
Verteidigungsminister Pistorius, Außenminister Wadephul: Leitungsvorbehalt zurückgezogen
Foto: Michael Kappeler / dpaDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Der Union geht der Entwurf für das Gesetz zur Modernisierung des Wehrdienstes von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) nicht weit genug. Das Bundeskabinett soll den Entwurf am Mittwoch bei seiner Sitzung im Verteidigungsministerium verabschieden. Die Union will aber nach Informationen des SPIEGEL erreichen, dass im parlamentarischen Verfahren der Entwurf dahingehend geändert wird, dass eine Rückkehr zur Wehrpflicht festgeschrieben wird für den Fall, dass die Bundeswehr den nötigen Aufwuchs beim Personal nicht erreicht.
Um dieses Ziel deutlich zu machen, hatte Bundesaußenminister Johann Wadephul (CDU) Ende vergangener Woche einen sogenannten Leitungsvorbehalt gegen den Gesetzentwurf seines SPD-Kabinettskollegen eingelegt. Zuerst hatte die »Welt« darüber berichtet. Da das Kabinett einstimmig beschließen muss, kann ein solcher Vorbehalt ein Gesetz stoppen; das galt in Koalitionskreisen aber von vorneherein als unwahrscheinlich.
Wadephul verlangte, dass konkrete Zielmarken für den Aufwuchs bei aktiven Soldatinnen und Soldaten und der Reserve definiert und auch die jeweiligen Zeitpunkte festgelegt werden, an denen die Zahlen erreicht werden sollen. Ausgangspunkt dafür sollen die Mitte Juni kurz vor dem Nato-Gipfel beschlossenen Fähigkeitsziele der Allianz sein. Auch für die laufende Legislaturperiode müssten konkrete Zwischenziele vorgesehen werden.
Schweden als Vorbild
Werden diese Ziele nicht erreicht, soll das nach Vorstellung der Union automatisch dazu führen, dass ohne eine weitere Befassung des Bundestags Wehrpflichtige eingezogen werden können. Die Union argumentiert, dass im Koalitionsvertrag festgehalten ist, dass man sich am »schwedischen Wehrdienstmodell orientieren« wolle. Dort werden Wehrpflichtige eingezogen, wenn sich nicht genügend Freiwillige melden, um den Bedarf der Streitkräfte zu decken.
Pistorius hat in seinem Entwurf dagegen bislang vorgesehen, der Bundesregierung die Möglichkeit einzuräumen, mit Zustimmung des Bundestags die Einziehung von Wehrpflichtigen zu veranlassen, wenn »die verteidigungspolitische Lage einen schnellen Aufwuchs zwingend erfordert, der auf freiwilliger Grundlage nicht erreichbar ist«. Diese Regelung ließe dem Minister zum einen mehr Spielraum bei der Einschätzung, ob der Personalbedarf gedeckt werden kann oder nicht. Zum anderen würde noch einmal der Bundestag befasst, um eine Rückkehr zur Wehrpflicht zu beschließen.
Pistorius sagte bei einem Besuch des Luftwaffenausbildungsbataillons in Germersheim Mitte Juli, er sei der Auffassung, dass »man keinen Automatismus in dieses Gesetz reinbauen sollte«. Dies führe dazu, dass durch eine Entscheidung der Exekutive die Wehrpflicht teilweise wieder in Kraft gesetzt werde. »Ich glaube, das ist dieser Gesellschaft nicht zuzumuten«, sagte der SPD-Minister. »Gleichzeitig muss man klarmachen, dass es passieren kann.«

Luftwaffenausbildungsbataillon der Bundeswehr in Germersheim: Mit einem attraktiven Dienst will Pistorius genügend Freiwillige rekrutieren
Foto: Rainer Unkel / IMAGONoch am Montagabend räumte eine Staatssekretärsrunde mit Vertretern beider Seiten unter der Leitung von Kanzleramtsminister Thorsten Frei (CDU) den Streit fürs Erste aus. Aus dem Auswärtigen Amt hieß es dazu, der bestehende Leitungsvorbehalt »ist aufgehoben«. Die Punkte, die für die ursprüngliche Einlegung maßgeblich gewesen seien, »konnten in heutigen Gesprächen geklärt werden«. Der Entwurf des Wehrdienstgesetzes könne daher im Kabinett beschlossen werden.
