichen Angriff". Sein Sondergesandter für die Ukraine,
Keith Kellogg, verurteilte hingegen den Angriff als klaren Bruch mit allen Regeln militärischer
Zielplanung.
Neben der Trauer um die Opfer des russischen Raketenterrors rückte innerhalb der Ukraine eine Militärversammlung im Stadtzentrum in die Kritik. Mitten in der Stadt war eine Ordensverleihung an Soldaten abgehalten worden. Die Veranstaltung sei ein vermeidbares Sicherheitsrisiko gewesen, kritisierten Regionalpolitiker und auch die ukrainische Parlamentsabgeordnete Marjana Besuhla. Zeitpunkt und Ort der Verleihung sei über soziale Netzwerke offen einsehbar gewesen und so zum Ziel für russische Angriffe möglich geworden.
Besuhla forderte die Staats- und Armeeführung auf, dieses Vorgehen zu überdenken. Im Zentrum der Debatte stand auch der Gouverneur der Region Sumy Wolodymyr Artjuch, dem vorgeworfen wurde, die Zeremonie genehmigt zu haben. Artjuch gab später zu, auf Einladung an der Zeremonie teilgenommen zu haben. Daraufhin wurde seine Entlassung auf Regierungsebene beschlossen.
Russland rechtfertigt seine Angriffe auf ukrainische Zivilisten stets mit dem angeblichen Beschuss von ukrainischen Militärzielen – selbst wenn sich keinerlei militärische Infrastruktur in der Nähe der beschossenen Gebiete befindet. Auch im Falle des russischen Angriffs auf Krywyj Rih Anfang April, bei dem 19 Zivilisten, darunter 9 Kinder, getötet wurden, bediente sich Russland dieser Argumentation. Nach Einschätzung von Militärexperten nahm die russische Armee auch in Sumy die vielen zivilen Opfer absichtlich in Kauf.
Das russische Verteidigungsministerium behauptet hingegen, das Ziel des Angriffs sei eine Versammlung hochrangiger ukrainischer Militärs gewesen. Laut dieser Darstellung seien über 60 Soldaten getötet worden, wofür Russland jedoch keine Belege lieferte. Russische Staatsmedien und Propagandisten behaupteten, dass der Angriff ein "inszeniertes Verbrechen" der Ukraine sei, um internationale Unterstützung zu gewinnen.
Als Reaktion griffen ukrainische Streitkräfte mehrere Standorte der russischen Raketenbrigade in der Region Kursk an, die für den Angriff auf Sumy verantwortlich gemacht wird.
1148 seit Beginn der russischen Invasion
Das Zitat: Rassismus in Paris
Der bekannte russische Oppositionspolitiker Wladimir Kara-Mursa sorgte im französischen Senat mit einer Aussage über das russische Vorgehen für Kritik. Kara-Mursa behauptete, dass es für Russen angeblich psychologisch schwieriger sei, Ukrainer zu töten, als für "Vertreter nationaler Minderheiten". Diese werden vom russischen Verteidigungsministerium in hoher Zahl für die Truppen mobilisiert. Kara-Mursa untermauert seine Aussage mit dem Argument, dass beide Völker sich kulturell so nahe stehen würden. Ukrainische und indigene Aktivisten verurteilten die Aussage.
Kara-Mursa verteidigte sich daraufhin, er habe bloß die Meinung einer Kollegin wiedergegeben. Er hätte auch auf die Probleme indigener Völker und politischer Gefangener aufmerksam machen können. Stattdessen habe er Fake News verbreitet, schrieb Aktivistin Viktoria Maladajewa von Indigenous of Russia.
Die wichtigsten Meldungen: Getötete Zivilisten, Sabotage und Gerichtsurteile
- Dnipro: Bei einem russischen Drohnenangriff auf die Stadt Dnipro in der Zentralukraine sind drei Menschen, darunter ein Kind, getötet und mindestens 30 verletzt worden. Das teilte der ukrainische Katastrophenschutz mit.
- Sabotage: Der ukrainische Geheimdienst SBU nahm neun Menschen fest – darunter fünf Teenager. Sie sollen im Auftrag des russischen Geheimdiensts FSB Anschläge in der Ukraine geplant haben.
- Urteile: Ein russisches Militärgericht hat fünf Menschen zu bis zu 18 Jahren Haft wegen angeblicher Sabotageakte für die Ukraine verurteilt. Ihnen wird vorgeworfen, Infrastruktur und einen Hubschrauber in Brand gesteckt zu haben. Ein russischer Soldat muss 15 Jahre in Haft, weil er sich ukrainischen Truppen ergeben hatte. Vier russische Journalisten bekamen mehrjährige Haftstrafen, weil sie mit dem russischen Oppositionellen Alexej Nawalny zusammengearbeitet hatten.
- Türkei: In Ankara hat ein zweitägiges sicherheitspolitisches Treffen stattgefunden. Dabei sollen Sicherheitsfragen im Schwarzen Meer nach einem möglichen Waffenstillstand zwischen der Ukraine und Russland erörtern worden sein.
- Mobilisierung: Das ukrainische Parlament hat das Kriegsrecht und die allgemeine Mobilmachung um weitere 90 Tage verlängert. Geplant ist eine Aufstockung der Armee um etwa 160.000 Soldaten.