Aus der Union heißt es zur Begründung für den Vorbehalt, man habe noch in diesem frühen Stadium des Verfahrens die Unzufriedenheit mit dem Entwurf von Pistorius dokumentieren müssen, um sich dann nicht von der SPD vorhalten lassen zu müssen, die Minister der Union hätten diesen ja mitgetragen.
Verteidigungspolitiker in der Union fürchten, die von Pistorius angestrebte Regelung würde dazu führen, dass in der laufenden Legislatur de facto keine Wehrpflichtigen eingezogen werden. Sie verweisen auf Äußerungen von SPD-Fraktionschef Matthias Miersch. Dieser hatte Anfang Juli betont, dass im Koalitionsvertrag »eindeutig festgelegt« sei, dass die Bundesregierung auf Freiwilligkeit setze. »Über eine Wehrpflicht kann man dann gegebenenfalls in der kommenden Legislaturperiode verhandeln, in dieser nicht«, sagte er damals der »Neuen Osnabrücker Zeitung«.
Union hält an ihren Forderungen fest
Klar ist, dass die Union bei den Beratungen im Bundestag Änderungen an dem Gesetzentwurf herbeiführen will. So heißt es aus dem Auswärtigen Amt, im anschließenden parlamentarischen Verfahren werde es »weitere Beratungen« geben. Ziel sei und bleibe, »die Fähigkeitsziele der Nato zu erfüllen« und die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands zu stärken.
Der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Thomas Erndl (CSU), sagte dem SPIEGEL, die Bundesregierung habe wegen der sicherheitspolitischen Herausforderungen und der Bedrohung durch Russland die Verteidigungsausgaben von der Schuldenbremse ausgenommen. Diese Dringlichkeit sei auch beim Personalaufwuchs der Bundeswehr gegeben. »Wir brauchen einen verbindlichen Weg, unsere Zusagen an die Nato nicht nur beim Geld, sondern auch beim Personal einzuhalten«, sagte er. Dazu müssten der Bundeswehr die Messgrößen und die Instrumente an die Hand gegeben werden.
Das Verteidigungsministerium hat intern Zielgrößen für die kommenden Jahre festgelegt. So sollen im laufenden Jahr 15.000 Freiwillige geworben werden, 2026 dann 20.000. Die Zahl wächst bis zum Jahr 2029 auf 33.000 Freiwillige. Pistorius hat sich wiederholt zuversichtlich gezeigt, den Personalbedarf der Bundeswehr vollständig mit Freiwilligen decken zu können. Die Ausbildung wurde dazu überarbeitet. Zudem sollen eine bessere Besoldung sowie zusätzliche Anreize, beispielsweise Zuschüsse für Führerscheine, die Attraktivität der Bundeswehr steigern.
Der Konflikt zwischen Union und SPD reicht zurück bis in die Koalitionsverhandlungen. Damals hatten sich die beiden Parteien auf eine Formulierung geeinigt, die jetzt jede Seite in ihrem Sinne auslegt. Festgelegt ist, dass der neue Wehrdienst »zunächst auf Freiwilligkeit« basieren soll; zugleich ist die Orientierung am schwedischen Modell festgeschrieben.
Die SPD hatte Ende Juni auf ihrem Parteitag diese Formel bekräftigt. Man strebe einen Wehrdienst an, »der auf Freiwilligkeit beruht und sich am schwedischen Wehrdienstmodell orientiert« Dem fügten die Sozialdemokraten allerdings hinzu, dass sie »keine aktivierbare gesetzliche Möglichkeit zur Heranziehung Wehrpflichtiger« wollen, bevor nicht alle Maßnahmen zur freiwilligen Steigerung ausgeschöpft seien.
Pistorius dürfte schon bei seinem Truppenbesuch in Germersheim klar gewesen sein, dass die Union im Parlament versuchen könnte, Änderungen an seinem Entwurf durchzusetzen. Er halte es mit Peter Struck, sagte Pistorius, »der nicht nur ein sehr geschätzter Vorgänger war, sondern der bekanntermaßen das strucksche Gesetz formuliert hat, dass kein Gesetz so aus dem Bundestag rausgeht, wie es reingegangen ist«. Das werde hier »sicherlich auch so oder so ähnlich sein«.