Waffenlieferungen und Militärhilfen: Milliardenhilfen, Taurusdebatte und europäische Soldaten
Die Ukraine wird nach Angaben ihres Präsidenten derzeit zu 40 Prozent mit eigenen Waffen im Krieg gegen Russland versorgt. Die ukrainische Verteidigungsindustrie stellt mehr als tausend Waffentypen her – darunter Artilleriegranaten, Raketen, Langstreckenwaffen und Drohnen. Zusätzlich wächst die Zahl internationaler Kooperationen mit der ukrainischen Rüstungsindustrie, in der etwa 300.000 Menschen beschäftigt sind.
Die Ukraine ist zudem bereit, zusätzliche Flugabwehrsysteme zu kaufen. Selenskyj betonte, starke Waffen seien der einzige zuverlässige Schutz gegen Russland. Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Oleksii Makeiew, schlug vor, Bundeswehrsoldaten im Umgang mit Drohnen in der Ukraine zu schulen. Als erstes Nato-Land sendet nun Dänemark Soldaten unbewaffnet zu Trainingszwecken in die Ukraine.
Im internationalen Bereich haben Deutschland und andere Länder bei einem Treffen in Brüssel weitere Militärhilfen im Wert von 21 Milliarden Euro zugesagt. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius kündigte kurzfristige Lieferungen von Iris-T-Flugabwehrraketensystemen, Kampfpanzer, Artilleriesystemen und Drohnen an. Langfristig soll es noch weitere Lieferungen geben.
Derweil äußerte sich Pistorius skeptisch zu einem Vorschlag des designierten Kanzlers Friedrich Merz (CDU), Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine zu liefern. Unionsfraktionsvize Johann Wadephul (CDU) sieht eine mögliche Einigung mit der SPD über die Lieferung von Taurus-Raketen, während Russland diese Pläne kritisiert hat. Der Vizechef des russischen nationalen Sicherheitsrates und ehemalige Präsident, Dmitri Medwedew, nannte Merz deshalb sogar einen "Nazi".
Unter dem Radar: Kultur
Das Trio Ay Yola aus der russischen Teilrepublik Baschkortostan hat mit ihrem Song Homay große Erfolge erzielt und in wenigen Wochen fast zwei Millionen Aufrufe auf Spotify erreicht. Selbst in der Ukraine stand das Lied vergangene Woche auf Platz eins der Apple Music Charts.
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Jedoch gab es Kritik, da die Band zuvor Spenden für das russische Militär gesammelt hatte. Der Bruder des Frontmanns kämpft gegen die Ukraine. Da Streaming-Einnahmen in den russischen Haushalt fließen, könnte das Hören des Songs indirekt den Krieg finanzieren. Bis Dezember 2024 sind mehr als 4.000 Menschen aus Baschkortostan in der Ukraine gefallen.
Weitere Nachrichten: Weltkriegsgedenken in Seelow
In Brandenburg ist bei einer Gedenkveranstaltung zum 80. Jahrestag der Schlacht um die Seelower Höhen gedacht worden. Dabei handelt es sich um die größte Schlacht des Zweiten Weltkriegs auf deutschem Boden. Bei der Veranstaltung war auch der russische Botschafter Sergej Netschajew mit dabei – trotz einer Empfehlung des deutschen Auswärtigen Amts, russische und belarussische Staatsvertreter von Gedenkfeiern auszuschließen. Netschajew trug das Georgsbändchen, ein Symbol zur Unterstützung des Kremls und des Krieges gegen die Ukraine.
Seine Teilnahme stieß auf heftige Kritik, besonders von ukrainischer Seite. Ein polnischer Militärvertreter protestierte während einer Schweigeminute, indem er einen Kranz für die polnischen Soldaten niederlegte und das Gelände verließ.
Lokale Politiker verteidigten die Anwesenheit des Botschafters. Der stellvertretende Landrat Friedemann Hanke bezeichnete die Empfehlung des Auswärtigen Amtes als "absurd".
Der Ausblick: Parade zum 9. Mai
Die ukrainische Regierung hat zum 9. Mai, dem 80. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs, europäische Spitzenpolitiker nach Kyjiw eingeladen. Damit will Präsident Selenskyj ein diplomatisches Gegengewicht zur gleichzeitigen Militärparade in Moskau setzen. Außenminister Andrii Sybiha rief in Luxemburg seine EU-Kollegen zur "Einheit und Entschlossenheit angesichts der größten Aggression in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg" auf.
In Moskau lud zu dem Anlass die Staatschefs Chinas, Israels, Serbiens und der Slowakei. Die russische Regierung nationalisiert und instrumentalisiert das Gedenken an den Zweiten Weltkrieg, um seinen Krieg gegen die Ukraine zu rechtfertigen.
Der slowakische Regierungschef Robert Fico, bekannt für seine russlandfreundliche Politik, sagte seine Teilnahme zu und kritisierte EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas für ihre Warnung an EU-Vertreter vor einer Teilnahme. "Wir haben sehr deutlich gemacht, dass wir nicht wollen, dass irgendein Beitrittskandidat an diesen Veranstaltungen am 9. Mai in Moskau teilnimmt", sagte Kallas.
Fico verteidigte seine Entscheidung mit Verweis auf die Befreiung der Slowakei durch die Rote Armee. Seit seiner Wahl 2023 verfolgt er einen prorussischen Kurs, stellte Militärhilfe für die Ukraine ein und kritisierte EU-Sanktionen.
Den Rückblick auf die vergangene Woche finden Sie hier.